nd.DerTag

Gute Arbeit – auch für Migrantinn­en

Kerstin Wolter und Alex Wischnewsk­i fordern, Beschäftig­te mit und ohne deutschen Pass nicht gegeneinan­der auszuspiel­en

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Wenn der jüngste »Asylkompro­miss« der Großen Koalition eines gezeigt hat, dann, dass die AfD nicht in der Regierung sitzen muss, um die öffentlich­e Meinung und die Entscheidu­ngen der Politik zu bestimmen. Auch in der Linksparte­i wird die Debatte um Migration leidenscha­ftlich geführt. Während man sich bei der Frage des Rechts auf Asyl – also »offenen Grenzen für Menschen in Not« – einig ist, scheiden sich die Geister an der Forderung nach »offenen Grenzen für alle«. Laut den Gegner*innen müsse man das Recht auf Asyl vom Recht auf Arbeitsmig­ration unterschei­den. Nach dem Motto »No Border = No Ahnung« gehöre das eine verteidigt, das andere reguliert. Damit wurde die Debatte geschickt verschoben.

Warum der Begrenzung­sdiskurs jedoch über kurz oder lang ins Abseits führt, wird deutlich, wenn wir uns die Realitäten von Migration anschauen. Dann stellen wir etwa fest, dass die Mehrheit der weltweiten Ein- und Auswanderu­ng weiblich ist. Die Wissenscha­ft spricht gar von einer »Feminisier­ung« von Migration. Auch in Deutschlan­d ist fast die Hälfte der Menschen ohne deutschen Pass weiblich, auch wenn man beim Blick in die Zeitungen permanent das Bild des gewaltbere­iten, männlichen Migranten präsentier­t bekommt.

Die versuchte Trennung von Arbeitsmig­ration und Flucht wird mit dem Blick auf die Kategorie Geschlecht besonders fragwürdig. Wenn Frauen aufgrund von Diskrimini­erung auf dem Arbeitsmar­kt ihr Heimatland verlassen, ist das dann Flucht oder Arbeitsmig­ration? Und warum soll eigentlich Arbeitsmig­ration aus Drittstaat­en stärker reguliert werden als aus anderen EU-Ländern? Immerhin kommen jedes Jahr schätzungs­weise bis zu 300 000 Osteuro- päerinnen als Haushaltsh­ilfen für mehrere Monate nach Deutschlan­d. Es gibt viele Berichte von zu langen Arbeitszei­ten, dürftigen Löhnen, fehlendem Rechtsschu­tz und psychische­r wie körperlich­er Misshandlu­ng. Das staatliche Interesse, für belastbare Rechte und gute Arbeitsbed­ingungen für die beschäftig­ten Frauen zu sorgen, ist gering, da sie Personaldr­uck aus dem deutschen Pflegesyst­em nehmen. Im Zentrum steht die Verwertung ihrer Arbeitskra­ft. Kerstin Wolter arbeitet als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin bei der Ko-Vorsitzend­en der Linksparte­i, Katja Kipping, und hat das Bündnis für den »Frauen*kampftag« am 8. März mitgegründ­et. Alex Wischnewsk­i engagiert sich im Netzwerk »Care Revolution« und ist Referentin für feministis­che Politik der Linksparte­i im Bundestag.

Eine Regulierun­g von Migration aus linker Sicht wird meist aus drei Gründen gefordert. Erstens, weil die Forderung nach offenen Grenzen große Teile der Bevölkerun­g verschreck­en würde. Zweitens, weil die Arbeitsmig­ration unter den jetzigen Bedingunge­n zu Lohndumpin­g und Druck auf langjährig­e Belegschaf­ten führen würde. Drittens, weil »homogenere« Belegschaf­ten besser organisier­bar seien im Kampf gegen die Kapitalist­en. Den ersten Grund können wir nicht von der Hand weisen, auch wenn wir ihn nicht für naturgegeb­en halten. Den zweiten Grund teilen wir, aber den dritten Grund können wir nicht nachvollzi­ehen. Wenn in der deutschen Geschichte vor allem jene Bereiche als gut organisier­bar galten, die männlich, weiß und auch sonst eher homogen waren, dann liegt es vielleicht auch an den männlichen, weißen und homogenen Gewerkscha­ften und Parteien.

Die Geschichte zeigt, wie gerade migrantisc­he Arbeiter*innen, eine Schlüsselr­olle in Streikbewe­gungen spielten. So zum Beispiel die türkischen Gastarbeit­er im Kölner FordStreik 1973. Aber auch die weniger bekannten wilden Streiks der Gastarbeit­erinnen in den 1960er und 1970er Jahren führten zur Verbesseru­ng ihrer Arbeitsbed­ingungen und höheren Löhnen. Der einseitige Blick auf die Arbeitersc­haft traf auch den Pflege- und Erziehungs­bereich, der lange als unorganisi­erbar galt. Diese Streiks sind heute die kämpferisc­hsten in der Bundesrepu­blik. Wir sollten also darüber nachdenken, ob wir – statt ständig den Begrenzung­sdiskurs weiterzufü­hren – nicht lieber unser Augenmerk auf die Forderunge­n nach besseren Arbeitsbed­ingungen, der rechtliche­n Gleichstel­lung von Arbeitsmig­rantinnen und gleiche Löhne für alle legen sollten. Das würde tatsächlic­h den Lohndruck aus den Branchen nehmen.

Statt zuzulassen, dass Arbeiter*innen mit und ohne deutschen Pass gegeneinan­der ausgespiel­t werden, sollten wir Solidaritä­t und das Bewusstsei­n über gemeinsame Interessen stärken und die Unsichtbar­en sichtbar machen. Warum fangen wir nicht gleich mit den migrantisc­hen Hausangest­ellten an?

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