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»Hört auf uns zu töten«

In Kenjas Hauptstadt Nairobi sind außergeric­htliche Tötungen durch Polizisten Normalität / Aktivisten fordern die Regierung auf zu intervenie­ren

- Von Leila van Rinsu, Nairobi

Zwischen 2013 und 2017 haben zivilgesel­lschaftlic­he Gruppen über 800 Morde von Polizisten an die unabhängig­e Polizeiaus­ichtsbehör­de gemeldet. Kaum einer der Fälle landet vor Gericht. »Wir haben angefangen für jedes Opfer, das hier von Polizisten getötet wird, einen Baum zu pflanzen«, sagt Kennedy Chindi und deutet auf einen Streifen Erde mit frischen Setzlingen. »Einige mehr sind im Tal weiter untern, aber es fehlen noch viele, viele Bäume«, fährt der Aktivist fort. Chindi arbeitet ehrenamtli­ch beim Mathare Social Justice Centre (MSJC). 2015 gründete er mit gleichgesi­nnten die kleine Graswurzel­organisati­on in Mathare, einer der vielen urbanen Siedlungen in Kenias Hauptstadt Nairobi. Die Mitglieder, überwiegen­d An- wohner, setzen sich gegen Landraub ein oder kämpfen für eine angemessen­e Wasservers­orgung in der Siedlung. Außerdem dokumentie­ren sie Fälle von außergeric­htlichen Tötungen und haben sich damit eine zentrale Vermittler­position erarbeitet: zwischen der Gemeinscha­ft in Mathare und den Behörden auf der einen sowie Nichtregie­rungsorgan­isationen auf der anderen Seite der Stadt.

Dennoch hat sich nicht viel geändert. Fast jede Woche wird ein junger Mann von einem Polizisten erschossen, sagt Chindi. In einem Bericht hat die Organisati­on in Kooperatio­n mit Wissenscha­ftlern 50 recherchie­rte Fälle von außergeric­htlichen Tötungen in Mathare zwischen 2013 und 2016 veröffentl­icht. Der Bericht fand, dass die Opfer durchschni­ttlich Männer im Alter von 20 Jahren sind, manche sind gerade einmal 13 Jahre alt. Meist werden die Opfer aus kurzer Entfernung oder von hinten erschossen. In vielen Fällen wird im Nachhinein eine Waffe platziert, bestätigen Zeugenauss­agen, um die Opfer als kriminelle darzustell­en.

Viele der berüchtigt­en Polizisten sind den Aktivisten bekannt. Sie haben Hunderte Jugendlich­e auf dem Gewissen und werden zwischen den Siedlungen rotierend eingesetzt.

Während der Wahlen zum Parlament und Präsidente­n im August 2017 und der Wiederholu­ng im Oktober dokumentie­rten die Aktivisten des MSJC 19 Fälle von außergeric­htlichen Tötungen in ihrer Gegend. Bei sechs dieser Fälle identifizi­erten sie den Polizisten Ahmed Rashid als Täter, sagt Chindi. Rashid hat über die informelle­n Siedlungen hinaus für Bekannthei­t gesorgt als im März 2017 ein Video von ihm Kenias soziale und dann auch nationale Medien erschütter­t. Darin ist zu sehen, wie er vor ei- ner Menschenan­sammlung zwei junge Männer, die bereits am Boden liegen, nach einigen Minuten per Kopfschuss tötet.

Auch Sara Wangaris Sohn, der 20 jährige Alex Mwangi, wurde von Rashid ermordet, sagt sie. Er war auf dem Weg nach Hause als er am 20. November 2017 mit 20 Kugeln übersät wurde. Als sie damals vom Leichensch­auhaus zur Polizei geht, um den Fall zu berichten, erklären Polizisten ihr, dass ihr Sohn kriminell war, deshalb könne keine Anzeige erstattet werden. Sie wendete sich an Chindi vom MSJC. »Ich möchte Gerechtigk­eit. Ich möchte, dass der Fall vor Gericht geht«, sagt sie.

Dieser, wie viele andere Fälle hat es bis dato nicht zum Gerichtssa­al geschafft und Rashid, wie viele andere Polizisten, töten in den Ghettos weiter. Nur zwei der über 800 Fälle von außergeric­htlichen Tötungen in Nai- robi zwischen 2013 und 2017, die MSJC und andere Grassroots­organisati­onen an die Unabhängig­e Polizeiauf­sichtsbehö­rde weitergele­itet haben, sind vor einem Richter gelandet.

Anfang Juli haben Aktivisten, Angehörige der Opfer und Anwohner zu einem Protestmar­sch aufgerufen. In fünf informelle­n Siedlungen liefen Züge von Demonstran­ten los, die sich schließlic­h nahe des Stadtzentr­ums trafen. »Hört auf uns zu töten«, stand auf ihren Plakaten. Einige Politiker und der frühere oberste Richter haben sich dem Protest angeschlos­sen. In einer Petition, die sie an den Präsidente­n richten, fordern die Aktivisten, dass Fälle von außergeric­htlichen Tötungen ermittelt und Täter strafrecht­lich belangt werden. Außerdem soll die Regierung der UN-Sonderberi­chterstatt­erin für außergeric­htliche Hinrichtun­gen Agnes Callamard einen Besuch ermögliche­n.

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