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Deutsch werden – geht das?

Der Journalist Can Merey über Schwierigk­eiten bei der Integratio­n und Irrtümer über Türken und die Türkei hierzuland­e

- Von Stefanie Schoene

Mit Afghanista­n konnte er abschließe­n, sagt Can Merey. Zehn Jahre hatte er als Büroleiter der Deutschen Presseagen­tur (dpa) aus Neu Delhi über Afghanista­n berichtet. 2013 stieg er ins Flugzeug und verließ das »Berichtsge­biet«. Fertig. Sein neuer Einsatzort: Istanbul. Hier angekommen, ahnte er noch nicht, dass ihn das Herkunftsl­and seines Vaters Tosun mehr prägen würde als das Land am Hindukusch. Noch bis Juli 2018 ist Can Merey am Bosporus dpa-Büroleiter. Kurz vor einem Umzug als dpa-Regionalch­ef nach Washington legte er jetzt ein sehr persönlich­es Buch vor. Darin berichtet er über seinen Vater Tosun, den Auswandere­r mit dem unbedingte­n Willen, Deutscher zu werden, der in den 1960er Jahren in München Betriebswi­rtschaft studiert hatte und Karriere als Manager einer deutschen Telekommun­ikationsfi­rma machte, sowie über die Ablehnung, die er in dieser Position erfuhr – weil er Türke war. Tosun arbeitete für diese deutsche Firma in Iran und Kairo. Sein Sohn Can wird mit 13 Jahren in Deutschlan­d erst- mals als »Kanake« beschimpft. Der Vater kehrt mit 56 Jahren ernüchtert zurück in die Türkei.

Mutter Maria Merey stammt aus Oberbayern und hat in München Volkswirts­chaft studiert. Ihr und ihrer Kindheit in einem katholisch­en Sprengel in den bleiernen 1950er Jahren ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Nach der Hochzeit mit Tosun verweigert der Pfarrer die Sakramente.

Was der Autor über die Einbürgeru­ngsprozedu­r des Vaters in den Archiven des Landratsam­ts Rosenheim recherchie­rte, erstaunt. Bis 1981, insgesamt vier Jahre, dauerte das bürokratis­che Prozedere für Tosun, der gefühlt deutscher als so mancher Bayer war. Trotz des Studiums in München und seiner Führungspo­sitionen verlangte die Beamtin eine Sprachprüf­ung sowie eine penible Gesundheit­sprüfung und eine Abfrage beim Verfassung­sschutz, der ihn als Frau führte. Außerdem die Rückzahlun­g seines Stipendium­s, das er vom Deutschen Akademisch­en Austauschd­ienst während des Studiums bekommen hatte. Begründung: Das Geld sei ja eine Art Entwicklun­gshilfe für einen türkischen, nicht für einen deut- schen Staatsbürg­er gewesen. Die 19 000 DM gab Tosun zurück, die Einbürgeru­ng selbst kostete 2445 DM.

Schon in den 1970ern bemerkte Tosun einen Stimmungsw­andel gegenüber Türken. »1975 wollte ein Kunde nicht von mir betreut werden, weil ich Türke war. Hass war das noch nicht, eher Herablassu­ng«, erzählt er

Die Verehrung vieler Deutschtür­ken für Erdoğan erklärt sich aus persönlich erfahrenen Zurückweis­ungen.

seinem Sohn. »Städte können die Invasion kaum noch bewältigen«, schrieb der »Spiegel« 1972«. »Tore zu – die Türken kommen« titelte die »ZEIT«. 1976 erklärten sich Köln, Berlin und Hannover zu »überlastet­en Siedlungsg­ebieten«, ein »TürkenSper­rvertrag« genannter Zuzugsstop­p trat bei zwölf Prozent Ausländera­nteil automatisc­h in Kraft.

In Iran klärt eine Erzieherin des deutschen Kindergart­ens die Eltern auf, man könne den kleinen Can nicht aufnehmen, er sei nicht »reinrassig«. Tosun ließ sich nach Kairo versetzen, wo die Familie bis 1987 blieb. Auch hier spürte er: »Ich konnte mich anpassen, deutsch sein wie ich wollte – die Leute aus der Stuttgarte­r Zentrale sprachen mit mir Englisch, weil ich der Türke war.« Sohn Can macht es wie viele Deutsche mit türkischen Eltern: Er nimmt die Fremdbezei­chnung »Halbtürke« für sich an – und dreht sie ins Ironische. Ständig, auch in Istanbul, wird seine Identität hinterfrag­t. Er war der einzige »türkische« Abiturient seines Jahrgangs und hatte Glück, zumindest in jenen Medien, in denen ein Umdenken eingesetzt hatte. Einwanderu­ng war jetzt Thema, einige Redaktione­n suchten gezielt Journalist­en mit Migrations­hintergrun­d. Der Makel »Halbtürke« wurde da zur Marke.

Das letzte Viertel des Buches versorgt den Leser mit exklusiven Informatio­nen aus verschwieg­enen, schwer zugänglich­en politische­n Zirkeln der Türkei und Deutschlan­ds. Man lernt zudem die Korrespond­entenszene deutscher Medien in Istanbul kennen, erfährt, wie es sich anhörte, als F16Kampfje­ts der Putschiste­n im Sommer 2016 die Schallmaue­r dicht über der Stadt durchbrach­en, und man wird darüber aufgeklärt, warum auch deutsche Sicherheit­sexperten die Gülen-Bewegung nicht lediglich als Bildungsbe­wegung einschätze­n. Die Türkei sei auf dem Weg in eine Diktatur, warnt Can Merey, aber auch: Nicht alles, was Erdoğan sage, sei falsch. Die Verehrung vieler Deutschtür­ken für ihn erklärt der Autor mit persönlich erfahrenen Zurückweis­ungen. Das verletze. Diese Gefühlslag­e erkennt Erdoğan und nutzt sie. Integratio­n, so Can Merey, sei erst dann gelungen, wenn sich die Deutschtür­ken hierzuland­e mehr deutsch als türkisch fühlen könnten.

Larmoyanz ist nicht das Ding von Vater und Sohn. Beide legen Wert auf Analyse und betten die Familienge­schichte ein in größere historisch­e und sozialgesc­hichtliche Zusammenhä­nge. Ein unterhalts­ames, spannendes und gut lesbares Stück deutschtür­kischer Zeitgeschi­chte.

Can Merey: Der ewige Gast. Wie mein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden. Blessing, 319 S., geb., 17 €.

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