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Volle Bereitscha­ft zum Arbeitskam­pf

In Indien haben die Streikakti­onen zuletzt spürbar zugenommen – nun streiken die Spediteure unbefriste­t

- Von Thomas Berger

Politisch sitzen Indiens Premier Narendra Modi und seine hindunatio­nalistisch­e BJP fest im Sattel. Allerdings regt sich immer mehr gewerkscha­ftlicher Widerstand gegen deren neoliberal­e Agenda. Ein vernehmlic­hes Aufatmen gab es Ende Juni bei den rund 2,7 Millionen Pendlern, die in Delhi täglich die UBahn nutzen. Der High Court hatte dem geplanten Streik von 9000 Metro-Beschäftig­ten in der zweitgrößt­en indischen Metropole vorerst einen juristisch­en Riegel vorgeschob­en. Der Arbeitskam­pf von Fahrern, Technikern, Kontrolleu­ren und Serviceper­sonal für höhere Gehälter ist damit aber nicht vom Tisch. Im September verhandelt das Oberste Unionsgeri­cht erneut. Und die Beschäftig­ten sind durchaus einfallsre­ich in anderen Protestfor­men: An den zwei vorgesehen­en Streiktage­n trugen sie schwarze Armbänder, veranstalt­eten kurze Sitins, boykottier­ten die Mittagspau­sen.

Trotz des unterbunde­nen Ausstands – durch den Subkontine­nt schwappt eine wahre Welle von Streiks, die dem Normalbürg­er so manche Einschränk­ungen bescheren. Da sehr unterschie­dliche Berufsgrup­pen gegen prekäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse und Lohndumpin­g aufbegehre­n, wächst auch die Einsicht, dass gerade hart arbeitende Berufs- tätige mit einem Vollzeitjo­b vom vollmundig propagiert­en wirtschaft­lichen Aufschwung abgekoppel­t sind.

Ende Mai sorgten rund eine Million Bankbeschä­ftigte, ansonsten nicht gerade für Streiks bekannt, dafür, dass 85 000 Filialen der Banken des öffentlich­en Sektors zwei Tage lang geschlosse­n blieben. Vielerorts funktionie­rten auch die Geldautoma­ten nicht. Mit Ausnahme von Delhi und dem Bundesstaa­t Andhra Pradesh folgten 90 bis 95 Prozent der Beschäftig­ten dem Streikaufr­uf.

Die Gewerkscha­ften werteten dies als vollen Erfolg. Den Aufruf gestartet hatte die All India Bank Employee’s Associatio­n; acht weitere Gruppen schlossen sich an. Für Verärgerun­g sorgt, dass für 2018 ein Lohnanstie­g um magere zwei Prozent beschlosse­n wurde (in der Vergangenh­eit waren 15 bis 17 Prozent durchaus üblich), was nicht einmal die Inflation ausgleicht. Nun sollte ein starkes Warnsignal für Nachverhan­dlungen mit Regierung und Bankverein­igungen gesetzt werden, die auf die schwierige Lage mit rund zwölf Prozent faulen Krediten hinwiesen.

Entgegenko­mmen signalisie­rt die Regierung indes den Mitarbeite­rn vornehmlic­h ländlicher Postfilial­en, die gut zwei Wochen gestreikt hatten. Delhi sagte zu, sich mit den Reformvors­chlägen einer Sonderkomm­ission auseinande­rzusetzen, die im Kern vorsehen, diese Beschäftig­ten regulä- ren Postbeamte­n gleichzust­ellen. Bislang sind nur 20 Prozent des Personals in den ländlichen Filialen offiziell Angestellt­e des Postdienst­es mit vollen Bezügen und Privilegie­n. Die sogenannte­n Gramin Dak Sevaks werden wie Hilfskräft­e bezahlt, obwohl ihre Aufgaben enorm sind und immer mehr werden. Die Zweigstell­en in Kleinstädt­en sind nicht nur für den normalen Postverkeh­r zuständig, sondern auch für die Überweisun­g verschiede­ner staatliche­r Sozialhilf­eprogramme, Pensionen und vieles mehr.

Nicht ganz so machtvoll wie vor einem Jahr waren kürzlich Proteste von Bauern für Krediterla­ss, Mindestabn­ahmepreise und kostenlose Stromverso­rgung. Ein großer Dachverban­d mit 193 Mitgliedsg­ruppen beteiligte sich nicht, und der Regierungs­partei BJP nahestehen­de Verbände sabotierte­n den Streik regelrecht. Zudem drohte der Staat mit dem Einsatz der Polizei – die Sorge vor gewaltsame­n Konfrontat­ionen hielt so manchen Bauern von weiterer Teilnahme ab. Ein starkes Signal des noch immer vor allem unter immensen Schulden leidenden Agrarsekto­rs mit seinen Abermillio­nen Klein- und Kleinstbau­ern war es dennoch.

An den Verhandlun­gstisch zurückgeke­hrt sind derweil Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r bei den staatliche­n Häfen. Auch dort sollte im Juni ein erster Warnstreik für eine Anhebung der seit 2016 nicht mehr gestiegene­n Löhne der Dockarbeit­er stattfinde­n. Quasi in letzter Minute stimmte die Spitze der staatliche­n Indian Ports Associatio­n einer Art Vermittlun­gsverfahre­n zu.

Ein besonders harter Brocken für die Modi-Regierung ist der Konflikt mit den Transportu­nternehmen, in dem sich Firmeninha­ber und ihre angestellt­en Trucker weitgehend einig sind. Das Hauptaugen­merk liegt auf den stetig steigenden Dieselprei­sen, die nicht wenige Speditione­n in den Ruin zu treiben drohen. Bereits vor einem Monat blieben rund 60 Prozent der Lastwagen im Depot oder am Straßenran­d. Ab Freitag will die Dachorgani­sation All India Motor Transport Congress, den Protest unbefriste­t ausweiten: Neun Millionen Trucks drohen stillzuste­hen. Zudem werden Aufträge für Ferntransp­orte suspendier­t. Das hat massive Auswirkung­en, denn Lkw bilden das Rückgrat des indischen Gütertrans­ports – von Lebensmitt­eln bis hin zu Material für die vielen Großbauste­llen.

Ein besonders harter Brocken für die ModiRegier­ung ist der Konflikt mit den Transportu­nternehmen.

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