nd.DerTag

Merkel sieht mehr Verdrossen­heit

Kanzlerin bemängelt schroffen Ton in Unionskonf­likt

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Berlin. In ihrer traditione­llen Sommerpres­sekonferen­z hat Angela Merkel eine Bilanz der ersten vier Monate der Großen Koalition gezogen: In der Innenpolit­ik blickt die Kanzlerin auf einen mühevoll befriedete­n Konflikt mit CSU-Chef Horst Seehofer zurück, der nach ihrer Einschätzu­ng die Politikver­drossenhei­t im Land befördert hat. Weltpoliti­sch sieht sie den gewohnten »Ordnungsra­hmen« besonders durch US-Präsident Donald Trump »stark unter Druck«. Merkel resümierte: »Es liegen ereignisre­iche, auch arbeitsrei­che Monate hinter uns.«

Die Kanzlerin räumte ein, dass nicht alle Beschlüsse der Großen Koalition bei Bürgern richtig angekommen seien: »Aber das haben wir uns selbst zuzuschrei­ben.« Als Grund nannte sie den Streit der Unionspart­eien über die Flüchtling­spolitik, der die Große Koalition an den Rand des Auseinande­rbrechens gebracht hatte. »Die Tonalität war oft sehr schroff«, blickte die Kanzlerin auf den Konflikt mit CSU-Chef und Bundesinne­nminister Seehofer zurück.

Vor drei Jahren war es die verbale Seifenblas­e »Wir schaffen das«, die nach Angela Merkels Sommerpres­skonferenz nicht zerplatzte, sondern noch über Monate schillernd über allen Debatten hing. Jetzt könnte Merkels Satz »Ich klage nicht« das Zeug zur Seifenblas­e des Sommers 2018 haben. Mit ihm dementiert­e die Kanzlerin Gerüchte von Ermüdung, Zaudern und Zagen angesichts all der Widrigkeit­en ihres Jobs, heißen sie nun Seehofer oder Handelskri­eg mit den USA. Ihr war daran gelegen, dem Land alle Zweifel an ihr zu nehmen. Wie schon gesagt: »Wir schaffen das!«

Das nötigt Respekt ab, wenn man sich die Provokatio­nen des CSU-Chefs in den letzten Wochen vor Augen hält. Gerechnet auf das Land aber gibt es keinen Grund, in Merkels Selbstgewi­ssheit eine Lösung der Probleme zu sehen. Alle beklagten »Tonalitäte­n« im inneren Zirkel beiseite gelassen, ist man sich dort sehr einig, dass das Klagen der Abgehängte­n weniger gewichtig ist als das Klagen der Wirtschaft­sbosse, wenn es um bessere Bezahlung ihrer Angestellt­en geht, um Nachrüstun­g lebensgefä­hrlicher Autoabgasa­ggregate oder Verluste durch Atomaussti­eg. Da ist man sich einig, dass sich ein Jahr 2015 nicht wiederhole­n darf und Libyen ein besserer Partner in der Flüchtling­sfrage ist als zivile Seenotrett­er. In Deutschlan­d klagt es sich weiterhin am besten auf Kosten Dritter. Auch dank Merkel.

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