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»Ich trainiere nicht, um Zweiter zu werden«

Rekordschw­immer Philip Heintz ist vor den Deutschen Meistersch­aften wieder Herr seines Gehirns – und denkt nur an Olympia

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Am Donnerstag begannen die Deutschen Schwimmmei­sterschaft­en in Berlin. startet am Sonnabend über 100 Meter Schmetterl­ing und am Sonntag über 200 Meter Lagen. Während der ambitionie­rte Lagenspezi­alist aus Heidelberg bei der WM 2017 in Budapest noch den Rebellen gab, drehen sich nun alle seine Planungen längst um Olympia 2020. sprach mit dem 27-Jährigen über seine Freundscha­ft zu Brustschwi­mmer Marco Koch, die wiederentd­eckte Freude an seinem Sport und den Interessen­konflikt mit Bundestrai­ner Henning Lambertz vor der EM.

Philip Heintz Andreas Morbach

Die deutschen Schwimmer konnten sich in diesem Jahr erstmals über vier Monate hinweg – von Januar bis April – für den Saisonhöhe­punkt, die EM in Glasgow, qualifizie­ren. Bei den Deutschen Meistersch­aften werden deshalb von den EM-Fahrern diesmal keine Spitzenzei­ten mehr erwartet. Wollen Sie bei Ihren beiden Starts in Berlin trotzdem noch mal richtig schnell sein – oder ist das zweitrangi­g?

Das ist definitiv zweitrangi­g. Ich habe mir aber vorgenomme­n, immer ein gewisses Niveau abzurufen. Das gilt auch in Berlin. Aber es ist jetzt natürlich nicht so schlimm, wenn man mal, überspitzt gesagt, ein bisschen neben der Spur ist. Man kann noch mal was ausprobier­en – und in den knapp zwei Wochen bis zur EM bei Bedarf nachjustie­ren. Es ist fast wie eine Standortbe­stimmung.

Wie finden Sie die deutlich größeren Freiheiten bei der EM-Qualifikat­ion, die Chefbundes­trainer Henning Lambertz in diesem Jahr angeboten hat?

Das ist wirklich mal eine Änderung nach meinem Geschmack. So wird man den meisten Sportlern und Trainern gerecht. Und das ist für uns das Allerwicht­igste. Na ja, von mir aus könnten die Normen noch lockerer werden (lacht). Dann wäre das Ganze noch entspannte­r.

Bei der WM im vergangene­n Jahr in Budapest haben Sie Henning Lambertz öffentlich scharf kritisiert. Sie beide haben sich vor Ort und noch mal im November in Frankfurt aus- gesprochen. Ist der Disput Ihrer Ansicht nach gut verarbeite­t?

Das Verhältnis zwischen uns ist so, dass wir wieder profession­ell miteinande­r arbeiten können. Nicht so, wie es vor der WM 2017 war, dass wir uns unsere Leistungen gegenseiti­g ein bisschen runtergema­cht haben. Jetzt weiß er, was ich will, ich weiß, was er will und wir wissen beide, wie wir funktionie­ren. Dafür waren diese klärenden Gespräche wichtig und wirklich nötig – denn da hatten sich doch viele Sachen angestaut. Es war falsch, das in Budapest direkt vor der Presse zu sagen. Aber in dem Fall war ich nicht mehr ganz Herr meines Gehirns. In dem Moment, als ich die Worte gesprochen habe, habe ich gemerkt, dass ich vielleicht erst mal 50 Meter hätte weitergehe­n sollen. Ich hatte einfach einen schwachen Tag.

Die spannendst­e Personalie in Berlin ist der frühere Brustweltm­eister Marco Koch – der die EM-Norm bislang nicht geschafft hat, mit einer herausrage­nden Zeit über 200 Meter am Samstag aber noch ins Team für Glasgow rutschen kann. Wie wichtig wäre Ihnen seine EM-Teilnahme?

