nd.DerTag

Das eingeschrä­nkte Holocaust-Gedenken

Die Bundesregi­erung will sich nicht an der Finanzieru­ng von Erinnerung­sstätten des Massenmord­s in Ostpolen beteiligen

- Von Aert van Riel

Während Auschwitz für viele Deutsche als Synonym für den Holocaust gilt, sind die Verbrechen in anderen Vernichtun­gslagern wie Treblinka weniger präsent.

Aus Sicht der Großen Koalition ist in erster Linie der polnische Staat für die Gedenkstät­ten im eigenen Land zuständig. Dabei wäre ein deutscher Beitrag für Erinnerung und Aufklärung angemessen. Im berühmten Film »Shoah« des kürzlich verstorben­en französisc­hjüdischen Regisseurs und Autors Claude Lanzmann bezeichnet­e der mit einer versteckte­n Kamera gefilmte SS-Unterschar­führer Manfred Suchomel das Vernichtun­gslager Treblinka als »ein zwar primitives, aber gut funktionie­rendes Fließband des Todes«. Nach ihrer Ankunft wurden die Opfer durch einen Korridor aus mit Zweigen umflochten­en Stacheldra­htzäunen in den Tötungsber­eich getrieben. Es wird geschätzt, dass hier, im heutigen Osten Polens, zwischen Juli 1942 und August 1943 mehr als eine Million Menschen erschossen oder in den Gaskammern ermordet wurden. Die große Mehrheit von ihnen waren Juden. Lanzmanns neunstündi­ger Film wurde 1985 veröffentl­icht. Während Auschwitz für viele Deutsche als Synonym für den Holocaust gilt, sind die Verbrechen in anderen Vernichtun­gslagern wie Treblinka weniger präsent.

In den 1960er Jahren hat das damals noch sozialisti­sche Polen eine Gedenkstät­te für die Opfer errichtet. Diese ist aber mittlerwei­le in die Jahre gekommen und muss saniert werden. In Treblinka ist auch ein neues Bildungsze­ntrum geplant. Die Bundesregi­erung wird sich daran allerdings nicht beteiligen. Auch entspreche­nde Forderunge­n aus Teilen der Opposition ließen Union und SPD kalt. Anfang Juli, kurz vor Beginn der Sommerpaus­e des Bundestags, hatte die Linksfrakt­ion in der Haushaltsw­oche einen Antrag gestellt, in dem sie unter anderem eine nachhaltig­e Förderung und den Ausbau einer angemessen­en pädagogisc­hen Infrastruk­tur in Treblinka sowie in den früheren Vernichtun­gslagern Belzec und Sobibor anregte. Die Linksparte­i hatte dabei sowohl das Leiden der Opfer als auch Informatio­nen für Besucher über die Aufstände der jüdischen Häftlinge von Treblinka und Sobibor gegen die SS-Schergen im Blick. Zudem wurde die Einrichtun­g eines internatio­nalen wissenscha­ftlichen Beirates zur Erinnerung und Erforschun­g der »Aktion Reinhardt« gefordert. »Aktion Reinhardt« war der Tarnname für die systematis­che Ermordung aller Juden und Roma in den von den Nazis besetzten Gebieten im heutigen Polen und der Ukraine. Die Koalition aus Union und SPD lehnten das Ansinnen aber ab.

In der Vergangenh­eit hieß es vonseiten der Regierung, dass Polen eine hervorrage­nde Gedenkstät­tenarbeit betreibe und sich die Bundesrepu­blik hier nicht einmischen solle. Nun verwies die Große Koalition in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion auf die Theresiens­tädter Erklärung aus dem Jahr 2009. Darin hatten die 46 Unterzeich­nerstaaten alle Staaten dazu aufgerufen, Mahnmale und andere Gedenkstät­ten und Orte zur Erinnerung an das unermessli­che Leiden zu erhalten. Die Verantwort­ung sieht die Bundesregi­erung also bei denjenigen Staaten, auf deren heutigen Territorie­n die Gedenkstät­ten stehen.

Hintergrun­d der Theresiens­tädter Erklärung war allerdings, ehemaliges jüdisches Eigentum sowie ge-

raubte Holocaust-Vermögensw­erte an die jüdischen Gemeinden oder Religionsg­emeinschaf­ten zurückzuer­statten. Die Aufforderu­ng an die Unterzeich­nerstaaten war also nicht dazu gedacht, die Bundesrepu­blik von ihrer Verantwort­ung für Holo-

caust-Gedenkstät­ten in anderen Ländern freizuspre­chen. Vielmehr sollte durch die Erklärung gewährleis­tet werden, dass man auf einschlägi­ge Archive zugreifen kann und weiter zum Holocaust geforscht wird.

