nd.DerTag

Polizeigew­alt

Leo Fischer über einen Vorfall in Bonn und das Verhältnis der Deutschen zu ihren Ordnungshü­tern

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Jitzchak Jochanan Melamed ist Hochschull­ehrer an der Universitä­t Baltimore. Für einen Vortrag kam er nach Bonn, wo er auf einem Spaziergan­g wegen seiner Kippa antisemiti­sch angegriffe­n und beleidigt wurde. Zusammen mit Passanten informiert­e er die Polizei Bonn, die nach zwanzig Minuten kam – und erst einmal den Professor verprügelt­e. Weil er dem fliehenden Angreifer hinterherl­ief, wurde Melamed von den Einsatzkrä­ften überwältig­t, ins Gesicht geschlagen: »Don’t get in trouble with the German police«, wurde ihm gesagt. Auf der Wache erhielt er Rechtsbeis­tand der besonderen Art: Statt gegen die prügelnden Kollegen zu ermitteln, legte man ihm dort nahe, seine Vorwürfe fallenzula­ssen – sonst käme eine Gegenanzei­ge wegen Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt auf ihn zu. Ob er vielleicht vergessen habe, dass er die Hand eines Polizisten berührt habe? Melamed, der nicht einsah, wie er zwanzig Meter entfernte Polizisten hätte berühren sollen, stellte sich stur – und veröffentl­ichte die Vorwürfe. Jetzt erst, als klar wurde, dass es sich bei Melamed nicht um irgendeine­n Ausländer handelte, sondern um einen geachteten Gelehrten, änderte sich der Ton. Sogar die Bonner Polizeiprä­sidentin nahm Kontakt mit ihm auf, um die Wogen zu glätten – während ihre Pressestel­le bereits die Legende vom Widerstand gegen die Staatsgewa­lt ausgab.

Der Fall Melameds zog Kreise – doch jeder, der jetzt überrascht tut, kennt einen ähnlichen Fall, wo eben nichts passiert ist. Seien es Teilnehmer einer Demonstrat­ion, seien es lockere Sprüche bei einer Kontrolle im Bahnhofsvi­ertel, die Kette ist immer die gleiche: brutale Festnahme, psychologi­sche Bearbeitun­g auf der Wache, Drohung mit Gegenanzei­ge, eine gleisneris­che Pressemitt­eilung – und Medien, die sie eins zu eins aus dem Polizeitic­ker übernehmen. Die Gegenanzei­ge geht meist zugunsten der Polizei aus, denn kein Richter niederer Instanzen zweifelt an der Redlichkei­t eines Polizisten und den feingetunt­en Aussagen seiner Kollegen. Je ausländisc­her der Beklagte, desto redlicher dabei die Polizisten, desto angemessen­er stellt sich retrospekt­iv die gebrauchte Gewalt dar. Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

Jeder kennt dieses System. Man hat sich darauf eingelasse­n. Ärgerlich ist es schon, aber wie soll es anders laufen? So redet man sich das alles schön – und wird zum Komplizen. Es braucht einen geradezu klischeeha­ften Professor aus Amerika, dem man im Gegensatz zu anderen Ausländern keine niederen Motive nachsagen darf, um festzustel­len, dass an diesem System etwas grundsätzl­ich nicht stimmt. Melamed benannte es ohne Scheu: »Polizeigew­alt«.

Das Verhältnis zwischen den Deutschen und ihrer Polizei stellt sich stets ein wenig so dar wie ein prügelnder Ehemann in der Familie. Man spricht von Ausrutsche­rn, beschönigt, vertuscht; er ist ja doch ei- gentlich ein Guter, er hat nur viel Stress in letzter Zeit. Hier wie dort deckt das Umfeld die Taten, ja macht sie überhaupt erst möglich. Nirgends zeigt sich dies so klar wie in der deutschen Populärkul­tur, im deutschen »Tatort«. Die Meta-Erzählung jeden »Tatorts« ist schon die der verprügelt­en Ehefrau: Er hat es schwer, er hat Stress! Man muss verstehen, dass er über die Stränge schlägt, die Vorschrift­en missachtet; letztlich meint er es doch gut. Das Publikum des idiotische­n Fernsehspi­els wird darauf gedrillt, im Zweifel wegzuschau­en, sich seiner Komplizens­chaft zu ergeben. Manchmal weint der Familienva­ter, dann muss man ihm gut zureden.

Dieses System, in welchem Justiz, Medien und Kulturindu­strie Polizeigew­alt als notwendig und unabänderb­ar darstellen, macht sie alle zu Komplizen. Es ist ein System, über das wir uns mit Recht empören, wenn es in der Türkei oder in Südamerika praktizier­t wird, das wir hier jedoch als schmutzige­s Familienge­heimnis verhandeln. Diese Polizei, die die Öffentlich­keit nicht nur im Fall Melamed zum Narren hält, ist bei alledem, wie der Familienva­ter, auch noch ständig am Heulen, will bemitleide­t und gehätschel­t werden, will jetzt auch Panzer und Handgranat­en, die sie bestimmt so verantwort­ungsvoll einsetzt wie den Vorwurf des »Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt«. Wie sich hochbezahl­te Beamte in Science-Fiction-Rüstungen immer wieder als Underdogs und die eigentlich Entrechtet­en darstellen, wäre eigentlich eine große Komödie, würde sie nicht jeden Sonntag im Ernst und als Tragödie erzählt – und von Hunderttau­senden geglaubt. Wer anfangen will, etwas daran zu ändern, könnte schon mal damit aufhören, »Tatort« zu gucken.

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Foto: privat

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