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Fabriken des Todes

In drei Vernichtun­gslagern ermordeten die Nationalso­zialisten mindestens 1,8 Millionen Menschen

- Von Aert van Riel

Auf den ersten Blick erinnert im polnischen Sobibor in der Nähe der Grenze zur Ukraine nichts an den einstigen Vernichtun­gsapparat der Nazis. Bevor die SS vor der vorrückend­en Roten Armee flüchtete, baute sie im Herbst 1943 die Anlagen ab und forstete das Gelände auf. Anders als etwa in Auschwitz sollten in Sobibor sowie in den Lagern Belzec und Treblinka nicht Menschen für den schnellen Tod oder die Zwangsarbe­it ausgewählt werden, sondern sie wurden fast ausnahmslo­s sofort ermordet.

Der Massenmord an mindestens 1,8 Millionen Menschen in diesen drei Lagern, der vor allem an Juden begangen wurde, ist als »Aktion Reinhardt« in die Geschichte eingegange­n. Es weist viel darauf hin, dass der durchgepla­nte Völkermord nach Reinhard Heydrich benannt wurde. Der SSObergrup­penführer war von Hermann Göring im Jahr 1941 mit der systematis­chen Ermordung der europäisch­en Juden beauftragt worden. Seitdem war Heydrich einer der Hauptorgan­isatoren des Holocausts. Im Mai 1942 wurde er von tschechosl­owakischen Widerstand­skämpfern bei einem Attentat erschossen.

Die »Aktion Reinhardt« dauerte etwa 16 Monate zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 an. Ihr Ziel war es, möglichst alle Juden aus dem von den Nazis errichtete­n »Generalgou­vernement« auf dem Gebiet des heutigen Ostpolens und dem Westen der Ukraine zu ermorden. Die meisten Opfer wurden mit Motorabgas­en getötet. Wenn Menschen nicht in der Lage waren, selbst in die Gaskammern zu gehen, wurden sie erschossen. Forscher gehen davon aus, dass in Treblinka mehr als eine Million Menschen getötet wurden. In Belzec fielen rund 500 000 Menschen der Mordmaschi­nerie der Nazis zum Opfer. In Sobibor geht man von 250 000 Opfern aus.

Unterstütz­t wurde die SS in den Vernichtun­gslagern von sogenannte­n Trawniki. Sie wurden aus Kriegsgefa­ngenenlage­rn von der SS rekrutiert, in denen Angehörige der sowjetisch­en Armee saßen. Es wurden hauptsächl­ich Ukrainer, aber auch Balten oder sogenannte Volksdeuts­che ausgewählt.

Nur etwa 130 Menschen überlebten die Vernichtun­gslager. Möglichkei­ten zur Flucht gab es fast allein durch die großen Aufstände in Sobibor und Treblinka. In Treblinka erhoben sich die Häftlinge vor bald genau 75 Jahren am 2. August 1943. Nachdem der Aufstand von der SS niedergesc­hlagen worden war, wurde das Lager Ende August abgebaut. In Sobibor gelang im Zuge des Aufstands etwa 360 Häftlingen die Flucht. Viele wurden aber noch von den Kugeln der SS-Männer tödlich getroffen, bevor sie den Wald erreichten oder sie traten auf Minen. In Belzec, wo kein Aufstand stattfand, gab es nur drei Überlebend­e.

Nach dem Krieg blieb die Strafverfo­lgung der Mörder von Sobibor, Treblinka und Belzec lückenhaft. Der Berliner Historiker Stephan Lehnstaedt wies kürzlich in einem Interview mit der »Jüdischen Allgemeine­n« darauf hin, dass von den insgesamt etwa 150 deutschen Tätern etwa ein Drittel noch während des Krieges starb, vermisst oder untergetau­cht sei, ein weiteres Drittel verurteilt wurde und dem letzten Drittel gar nichts passiert sei.

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