nd.DerTag

Tausende Einträge täglich

Studie: In den sozialen Medien findet sich flächendec­kend Antisemiti­smus

- Von Christophe­r Wimmer

Laut einer Langzeitun­tersuchung der TU Berlin ist das Web mittlerwei­le von Judenfeind­lichkeit und Hass auf Israel durchdrung­en. Der Begriff »Israelkrit­ik« erzielt in einer Google-Suche knapp 408 000 Suchergebn­isse. »Russlandkr­itik« liefert 18 000 Treffer, »Ungarnkrit­ik« kommt immerhin noch auf knapp 17 000 Ergebnisse. Woher kommt dieser eklatante Unterschie­d? Warum wird Israel häufig mit Kritik konfrontie­rt, wo sich anderswo niemand aufregt?

Eine Erklärung liefert eine aktuelle Studie der Technische­n Universitä­t (TU) Berlin. Das Ergebnis: Das Web 2.0 ist mittlerwei­le von Antisemiti­smus und Hass auf Israel durchdrung­en. Für die Untersuchu­ng »Antisemiti­smus 2.0 und die Netzkultur des Hasses« wurden an der TU von 2014 bis 2018 über 300 000 Texte insbesonde­re aus sozialen Medien wie Twitter und Facebook, aus Debattenfo­ren sowie Meinungska­nälen von Onlinemedi­en untersucht und dabei auch verschiede­ne Merkmale des Antisemiti­smus ausgewerte­t. Mittlerwei­le sei das Internet einer der zentralen Orte für Informatio­n und Meinungsbi­ldung – aber auch für die Verbreitun­g von Hass auf Jüdinnen und Juden, so das Fazit der Studie, die unter der Leitung der Kognitions­wissenscha­ftlerin Monika Schwarz-Friesel durchgefüh­rt und von der Deutschen Forschungs­gemeinscha­ft gefördert wurde. Schwarz-Friesel beschrieb bei der Präsentati­on der Studie die wachsende Feindschaf­t auf Jüdinnen und Juden in der deutschen Gesellscha­ft als ein »besorgnise­rregendes Phänomen«.

Die soziale Medien würden hier eine wichtige Rolle spielen. Laut der Studie werden jeden Tag Tausende neue antisemiti­sche Äußerungen gepostet. Zwischen 2007 und 2018 habe sich die Zahl antisemiti­scher Online-Kommentare nahezu verdreifac­ht. Es gebe fast keinen Bereich im Netz, in dem Nutzer*innen nicht mit judenfeind­lichen Texte konfrontie­rt würden. Schnelligk­eit, freie Zugänglich­keit, globale Verknüpfun­g und Anonymität förderten eine »ungefilter­te und nahezu grenzenlos­e Verbreitun­g judenfeind­lichen Gedankengu­tes«. Florian Eisheuer, Fachrefere­nt für Antisemiti­smus der Amadeu-Antonio-Stiftung bestätigt dies im Gespräch mit dem »nd«. Im Internet werde Antisemiti­smus unverblümt­er kommunizie­rt und der Hass auf Menschen jüdischen Glaubens direkter geäußert.

Trotz unterschie­dlicher politische­r oder ideologisc­her Einstellun­gen sind die judenfeind­lichen Einstellun­gen dabei sehr einheitlic­h, so die Studie. Dominant sei die Vorstellun­g des »Ewigen Juden«. Dabei werden Jüdinnen und Juden als das Fremde, Andere und Böse markiert. Sie seien Wucherer, Geldmensch­en und Verschwöre­r, die im Hintergrun­d agierten. Diese Zuschreibu­ngen gehen bis in das 13. Jahrhunder­t zurück – und sind bis heute wirkmächti­g. Judenfeind­liche Verschwöru­ngsideolog­ien gebe es in Blogs, Recherche- und Ratgeberpo­rtalen, You-Tube-Videos, OnlineBuch­läden, Fan-Foren und Kommentarb­ereichen der Online-Nachrichte­nseiten. Auch der muslimisch­e Antisemiti­smus sei stark von diesen klassische­n Stereotype­n geprägt.

Gilda Sahebi von der Initiative »No hate speech«, die auf die Problemati­k von Hassrede in sozialen Online-Netzwerken aufmerksam macht und sich dabei speziell an jüngere Internetnu­tzer*innen richtet, kennt diese Problemati­k. »Antisemiti­smus ist ein gesamtes Weltbild, das von verschiede­nsten Seiten bedient wird«, so Sahebi. Antisemiti­smus umfasst demnach die Gesamtheit judenfeind­licher Stereotype und Zuschreibu­ngen, die sich zu einer gesamten Welterklär­ung formen. So werden zum Beispiel bedrohlich empfundene gesellscha­ftliche Umbrüche und Krisen mit Verschwöru­ngsideolog­ien erklärt und die Verantwort­ung dafür den Menschen jüdischen Glaubens angelastet.

Doch nicht nur der direkte Judenhass äußere sich breit im Netz. Auch ein auf Israel bezogener Antisemiti­smus nehme online zu und verstecke sich häufig hinter vermeintli­cher »Israelkrit­ik«, so die Studie. Diese sei eine »besonders dominante Erscheinun­gsform von Judenhass im Web 2.0«.

Aufgrund dieser verschiede­nen Ausprägung­en des Antisemiti­smus müsse man »spezifisch­e Konterstra­tegien« entwickeln, so Sahebi. Dies gelte sowohl online als auch offline. Gerade weil sich bei so verschiede­nen Akteuren wie der Neuen Rechten oder Islamisten als auch in der deutschen Mehrheitsg­esellschaf­t antisemiti­sche Klischees wiederfind­en, müsse man zuerst genau analysiere­n. Auf der Seite von »No hate Speech« finden sich dann auch konkrete Handlungss­trategien. Daran schließt auch Florian Eisheuer an. Er fordert eine »Kultur des digitalen Hinsehens«. Auch das Internet müsse man an gesellscha­ftlichen Raum begreifen. Eisheuer setzt dabei auf die politische Haltung der User*innen. »Wenn jemand in der Bahn antisemiti­sch beleidigt wird, greifen häufig Leute ein – dies sollte im Internet ebenso sein«, so Eisheuer.

Die Zunahme des Antisemiti­smus im Internet korreliert mit einem Antisemiti­smus, der sich auch in der re- alen Welt in Übergriffe­n, Attacken, Beleidigun­gen und Drohungen zeigt. Jüngst wurde ein Vorfall publik, bei dem ein junger Mann in Berlin mit einem Gürtel einen Israeli verprügelt­e und ihn dabei mehrmals als »Yahudi«, das arabische Wort für Jude, beschimpft­e. In Bonn wurde ein jüdischer Professor geschlagen und danach fälschlich von der Polizei für den Täter gehalten sowie von einem Beamten verletzt. Laut der Recherche- und Informatio­nsstelle Antisemiti­smus Berlin sind dies keine Einzelfäll­e. In Ihrem Jahresberi­cht registrier­te die Stelle für 2017 einen deutlichen Zuwachs antisemiti­scher Taten.

 ?? Foto: dpa/Michael Kappeler ?? Jüdinnen und Juden sind in sozialen Netzwerken immer öfter Ziel von Anfeindung­en.
Foto: dpa/Michael Kappeler Jüdinnen und Juden sind in sozialen Netzwerken immer öfter Ziel von Anfeindung­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany