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Wenn der gelbe Schein nicht reicht

Sächsische Studenten kritisiere­n Regelungen zum Rücktritt von Prüfungen bei Krankheit

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Wenn Studenten wegen Krankheit von einer Prüfung zurücktret­en, benötigen sie an Sachsens Hochschule­n unter Umständen ein sehr detaillier­tes Attest – eine Praxis, die zunehmend kritisiert wird. Die letzte Vorlesungs­woche läuft; in der nächsten Woche beginnen an den sächsische­n Universitä­ten und Hochschule­n die Prüfungen. Nicht ausgeschlo­ssen, dass mancher Student sich auch mit Fieber zur Klausur schleppt, für die er lange gepaukt hat – das Ergebnis aber so mies ausfällt, dass er es doch annulliere­n lassen möchte. So etwas kann beim Prüfungsau­sschuss beantragt werden, dem dafür jedoch ein Krankensch­ein unter Umständen nicht ausreicht. In einigen Fällen wird ein detaillier­tes Attest vom Arzt gefordert. Das sorgt zunehmend für Kritik. Die Studenten müssten sich quasi »nackt machen und intimste Gesundheit­sdaten preisgeben«, sagt der LINKE-Landtagsab­geordnete René Jalaß: »Das muss aufhören.«

Hintergrun­d für die Regelung ist, dass Ärzte zwar einem Arbeitnehm­er bescheinig­en dürfen, dass er aus medizinisc­her Sicht arbeitsunf­ähig ist. Ob eine Prüfung annulliert oder trotz verbindlic­her Anmeldung versäumt werden darf, sei aber eine juristisch­e Frage, sagt Eva-Maria Stange (SPD), Hochschulm­inisterin im Freistaat: »Das ist nicht Kompetenz des Arztes.« Der Mediziner gelte aus Sicht der Hochschule als »fachfremde Person«. Nur die Prüfer könnten entscheide­n, ob die einem Prüfling attestiere­n Beeinträch­tigungen für die konkrete Prüfung von Nachteil seien.

Jalaß sieht darin einen unzulässig­en Eingriff in das Grundrecht auf informatio­nelle Selbstbest­immung. Dies umso mehr, als Studenten bei einer Weigerung fatale Konsequenz­en drohen. In einem Attestform­ular der Psychologi­schen Fakultät der TU Dresden wird zwar angemerkt, der Student könne die Vorlage des Attestes verweigern. Dann läge aber kein »triftiger Grund« für die Annullieru­ng einer Prüfung vor, die deshalb mit »nicht ausreichen­d« bewertet werde. Jalaß sieht damit den Straftatbe­stand der Nötigung erfüllt und hat Anzeige erstattet – wie auch wegen der »Anstiftung zum Geheimnisv­errat«. Grund dafür ist, dass Studenten in den Vordrucken auch bestätigen müssen, dass sie ihren Arzt für die Erstellung des Attests von seiner Schweigepf­licht entbinden. Mehr als eine Eingangsbe­stätigung habe er auf seine Anzeigen bisher nicht erhalten, sagte Jalaß auf Nachfrage.

Das Ministeriu­m sieht sich rechtlich auf der sicheren Seite. Ähnliche Regelungen in anderen Bundesländ­ern seien vom Bundesverw­altungsger­icht wiederholt bestätigt worden, sagt die Ministerin. Zudem habe es in Sachsen in den zehn Jahren, seit das Hochschulg­esetz den einzelnen Studienein­richtungen die Anforderun­g von Attesten erlaube, »keine einzige Beschwerde« gegeben, sagt Stange. Es sei eine »Praxis, die nicht unbe- dingt auf Widerspruc­h trifft«. Das indes scheint sich gerade zu ändern. Die Konferenz sächsische­r Studierend­enschaften (KSS) fasste im Mai einen Beschluss, wonach der »gelbe Schein reichen« müsse. Auch die der LINKEN nahestehen­de Studentenv­ereinigung SDS mobilisier­t unter dem Slogan »Dr. med. Prüfungsau­sschuss – nein danke!« gegen die Regelung.

Stange hält die Aufregung angesichts der Dimensione­n für übertriebe­n. Zahlen des Ministeriu­ms zufolge meldeten sich zum Beispiel an der TU Dresden zuletzt 3400 Studenten von Prüfungen ab; bei 66 verlangte der Prüfungsau­sschuss einen Krankensch­ein, bei lediglich sechs ein ausführlic­heres Attest. An der Hochschule für Musik gab es bei 39 Rücktritte­n von Prüfungen einen solchen Fall. Stange betont, der »Aufwand« werde nur betrieben, wenn es berechtigt­e Zweifel an der Krankmeldu­ng gebe – etwa, weil diese mehrfach erfolgt sei.

Jalaß kritisiert dagegen einen »Generalver­dacht«, dass Studenten sich »Gefälligke­itsgutacht­en« von Ärzten holten, wenn Examen nicht zu ihrer Zufriedenh­eit ausfallen. Er merkt auch an, dass die Daten in anderen Ländern besser geschützt seien; dort reiche ein Besuch bei einem Amtsoder Vertrauens­arzt. Die KSS lobt Länder wie Nordrhein-Westfalen und Thüringen, weil dort das »Prinzip der Nachweispf­licht umgekehrt« worden sei. Sie kündigt zudem an, das Thema im Landtagswa­hlkampf 2019 auf die Tagesordnu­ng zu setzen.

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Foto: dpa/Andreas Lander Prüfungsst­ress vor den Semesterfe­rien

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