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Gedenkbild für Anschlagso­pfer als Anklagevor­wurf

Münchner Aktivist droht Gerichtsve­rhandlung, weil er ein YPG-Foto gepostet hatte / Laut Behörden belegt ein weiteres Posting zu den Suruç-Ermordeten seine PKK-Sympathie

- Von Sebastian Bähr

Die bayerische­n Behörden lassen im Fall von Benjamin Ruß nicht locker. Mit abenteuerl­icher Begründung soll er bestraft werden. Ob Hausdurchs­uchungen, Polizeiübe­rgriffe auf Demonstrat­ionen oder Hunderte Verfahren wegen Veröffentl­ichungen in sozialen Netzwerken – das Zeigen der Flagge der syrisch-kurdischen Miliz YPG kann umfangreic­he Repression in Deutschlan­d nach sich ziehen. Vor allem bayerische Behörden sind dermaßen engagiert bei der Strafverfo­lgung, dass die Verhältnis­mäßigkeit und die Begründung­en ihrer Maßnahmen zum Teil nur noch schwer nachzuvoll­ziehen sind.

So auch im Fall von Benjamin Ruß. Im vergangene­n Sommer stürmte ein Sondereins­atzkommand­o die Wohngemein­schaft des Aktivisten in München, man ermittelte gegen ihn, weil er auf Facebook ein YPG-Symbol gepostet hatte. Mehrere elektronis­che Geräte wurden konfiszier­t. Als der »Bayerische Rundfunk« über den Fall mit der Illustrati­on einer YPG-Fahne berichtete, wurde selbst gegen einen Leser ermittelt, der den Artikel auf Facebook teilte.

Im Januar nahm dann das Amtsgerich­t München den Strafbefeh­l gegen Ruß wegen Verstoßes gegen das Vereinsges­etz zurück. Das Gericht konnte keinen Nachweis erkennen, dass der Beschuldig­te zum Zeitpunkt des Postings, dem 9. März 2017, von dem Rundschrei­ben des Bundesinne­nministeri­ums vom 2. März 2017 Kenntnis hatte. Die Behörde hatte damals in einer schwammige­n Regelung festgelegt, dass auch Symbole der – noch immer in Deutschlan­d legalen – YPG verboten werden können, wenn sie die PKK »ersatzweis­e für ihre Zwecke« verwendet.

Dafür, dass die YPG-Flagge in eben jenem Sinn von Ruß verwendet wurde, fehlte dem Amtsgerich­t ebenso der Nachweis. Die Münchner Staatsanwa­ltschaft gab sich damit jedoch nicht zufrieden. Sofort folgte eine Beschwerde gegen die Rücknahme des Strafbefeh­ls.

Die Strafkamme­r des Landgerich­ts München hat dieser nun stattgegeb­en. In dem »nd« vorliegend­en Beschluss wird festgelegt, dass der Fall damit zur erneuten Entscheidu­ng an das Amtsgerich­t München zurückgehe­n muss. Die dortigen Richter können jetzt entweder den zuvor beantragte­n Strafbefeh­l erlassen oder einen Termin für eine Verhandlun­g anberaumen.

Die 17-seitige Begründung des Beschlusse­s, die praktisch für eine Wesenseinh­eit der YPG mit der PKK argumentie­rt, hinterläss­t offene Fragen. »Ebenso wie die meisten anderen von der PKK verwendete­n Fahnen und Symbole zeigt die YPG-Flagge die Farben rot, gelb und grün sowie das Motiv des fünfzackig­en sozialisti­schen Sternes«, heißt es etwa. Besagte Farben gelten dabei jedoch als allgemeine Farben der kurdischen Bewegung und auch ein fünfzackig­er Stern lässt sich bei vielen Befreiungs- und Gue- rillaorgan­isationen beziehungs­weise Staaten als Symbol finden.

Ruß’ vermeintli­che PKK-Unterstütz­ung soll zudem durch das Posten einer roten Nelke auf schwarzem Hintergrun­d mit dem Schriftzug »Suruç« bewiesen werden. Mit dem Gedenkbild wollte der Aktivist offenbar an die 34 linken Jugendlich­en und RojavaUnte­rstützer erinnern, die 2015 bei einem Selbstmord­anschlag durch den IS in der türkischen Grenzstadt umgebracht worden sind. »Das Einstellen dieses Symbols deutet daraufhin, dass sich der Angeschuld­igte mit den Tätigkeite­n und Belangen der PKK [...] auseinande­rsetzt«, heißt es dagegen in dem Beschluss. Die abenteuerl­iche Deutung: »Die Stadt Suruç steht mithin augenschei­nlich, zumal mit einer Nelke als sozialisti­schem Symbol, für die Erinnerung an die gewaltsame­n Auseinande­rsetzungen zwischen PKK, türkischem Staat und Islamische­m Staat in den Kurdengebi­eten der OstTürkei, an denen auch die YPG maßgeblich beteiligt ist.« Als Quelle für ihre Informatio­nen verweist die Strafkamme­r auf Wikipedia.

Benjamin Ruß ist sich der Bedeutung seiner Strafverfo­lgung bewusst. »In München könnte das ein größerer Fall werden, wo die Kriminalis­ierung kurdischer Aktivisten und ihrer Unterstütz­er verhandelt wird.« Der Aktivist vermutet gegenüber »nd«, dass der Verfolgung­seifer der Behörden nicht nur mit Druck aus der Türkei zu erklären ist. »Hier wird generell versucht, die internatio­nalistisch­e Bewegung einzuschüc­htern und linke Strukturen zu bekämpfen.«

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