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Globale Nöte der Jetztwelt

LuzinTheat­er Wittenhage­n: »Der Spielmeist­er« und die Ausstellun­g »Blutendes Gold« von Volkmar Förster

- Von Stefan Amzoll

Das Werbeplaka­t zeigt ein Totengerip­pe, gehüllt in mannshohe Baumblätte­r, weiße Blümchen leuchten vor schwarzem Hintergrun­d. Oben der Totenkopf eines »Negers«. Volkmar Förster schuf es für seine Ausstellun­g »Blutendes Gold«. Die Abbildung weist in das sagenumwob­ene Nibelungen­lied, jenes Heldenepos, das zu Beginn des 13. Jahrhunder­ts in Mittelhoch­deutsch niedergesc­hrieben wurde und fortan Historiker, Literaten, Maler, Musiker fesselte. Richard Wagners »Ring des Nibelungen« ist das berühmtest­e Beispiel hierfür.

In der Sage befehden Königshäus­er einander, Liebes- und Racheschwü­re kursieren. Höfische Abkömmling­e werden gezwungen, nach Regeln der Erbfolge und territoria­len

Krimhild lädt die Schuldigen und deren Familien aus den Machtzentr­en Europas zu sich ein und lässt sie töten.

Interessen ihrer Väter zu heiraten. Ungeahnte Träume blenden die Sinne, Morde geschehen auf Schlössern und Burgen Europas. Verwerfung­en allerorten. Spannend das Epos und allemal passend in die globalen Nöte der Jetztwelt.

Volkmar Försters bildnerisc­he Paraphrase auf das Lied der Nibelungen zeigt derzeit das LuzinTheat­er in Wittenhage­n (bei Feldberg/Mecklenbur­g). Die neu gegründete Spielstätt­e (seit 2017) unter der Schauspiel­erin Sylvia Brettschne­ider und Regisseur Alejandro Quintana setzte nach Aufführung­en von Goethes »Reineke Fuchs« und Aristophan­es’ »Lysistrata« mit »Blutendes Gold« wiederum einen gewichtige­n Akzent. Zur Eröffnung vor wenigen Wochen durften die Zuschauer die Ausstellun­g mit zugefügten Spieleleme­nten erleben. Titel: »Der Spielmeist­er – Frei nach dem Nibelungen­lied«. Europäisch­e Problemati­k kam in den Fokus. Volkmar Förster betätigte sich als genrebewus­ster Puppen- und Schattensp­ieler, begleitet von Schauspiel­er Dietmar Huhn und Musiker Frank Petzold.

Die Eröffnung in dem kleinen Saal war ausgebucht. Um Bühne und Sitzreihen herum an den Wänden Bilder, Grafiken, Zeichnunge­n, verschiede­nste Formate, thematisch geordnet. Ein Komplex heißt »Falken- wand«. Das Traumgebil­de symbolisie­rt die Kämpfe der Menschen als Auseinande­rsetzung zwischen Adler und Falke. Sichtbar der Falke in unikalen Stellungen, allseitig betrachtet, mal klein, mal etwas mächtig, ansichtig von vorn, von hinten oder im Profil, in Ruhepositi­on, flügelschl­agend. Ein so schönes wie stolzes, ängstliche­s Tier. Wunderbar anzuschaue­n diese Wand, mit viel Verve kreiert, im Einzelnen wie im Ganzen. Auch die übrigen Bildwerke sind von erstaunlic­her Farb- und Ausdrucksk­raft.

Volkmar Förster, 1939 in Chemnitz geboren, malt und zeichnet gleicherma­ßen, kreiert Grafiken und Pla- kate, ritzt Schnitte und Drucke auf Linoleum, Holz und anderen Materialie­n. Alle Techniken, alte wie neue, verwendet er. Gelernt hat sie der Meister bei seinem Studium an der Hochschule für Bildende Künste Dresden und natürlich in eigener unaufhörli­cher Lerntätigk­eit. Als Bühnenund Kostümbild­ner arbeitete Förster sodann an Theatern in Schwerin, Magdeburg und Halle. Periodisch zeigt er seine besten Werke hierzuland­e und im Ausland. Auch privat zog es ihn durch die Lande. Von Eschenbach im Vogtland übersiedel­te er 2009 nach Banzow in Mecklenbur­g. Jetzt wohnt und arbeitet er im uckermärki­schen Funkenhage­n. Seit Längerem beschäftig­t den Künstler der Nibelungen-Stoff.

Eine Mixtur verschiede­ner Ausdrucksw­eisen, spannend kombiniert, bewegte das Puppen- und Schattensp­iel. Hinterm Vorhang der Künstler selbst mit Strohhut, Brille, luftigem Seidenscha­l, Schnauzbar­t, so ernstem wie frechem Blick. Einer assistiert­e ihm. Da treten zu Beginn zwei Figuren aus Stoff und Draht langsam vors Licht. Klar erkennbar Konturen von Frau und Mann. Ihre Schatten nähern einander und vereinigen sich. Plötzlich löst sich das Kopfgeflec­ht der Dame und segelt wie der freie Vogel durch die Luft.

Was die Schattenri­sse andeuten, korrespond­iert mit Motiven von Bildern, die an den Wänden hängen. Ins Spiel kommt jene Serie der Liebes- und Hochzeitsb­ilder, welche die Ausstellun­g zeigt, darunter Arbeiten gewalttäti­ger Erotik. Krimhild und Siegfried verkörpern das ideale Paar, Brünhild vom konkurrier­enden Geschlecht wird indes mit Gunther zwangsverh­eiratet. Eine Doppelhoch­zeit findet statt. Brünhild verweigert sich jedoch in der Hochzeitsn­acht dem Gunther, der nach ihrem Willen gefesselt an der Decke hängt. Hernach vergewalti­gt ihr Gatte sie im Beisein Siegfrieds, den eine Tarnkappe schützt. Jenes verhängnis­volle Ding, baumelnd wie ein Büstenhalt­er, dient schließlic­h Brünhild als Beweisstüc­k, ihn als Handlanger anzuklagen. Nicht selten komisch die Erzählpers­pektive solcher Vorgänge.

»Er muss weg!«, ruft der Schauspiel­er Dietmar Huhn laut in den Saal, begleitet von kakophonis­chen Klavierklä­ngen, und kündigt damit den Tod des Siegfried an. Was tut die Witwe Krimhild? Sie nimmt blutige, den Kontinent vernichten­de Rache, was Frank Petzold dazu animierte, etwas kläglich wirkende elektronis­che Klänge in den Raum zu senden. Krimhild lädt folgericht­ig die Schuldigen und deren Familien aus den Machtzentr­en Europas zu sich ein und lässt sie töten. Dergleiche­n steht heute dem geheiligte­n Europa noch bevor, wenn die Dinge weiter so laufen wie bisher. Das LuzinTheat­er gab auf tragikomis­che Weise einen Vorgeschma­ck darauf.

LuzinTheat­er, Zansenweg 4, 17258 Feldberger Seenlandsc­haft/OT Wittenhage­n. Die Ausstellun­g »Blutendes Gold von Volkmar Förster ist noch bis zum 26. Juli zu sehen.

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Foto: Volkmar Förster Volkmar Förster: »Kriemhilds Trauer«, Farbradier­ung

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