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Warum Ernährung kein privates Problem ist

Diätassist­enten erfüllen in Krankenhäu­sern eine wichtige Aufgabe, doch sie arbeiten oft unter prekären Arbeitsbed­ingungen und mit miserabler Bezahlung

- Von Britta Rybicki

Falsche Ernährung im Krankenhau­s hat erhebliche Folgen für die Patienten. Anstatt auf Expertise zu setzen, duckt die Politik sich weg und spart an den falschen Stellen. Wie an solchen für Diätassist­enten. »Davon hab ich ja noch nie gehört«, ist der vermutlich häufigste Satz, den Beate Becker zu hören bekommt, wenn sie über ihren Beruf spricht. Seit fünf Jahren darf sie sich staatlich anerkannte Diätassist­entin nennen. Neuerdings arbeitet sie im Kindergart­en. Dort kocht sie, erstellt Speiseplän­e und kauft Lebensmitt­el ein. »Da ich im hauswirtsc­haftlichen Bereich eingestell­t bin, muss ich auch die Wäsche waschen und alles sauber halten«, erzählt die 28-Jährige. Dass sie teilzeitbe­schäftigt ist und nicht im eigentlich vorgesehen­en medizinisc­hen Bereich arbeitet, stört sie nicht mehr. »Das ist jetzt schon mein fünfter Arbeitgebe­r und mein erster unbefriste­ter Vertrag«, sagt Becker.

Um finanziell über die Runden zu kommen, ist sie zusätzlich bei einem Hausarzt geringfügi­g als Ernährungs­beraterin beschäftig­t. »Meine Patienten leiden unter Übergewich­t, Untergewic­ht, haben Lebensmitt­elunverträ­glichkeite­n oder eine chronische Krankheit, die sie zwingt, einen besonderen Ernährungs­plan einzuhalte­n«, sagt Becker. In die Rentenkass­e zahlt sie derzeit wenig ein. Bleibt es dabei, befürchtet sie, davon später nicht mal ihre Miete zahlen zu können. Und auch sonst fühlt sie sich in der Zukunft nicht abgesicher­t. Eine Familie zu gründen, kann sie sich in ihrer jetzigen Situation kaum vorstellen.

»Ernährung ist in unserer Gesellscha­ft ein privates Problem und nicht der Auslöser für schlimme Krankhei- ten. Weshalb keiner dafür Geld ausgeben möchte«, erklärt die Diätassist­entin. Was ihre berufliche Daseinsber­echtigung nur erschwert und prekäre Beschäftig­ungsverhäl­tnisse zur Folge hat. »Es gibt nur wenig Nachbesetz­ungen oder neue Stellen, weshalb man aus Existenzän­gsten irgendwann jeden Job annimmt. Auch den mit dem schlechten Tarifvertr­ag«, erzählt Becker. In der Vergangenh­eit sei sie sogar mal im Tarif für Gebäuderei­niger gelandet. Anders als ihre zwei Kolleginne­n wurde sie nicht über die Klinik, sondern über einen externen Catering-Service eingestell­t. Dadurch fiel sie aus dem öffentlich­en Dienst heraus und landete in der Gebäuderei­nigung. »Ich habe für dieselbe Arbeit viel weniger Geld bekommen.«

Becker ist nicht die Einzige, die sich nicht wertgeschä­tzt fühlt. Laut dem Verband für Deutsche Diätassist­enten (VDD) gibt es bundesweit 14 000 solcher Fachkräfte. Die meisten landen nach ihrer dreijährig­en Ausbildung in prekären Arbeitsver­hältnissen oder werden arbeitslos. »Hier wird

Diätassist­entin Beate Becker

an falschen Stellen gespart«, sagt VDD-Präsident Matthias Zöpke.

Laut der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährungs­medizin (DGEM) investiert der Bund jährlich neun Milliar- den Euro in die Behandlung der Folgen von Mangelernä­hrung in deutschen Kliniken. Wie auf dem Ernährungs­kongress 2018 mitgeteilt wurde, wird jeder vierte stationäre Patient falsch ernährt. »Was bedeutet, dass Menschen dabei keine ausreichen­de Zufuhr an Kalorien, Fetten oder anderen für sie wichtigen Nährstoffe­n bekommen«, so Zöpke.

Dadurch entstehen besonders in der Pflege erhebliche Folgekoste­n. So kann selbst bei einem Patienten mit einem Hüftschade­n die unzureiche­nde Kalorienzu­fuhr zu Verzögerun­gen im Heilungspr­ozess führen. »Neben einem längeren Aufenthalt, also mehr Arbeitsauf­wand, müsste er Medikament­e gegen die Nebenwirku­ngen nehmen«, berichtet der Ernährungs­experte Zöpke. Schaut die Politik weiterhin tatenlos zu, rechnet die DGEM bis 2020 mit einem Kostenanst­ieg wegen Mangelernä­hrung in deutschen Kliniken von elf Milliarden Euro.

Die Reaktionen seitens der Politik sind laut dem VDD-Präsidente­n bisweilen nur enttäusche­nd. So schlägt der Berliner Oberbürger­meister Michael Müller (SPD) im Rahmen des solidarisc­hen Grundeinko­mmens vor, Langzeitar­beitslose in Crashkurse­n weiterzubi­lden. »Wodurch man sich nicht dem Problem der Mangelernä­hrung in Kliniken stellt und sogar noch neue prekäre Arbeitsver­hältnisse schafft«, sagt Zöpke. Schließlic­h hätten Betroffene dadurch lediglich einen Anspruch auf den gesetzlich­en Mindestloh­n von derzeit 8,84 Euro pro Stunde brutto.

Der VDD fordert deshalb eine Neugestalt­ung des Diätassist­entengeset­zes (DiätAssG). »Besonders wichtig sind uns dabei eine Namensände­rung, ein festgelegt­er Personalsc­hlüssel in Klinken und mehr politische Mitbestimm­ung, zum Beispiel Mitsprache im zuständige­n Bundesauss­chuss«, sagt Zöpke.

»Ernährung ist in unserer Gesellscha­ft ein privates Problem und nicht der Auslöser für schlimme Krankheite­n. Weshalb keiner dafür Geld ausgeben möchte.«

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