Globaler Handel mit Nebenwirkungen
Produktionsoptimierung in China führte wahrscheinlich zum Rückruf des Blutdrucksenkers Valsartan
In der Pharmaindustrie stellen Auftragsfertiger die Wirkstoffe für viele Unternehmen her. Kommt es zu Verunreinigungen, so hat dies weltweit Folgen, wie der Rückruf des Blutdrucksenkers Valsartan zeigt.
Die Konzentrationsprozesse in der Pharmaindustrie waren in der Vergangenheit eher ein Thema für Börsenspekulanten und ökonomisch Interessierte. Inzwischen kommen die Auswirkungen auch bei den Patienten an, weil die Zahl der Wirkstoffhersteller kleiner wird und mitunter nur einige wenige den weltweiten Bedarf abdecken. Wie sich im aktuellen Fall von Valsartan zeigt, haben Veränderungen in der Fertigung nur eines Herstellers, der chinesischen Zhejiang Huahai Pharmaceutical, weltweit Auswirkungen. Seit Anfang Juli kam es in 22 Ländern zu Rückrufen des verunreinigten Medikaments.
Valsartan ist auch in Deutschland ein häufig verschriebener Blutdrucksenker, der in verschiedenen Dosierungen sowie in Kombination mit einem Entwässerungsmittel in die Apotheken kommt. Der Wirkstoff ist seit 1996 auf dem Markt und seit 2011 patentfrei. Laut Arzneimittelverordnungsreport werden jährlich 717 Millionen Tagestherapiedosen verordnet. Insgesamt gibt es allein in der Bundesrepublik etwa 950 zugelassene Varianten, die von verschiedenen Herstellern in den Vertrieb gebracht werden. Fast alle decken sich in China mit Valsartan ein. Nur vier Anbieter beziehen ihren Wirkstoff von anderen Herstellern, etwa aus Indien, Israel und Slowenien.
Der Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical hat 2012 den Herstellungsprozess effizienter gemacht und die Synthese verändert. Vermutlich wurde dabei ein anderes Lösungsmittel eingesetzt, das zu der Verunreinigung mit der potenziell krebserzeugenden Substanz N-Nitrosodimethylamin (NDMA) führte. Dies wurde von dem Lohnhersteller aus der Provinz Zhejiang, der im Auftrag anderer Unternehmen Produkte herstellt, selbst »zufällig« entdeckt. Der Hinweis dazu kam aber möglicherweise von einem europäischen Generikahersteller, der Valsartan auf den Markt bringen wollte und seine Waren gründlich kontrollierte. Zhejiang Huahai versucht jetzt, einen NDMANachweistest zu entwickeln, um die eigenen Chargen zu prüfen und wie- der eine Freigabe zu bekommen. Wie es mit dem Medikament weitergeht, ist noch völlig offen. Auf EU-Ebene ist die Bewertung des Gefährdungspotentials noch nicht abgeschlossen.
Auch wenn noch nicht absehbar ist, ob das verunreinigte Valsartan tatsächlich zu Gesundheitsschäden geführt hat, ist der Ärger mit den betroffenen Medikamenten bereits groß. Hersteller, die den Wirkstoff verarbeiten, sowie Großhandel und Apotheken dürfen die rückgerufenen Chargen nicht weitergeben, sondern müssen sie lagern und wahrscheinlich vernichten.
Patienten sollen das Mittel nicht einfach absetzen und können es sich oft auch nicht einfach austauschen lassen. Sie benötigen meist ein neues Rezept, bei dessen Einlösung sie möglicherweise mit einem Festbetrag um die 100 Euro konfrontiert sind. Das hat mit den Varianten der Vertragsgestal- tung zwischen Krankenversicherern und Pharmaherstellern zu tun. So können vorhandene Rabattverträge quasi ausfallen, Ersatz wird teurer. Bei der Barmer sind zum Beispiel drei valsartanhaltige Medikamente von den Verunreinigungen betroffen, für die auch ein Rabattvertrag besteht. 85 000 Versicherte allein dieser Kasse müssen sich nun um ihre Neumedikation kümmern.
Einige Krankenkassen haben bereits angekündigt, die zusätzlichen Kosten komplett zu übernehmen. Da absehbar ist, dass sich Ersatzpräparate nicht in ausreichender Menge auf dem Markt befinden, müssen behandelnde Ärzte eventuell auf andere Wirkstoffe umstellen. Also sind auch zusätzliche Arztbesuche eine Folge der Produktionsoptimierung in China.
Die Rückrufaktion in Deutschland ist indes weitestgehend beendet. Die betroffenen Hersteller kündigen Lie- ferengpässe an, da sie Valsartan aus anderen Quellen erst sichern müssen. Das könnte teils bis Sommer 2019 dauern.
Für die Hersteller gibt es eine Selbstverpflichtung zur Anzeige von Lieferengpässen. Bislang fand die Debatte zu Lücken im Apothekenregal eher in der Fachöffentlichkeit statt, aber das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sah sich veranlasst, einen regelmäßigen festen Termin zu dem Thema einzurichten. Dazu sind Vertreter von Ärzten, Apothekern, Pharmaverbänden sowie das Bundesgesundheitsministerium geladen, außerdem weitere offizielle Stellen.
Anfang Juli ging es hier unter anderem um Acetylsalicylsäure zur Injektion und um Ibuprofen. Über die sichere Belieferung mit letztgenanntem Schmerzmittel musste schon im März gesprochen werden. Zunächst hatte wohl nur der Ibuprofensaft gefehlt, die lang dauernde Grippewelle galt als Ursache. Dann stellte aber ein BASF-Werk im US-Bundesstaat Texas die Produktion des Wirkstoffes ein, womit einer der wichtigsten Lieferanten ausfiel. Die verbleibenden fünf Fabriken weltweit, jeweils zwei in China und Indien sowie eine weitere in den USA, produzierten zuvor bereits am Anschlag. Die Chinesen sind jedoch mit neuen Umweltauflagen konfrontiert, und eine der Firmen nimmt erst 2019 wieder Bestellungen an.
Selbst westliche Branchenvertreter monieren, dass Pharmaunternehmen häufig fertige Ware von Lohnanbietern beziehen und keinen direkten Kontakt zu Lieferanten haben. Die Nebenwirkungen des immer weniger übersichtlichen globalen Handels haben in der Pharmabranchen am Ende auch die Patienten zu tragen.