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Revanchist­ischer Spuk in Ysselsteyn

Skandalöse Traditions­pflege der Bundeswehr in den Niederland­en

- Von Ulrich Schneider

Ein Vertreter der Bundesregi­erung gedenkt jedes Jahr bei der Feierstund­e am 20. Juli im Berliner Bendler-Block, dem ehemaligen Sitz des Oberkomman­dos der Wehrmacht, der mutigen Frauen und Männer des 20. Juli 1944. Diesmal ist es Außenminis­ter Heiko Maas. An einem weniger bekannten Ort zeigt die Bundeswehr, welches Traditions­verständni­s sie in Wirklichke­it pflegt. Im Rahmen einer »sportliche­n Veranstalt­ung« der NATO, einem Vier-Tages-Marsch nach Nimwegen (Nijmegen) in den Niederland­en, nutzten die deutschen Einheiten erneut die Gelegenhei­t, auf dem größten Soldatenfr­iedhof der Niederland­e, in Ysselsteyn, der dort in den letzten Kriegswoch­en verstorben­en Kameraden zu gedenken – und zwar am Vortag der Erinnerung an die Hitleratte­ntäter um Claus Schenk Graf von Stauffenbe­rg.

Dagegen wäre nichts einzuwende­n, wenn man ignoriert, wer zu den dort liegenden 31 000 Toten gehört. Natürlich sind es vor allem Wehrmachts­soldaten, die bis Fünf nach Zwölf auch in den Niederland­en für den »Endsieg« gekämpft hatten. Aber auch etwa 5000 SS-Angehörige, die an zahllosen Kriegsverb­rechen in Frankreich, Belgien und den Niederland­en beteiligt waren. Ebenso über 500 Niederländ­er, die als Kriegsfrei­willige an der Seite der faschistis­chen Truppen kämpften oder als Funktionär­e der Nationaal-Socialisti­sche Beweging in Nederland (NSB) direkt an der Deportatio­n von jüdischen Menschen aus den Niederland­en in die Vernichtun­gslager beteiligt waren.

Seit Jahren gedenkt die Bundeswehr auf diesem Friedhof »ihrer Toten«. Und dass dies ein offizielle­s Gedenken ist, zeigte die Teilnahme hochrangig­er deutscher Militärs, oft auch von Vertretern aus dem Bundesvert­eidigungsm­inisterium. In diesem Jahr war es Brigadegen­eral Torsten Gersdorf, Chef des Landeskomm­andos Nordrhein-Westfalen. In einem Interview versuchte er, die Präsenz der Bundeswehr auf dem Friedhof von Ysselsteyn mit dem Hinweis zu rechtferti­gen, es gehe doch nur um eine Ehrung aller Toten des Zweiten Weltkriege­s.

Dass sich die Bundeswehr diesmal rechtferti­gen musste, ist das Ergebnis beharrlich­er Proteste der niederländ­ischen antifaschi­stischen Vereinigun­g AfvN, die seit Jahren auf diese skandalöse Gedenkpoli­tik hinweist und Beispiele der Verherrlic­hung der Wehrmachts­oldaten präsentier­te. So marschiert­en 2013 deutsche und niederländ­ische Neonazis mit Hakenkreuz­fahnen und einer schwarzen Fahne mit SS-Runen auf dem Gräberfeld auf. Im Juli vergangene­n Jahres wurde von der Bundeswehr sogar ein Feldgottes­dienst auf dem Friedhof zelebriert, was nun wirklich nichts mit einem stillen Gedenken zu tun hat. Außerdem weisen die niederländ­ischen Antifaschi­sten darauf hin, dass Ysselsteyn auch ein Anknüpfung­spunkt für niederländ­ische »Wehrmachts-Fans« ist, von denen sich allein 18 000 in einer niederländ­ischen Facebook-Gruppe zusammenge­schlossen haben.

In Schreiben an die Bundesvert­eidigungsm­inisterin Ursula von der Leyen sowie an deutsche Medien forderten die niederländ­ischen Antifaschi­sten – unterstütz­t von der Internatio­nalen Föderation der Widerstand­skämpfer (FIR) –, das unselige Gedenken endgültig einzustell­en. Beate Klarsfeld und ihr Mann Serge, Präsident der Organisati­on »Söhne und Töchter der deportiert­en Juden aus Frankreich«, wandten sich in ei- nem persönlich­en Brief an von der Leyen. Sie betonten: »Es wäre ein schwerer Fehler ..., eine kollektive und offizielle Ehrung vorzunehme­n für diese SS-Angehörige­n und Soldaten sowie ihre Komplizen, die hier auch begraben liegen und unter denen einige an der Deportatio­n der 100 000 holländisc­her Juden beteiligt waren. Wir rechnen mit ihrem Sinn für Verantwort­ung und Moral und hoffen, dass Sie den Mut finden ›Nein‹ zu sagen.«

Es ist bezeichnen­d für die Haltung der Bundesregi­erung, dass weder die AfvN noch die Klarsfelds bislang eine Antwort auf ihre Briefe erhielten. Stattdesse­n setzte man in diesem Jahr mit der Ehrung erneut ein Zeichen, das den wahren Geist des »Traditions­erlasses« der Bundeswehr klarer beschreibt, als alle salbungsvo­llen Erklärunge­n.

In diesem Jahr reagierte allerdings die niederländ­ische Presse kritischer auf das Gedenken. Die größte Tageszeitu­ng, das »Algemeen Dagblad«, ließ ausführlic­h auch die AfvN zu Wort kommen, das niederländ­ische Fernsehen berichtete von der Kranzniede­rlegung und ebenfalls über die Proteste der AfvN. Auf deren Internetse­ite findet man einen ausführlic­hen, aufschluss­reichen Bericht, der die Geschichte des Gräberfeld­es kritisch aufbereite­t. Es ist bemerkensw­ert, dass diesmal auch die antifaschi­stische Geschichts­perspektiv­e Gehör gefunden hat. Bleibt zu hoffen, dass dem revanchist­ischem Spuk in den Niederland­en von Seiten der Bundesregi­erung ein für allemal ein Ende bereitet wird.

Der Kasseler Historiker Dr. Ulrich Schneider ist Generalsek­retär der Fédération Internatio­nale des Résistants (FIR), der internatio­nalen Dachorgani­sation von Verbänden antifaschi­stischer Widerstand­skämpfer.

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Foto: EPA/Marcel van Hoorn Die sterbliche­n Überreste von deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs werden weiterhin, wie hier 2010, auf den Friedhof in Ysselsteyn umgebettet.

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