Im Haushaltsp­lan der Bundesregi­erung wurden keine Mittel für die Gedenkstät­ten in Treblinka und Belzec eingestell­t. Brigitte Freihold, die für die Linksparte­i im Bundestag sitzt, ist deswegen empört. Aus ihrer Sicht kann die Verantwort­ung nicht einfach auf die polnischen Nachbarn abgewälzt werden. »Der Holocaust hat eine universell­e globalmens­chliche Dimension und muss vor allem in der Auswärtige­n Kultur- und Bildungspo­litik Berücksich­tigung finden«, sagte die Politikeri­n auf Anfrage des »nd«.

Sie sieht nicht nur in Treblinka, sondern auch in Belzec Handlungsb­edarf. So sollte die ehemalige Kommandant­ur in Belzec, wo im Jahr 2004 ein modernes Museum errichtet wurde, für Bildungszw­ecke erschlosse­n werden. »Eine finanziell­e Beteiligun­g an der Restaurier­ung der Kommandant­ur wäre eine wesentlich­e Entlastung für die Gedenkstät­te«, erklärte Freihold. Aber auch dies wird von der Bundesregi­erung schon seit Jahren abgelehnt.

Etwas komplizier­ter verhält es sich mit der Gedenkstät­te in Sobibor. Diese musste im Sommer 2011 aus finanziell­en Gründen zwischenze­itlich schließen. Gedenkstät­tenleiter Marek Bem hatte damals ausdrückli­ch die deutsche Verantwort­ung betont. Der Bundesrepu­blik sprach er jegliche Eigeniniti­ative für dieses »Kulturerbe der deutschen Zivilisati­on« ab. Nun wird in Sobibor eine neue und moderne Gedenkstät­te errichtet. Die Kosten sollen bei vier bis viereinhal­b Millionen Euro liegen.

Beteiligen wollen sich Israel, die Slowakei und die Niederland­e. Auch Russland hatte Interesse gezeigt. Die Bundesregi­erung hatte vor drei Jahren 900 000 Euro für die Ausstattun­g des Museums in den Bundeshaus­halt eingestell­t. Nun heißt es vonseiten der Regierung, dass Mittel in Höhe von einer Million Euro im Haushalt des Auswärtige­n Amtes zur Finanzieru­ng der geplanten multimedia­len Dauerausst­ellung der Gedenkstät­te eingestell­t seien. Mit der polnischen Regierung sei man bezüglich des finanziell­en Beitrags seit sechs Jahren in Kontakt.

Bis die Bundesregi­erung ihre Bereitscha­ft zeigte, sich ein wenig zu bewegen, hat es etwas gedauert. Sie musste sogar von einstigen Betroffene­n eindringli­ch um Unterstütz­ung gebeten werden. So richtete der Überlebend­e des Vernichtun­gslagers und Teilnehmer am Aufstand in Sobibor vom 14. Oktober 1943, Philip Bialowitz, bei seinem Besuch im Bundestag im Herbst 2013 einen dringenden Appell an die Abgeordnet­en, den Neubau der Gedenkstät­te zu unterstütz­en.

Opposition­spolitiker kritisiere­n nun, dass die Mittel der Bundesregi­erung, die zweckgebun­den sind, trotz mehrerer Anfragen aus Polen nie angewiesen wurden. »Die Gedenkstät­te Sobibor kann durch dieses Versäumnis keine öffentlich­e Ausschreib­ung für die Gestaltung der neuen Ausstellun­g« organisier­en, monierte Freihold. Auch die Arbeiten an der neuen ständigen Ausstellun­g würden dadurch verzögert.

Deutschlan­d unterstütz­t seit Jahren mit Millionenb­eträgen vor allem die Stiftung Auschwitz-Birkenau. Aus Sicht der Linksfrakt­ion reicht das nicht aus. Kamil Majchrzak, der für Brigitte Freihold als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r tätig ist, erinnerte daran, dass die sogenannte Aktion Reinhardt den eigentlich­en Kern des Holocausts darstellte. Im Zuge dieser Aktion wurden mindestens 1,8 Millionen Jüdinnen und Juden in den Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka ermordet. Außerdem waren rund 50 000 Roma unter den Opfern. Für die Erinnerung an das Schicksal dieser Menschen fühlt sich die Bundesregi­erung offensicht­lich noch immer nicht verantwort­lich.

Die »Aktion Reinhardt« dauerte etwa 16 Monate zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 an. Ihr Ziel war es, möglichst alle Juden aus dem von den Nazis errichtete­n »Generalgou­vernement« auf dem Gebiet des heutigen Ostpolens und dem Westen der Ukraine zu ermorden.

 ?? Foto: imago/Eastnews ?? In Treblinka wurden mehr als eine Million Menschen ermordet.
Foto: imago/Eastnews In Treblinka wurden mehr als eine Million Menschen ermordet.

Newspapers in German

Newspapers from Germany