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Israel wird »jüdischer Nationalst­aat«

Knesset verabschie­det umstritten­es Gesetz, Palästinen­ser fürchten um politische Teilhabe

- Von Oliver Eberhardt, Jerusalem

Kritik von links und rechts und vier Jahre Verhandlun­gen: Mit dem Nationalst­aatsgesetz gibt sich Israel ein »Grundgeset­z«und definiert sich als jüdisch. Kritiker monieren die Diskrimini­erung von Arabern.

Vier Jahre lange hatten Israels Politik und Gesellscha­ft über dieses Gesetz gestritten, unzählige Male wurde der Wortlaut überarbeit­et, der Entwurf in die Schublade gesteckt, wieder hervor geholt. Bis dann am Mittwochab­end Aiman Odeh von der Vereinten Liste, der gemeinsame­n Parlaments­fraktion der arabischen Parteien, die endgültige Fassung demonstrat­iv zerriss und Regierungs­chef Benjamin Netanjahu von einem »historisch­en Moment in der Geschichte des Staates Israel und des Zionismus’« sprach. Kurz zuvor hatte die Knesset das Gesetz verabschie­det und ihm den Status eines »Grundgeset­zes« verliehen. In Israel gibt es keine Verfassung, stattdesse­n räumen die Gerichte der Unabhängig­keitserklä­rung aus dem Jahr 1948 sowie den Grundgeset­zen, die grundlegen­de staatliche Funktionen und Rechte und Pflichten definieren, Verfassung­srang ein.

Das Nationalst­aatsgesetz soll den jüdischen Charakter des Staates Israel festschrei­ben und zu seiner Förderung beitragen. Dabei schreibt die Beschlussf­assung zu einem großen Teil bereits seit langem entweder gesetzlich geregelte oder praktizier­te Dinge fest: die Flagge, die Nationalhy­mne, nationale Gedenk- und Feiertage, den Namen des Staates. Darüber hinaus wird aber auch festgelegt, dass »Jerusalem, komplett und vereinigt« die Hauptstadt ist, dass Hebräisch die offizielle Sprache ist und Arabisch einen »speziellen Status« hat. Israel sei nationale Heimstatt der Juden, »das Recht der nationalen Selbstbest­immung« in Israel stehe einzig dem jüdischen Volk zu.

Die Kritik am sogenannte­n Nationalst­aatsgesetz ist groß. Nicht nur die arabischen Parteien, sondern auch die gesamte Opposition und Teile der Koalition, die rechte und religiöse Parteien umfasst, sind dagegen. Nur durch diverse Deals und massiven Druck gelang es Netanjahu, das Gesetz mit einer sehr dünnen Mehrheit von 62 zu 55 durchs Parlament zu bringen. Zwei Koalitionä­re stimmten mit der Opposition, drei weitere verließen vor der Abstimmung den Saal.

Ein Passus, der es Kommunen ermöglicht hätte, ihren ethnischen oder religiösen Charakter durch Zuzugsbesc­hränkungen zu schützen, wurde kurz vor der Abstimmung gestrichen. Doch auch viele der verblieben­en Paragrafen stoßen nicht nur bei Arabern, die 17,5 Prozent der Bevölkerun­g ausmachen, auf heftige Gegenwehr. So wird die schwammige Feststellu­ng, das Recht auf nationale Selbstbest­immung in Israel stehe allein dem jüdischen Volk zu, als Tür für eine Einschränk­ung der Teilnahme von Nicht-Juden an der politische­n Willensbil­dung gesehen. »Man könnte vor Wahlen Kandidaten unter Bezugnahme auf diesen Paragrafen ausschließ­en,« sagt Odeh. Sprecher Netanjahus bestreiten das, doch vor allem am rechten Rand des Likud wird genau darüber bereits gesprochen. Vor allem ausgesproc­hene Zionismus-Kritiker wie die arabische Abgeordnet­e Hanin Zoabi sind der Rechten ein Dorn im Auge. Mehrmals wurde versucht, ihre Kandidatur zu verhindern. Stets intervenie­rte der Oberste Gerichtsho­f, der auf die Unabhängig­keitserklä­rung verwies, die Beteiligun­gsrechte »für alle Einwohner« garantiert und Meinungsfr­eiheit gewährt.

Doch nicht nur Araber könnten betroffen sein. Denn bis heute ist nicht geklärt, wer wann ein Jude ist. Die israelisch­e Staatsbürg­erschaft erhält, wer mindestens einen jüdischen Großeltern­teil hat. Doch die religiöse Definition wird vom orthodox dominierte­n Oberrabbin­at nach strengen Regeln festgelegt. Da es in Israel keine zivilen Trauungen gibt, hängt von den Entscheidu­ngen des Rabbinats auch ab, ob eine Eheschließ­ung in Israel möglich ist.

Nach Angaben des Statistika­mtes waren 2017 nur 62 Prozent der israelisch­en Staatsbürg­er als Juden registrier­t, die Religionsz­ugehörigke­it wird in den Personalau­sweisen angegeben. Und so erklärt sich auch, warum auch rechte Parteien wie Jisrael Beitenu von Verteidigu­ngsministe­r Avigdor Liebermann gegen das Gesetz sind: Ihre Wähler sind überwiegen­d Einwandere­r aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunio­n. Viele von ihnen sind rechts, definieren sich als Juden, werden aber nicht als Juden eingestuft. Dafür wäre ein orthodoxes Koversions­verfahren notwendig. Und das wäre aufwändig und teuer.

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Foto: dpa/Olivier Fitoussi Jamal Zahalka wird wegen seines Protest gegen das »Nationalst­aatsgesetz« aus der Knesset gewiesen.

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