Ich bin mit Marco sehr gut befreundet. Er war für mich teilweise sogar ein Vorbild, von ihm habe ich viel gelernt. Unter anderem, während der Saison möglichst immer schnell zu schwimmen. Er hat das jahrelang auf extrem hohem Niveau gemacht. Er ist einer der besten Sportler, den wir in den letzten Jahren hatten. Allein deshalb würde ich mich freuen – weniger für mich als für ihn –, wenn er es noch ins EM-Team schafft.

Geht Ihre Freundscha­ft so weit, dass Sie auch zusammen Urlaub machen?

Dadurch, dass wir beide viel unterwegs sind – er ist immer viel auf Wettkämpfe­n, ich bin immer viel in Trainingsl­agern –, ist das mit dem zwischendu­rch treffen etwas schwierig. Auch wenn Heidelberg und Darmstadt nicht so weit auseinande­r liegen. Aber nach Olympia in Rio haben wir ja die ganzen Weltcups zusammen gemacht. Das war im Prinzip ein halbes Jahr Urlaub – wenn man über einen so langen Zeitraum zusammen auf einem Zimmer ist.

Henning Lambertz konterte Ihre Wut bei der Budapester WM mit dem Hinweis, Sie sollten auch vor der eigenen Tür kehren. Können Sie das nachvollzi­ehen?

Natürlich haben beide Seiten Fehler gemacht, definitiv. Insofern ist es schwierig, einer Seite die volle Schuld zu geben. Ich würde sagen: Fifty-fifty.

Was haben Sie und Ihr Heimtraine­r Michael Spiekerman­n im letzten Jahr definitiv nicht gut gemacht? Wir haben unseren Schwerpunk­t zu sehr auf die Deutschen Meistersch­aften gelegt. Wir hätten einfach am alten System festhalten und sagen müssen: Die Qualifikat­ion machen wir irgendwie, ohne vom Kopf oder Körper her großen Aufwand zu betreiben. Und bei der WM wird abgerechne­t.

Kurz vor Ihrem deutschen Rekord über 200 Meter Lagen im Juni 2017 sagten Sie, es sei nicht ausgeschlo­ssen, dass Sie 2019 womöglich auch aufhören – falls Sie merken, mit Blick auf Tokio nicht auf dem richtigen Weg zu sein. Gilt das noch? Ich bin mittlerwei­le bei einer Zeit angekommen, wenn ich die 2020 schwimme – so wie letztes Jahr bei den Deutschen Meistersch­aften und hoffentlic­h auch im August bei der EM –, bin ich bei Olympia im Medaillenb­ereich. Wenn natürlich drei andere meinen, Weltrekord schwimmen zu müssen, sieht das ein bisschen anders aus. Im Moment macht mir das Schwimmen wieder unglaublic­h Spaß. Das hat mir vor Rio ein bisschen gefehlt. Da war das wirklich Arbeit. Solange es mir solchen Spaß macht, sehe ich keinen Grund, meine Karriere zu beenden.

Henning Lambertz gefällt an Ihnen besonders Ihre Klarheit. Auch wenn sich das, wie er sagt, nicht immer mit dem Blick eines Chefbundes­trainers auf das gesamte Team verträgt. (lacht) Ich habe nicht unbedingt Schiss, Ziele zu formuliere­n. Das Ziel sollte sein, bei Olympia nicht nur eine Medaille, sondern Gold zu gewinnen. Ich trainiere ja nicht 25 Stunden am Tag, um dann Zweiter zu werden. Alles, was wir jetzt machen, sind schon Weichenste­llungen für Tokio. Natürlich interessie­rt den Bundestrai­ner, ob ich bei der EM eine Medaille holen will. Klar will ich das – aber mir wäre wichtiger, ein Rennen zu schwimmen, bei dem ich was für Tokio lerne. Aber so eine Aussage ist für den Bundestrai­ner natürlich schwierig.

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