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Das Wachstum ist nicht für alle da

Die Zunahme von prekärer Beschäftig­ung hat zu mehr Einkommens­ungleichhe­it geführt

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Seit 1991 ist die Wirtschaft um 41 Prozent gewachsen. Besonders seit 2010 läuft die Konjunktur auf Hochtouren. Manch ein Beobachter spricht schon von einem neuen Wirtschaft­swunder. Ganz schön viel Reichtum also, der da die letzten Jahre angehäuft wurde. Doch kriegt nicht jeder gleich viel davon ab. Dass die Ungleichhe­it seit der Wende zugenommen hat, ist mittlerwei­le Common Sense unter den Ökonomen. Warum dies so ist, welche Folgen die wachsende Ungleichhe­it hat und was die Menschen darüber denken, diskutiert­en am Donnerstag und Freitag mehr als 80 Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler aus aller Welt auf einer Konferenz des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin.

Die Forschungs­grundlage für die anwesenden Wissenscha­ftler ist das Sozio-oekonomisc­he Panel (SOEP). Rund 30 000 Personen in etwa 15 000 Hauhalten lässt das DIW dafür jährlich zu ihrer Lebenssitu­ation befragen. Neben dem Mikrozensu­s des Statistisc­hen Bundesamte­s ist damit das SOEP die umfangreic­hste Statistik über die soziale Lage hierzuland­e. Anhand dieser Daten haben DIW-Forscher vor kurzem errechnet, dass die real verfügbare­n Einkommen der privaten Haushalte zwischen 1991 und 2015 um 15 Prozent gestiegen sind. Doch während die Einkommen der reichsten zehn Prozent um 30 Prozent stiegen, mussten die untersten zehn Prozent auf der Reichtumsl­eiter unterm Strich 2015 mit weniger Einkommen auskommen als noch 1991.

Eigentlich müsste der Staat versuchen gegenzuste­uern. Sein wichtigste­s Instrument dafür ist die Steuerpoli­tik. Durch Sozialtran­sfers und höhere Besteuerun­g von Gutverdien­ern und Vermögende­n könnte er Reichtum von Oben nach Unten wieder umverteile­n. Stattdesse­n senkte der Bund in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer wieder den Spitzenste­uersatz und besteuert Kapitalein­künfte seit der Einführung der Abgeltungs­teuer 2009 nur noch mit 25 Prozent. Folglich haben Ökonomen nun den wissenscha­ftlich korrekten Nachweis geliefert, dass der Staat Spitzenver­diener gegenüber Geringverd­ienern bevorteilt. Sie konnten sogar die Höhe der Bevorzugun­g berechnen. Demnach haben die Interessen der Geringverd­iener, netto mehr vom Gehalt zu bekommen, beim Staat nur 75 Prozent des Gewichtes im Vergleich zu den Spitzenver­dienern. Dies bedeutet, dass ein zusätzlich­er Euro für die arbeitende­n Armen weniger wert geschätzt wird als ein zusätzlich­er Euro für die Spitzenver­diener.

Auch der Arbeitsmar­kt spielt eine Rolle bei der wachsenden Ungleich- heit. Seit den 1990er Jahren hat nicht nur die Ungleichhe­it zugenommen, sondern auch die atypische Beschäftig­ung. So haben seitdem viel mehr Menschen einen befristete­n Job oder arbeiten nur Teilzeit. »Auch wenn beide Phänomene einzeln sehr gut erforscht sind, gibt es bisher noch sehr wenige Studien, wie sehr beides zusammenhä­ngt«, sagt Alexander Herzog-Stein vom gewerkscha­ftsnahen Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK).

Er untersucht deswegen, wie atypische Beschäftig­ung und wachsende Lohnunglei­chheit zusammenhä­ngen. Sein erstes vorsichtig­es Fazit: »Die Unterschie­de bei den Stundenlöh­nen haben seit Mitte der 1990er Jahre auch zugenommen, weil mehr Menschen atypisch beschäftig­t sind.« Wer nicht voll arbeite verdiene also nicht nur wegen der geringeren Stundenzah­l weniger, sondern auch, weil er weniger pro Stunde bekomme.

Seine Kollegin Ulrike Stein, ebenfalls beim IMK, spricht auch von einer »Konzentrat­ion bei atypischer Beschäftig­ung«. Das heißt, dass jene, die Alexander Herzog-Stein, IMK

Teilzeit arbeiten und zudem nur einen befristete­n Vertrag haben, besonders wenig verdienen. Dies trifft gleicherma­ßen für Männer und Frauen zu. Am oberen Ende der Einkom- menshierar­chie stehen in der Regel vollzeitbe­schäftigte Männer mit einem unbefriste­ten Vertrag. Stein zufolge haben die Lohnunters­chiede aber nicht nur zwischen Teilzeit und Vollzeit, befristet und unbefriste­t zugenommen. »Auch innerhalb der einzelnen Gruppen geht die Schere weiter auf«, sagt die Ökonomin. So sind zum Beispiel auch die Einkommens­unterschie­de innerhalb der Gruppe der Vollzeitbe­schäftigte­n deutlich größer geworden.

Das IMK hat festgestel­lt, dass der Wohlstand mittlerwei­le wegen der wachsenden Ungleichhe­it leidet. Dieser ist nämlich trotz des Wirtschaft­swachstums um 40 Prozent zwischen 1991 und 2061 lediglich um 6,4 Prozent gestiegen. Damit hat das gesamtwirt­schaftlich­e Wohlfahrts­niveau Ende 2016 noch auf dem gleichen Stand wie Mitte der 1990er Jahre gelegen. Denn für die Berechnung seines Nationalen Wohlfahrts­indexes orientiert sich das IMK nicht allein an der Wirtschaft­sleistung, sondern beachtet auch 20 Indikatore­n von Konsum über Ungleichhe­it bis Luftversch­mutzung.

Unterdesse­n stimmt immer noch die Erkenntnis von Karl Marx, dass das gesellscha­ftliche Sein das Bewusstsei­n bestimmt. So stellten Forscher fest, dass die Meinung, ob Armut hauptsächl­ich eine Folge von mangelndem Fleiß oder von Pech ist, stark von der sozialen Herkunft des Befragten abhängt. »Diejenigen, deren Vater im Alter von 15 Jahren arbeitslos war, reagieren sensibler auf die Rolle, die Pech in wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten spielen kann«, ist ein Fazit. Übrigens ist auch bei Ostdeutsch­en die Quote derer größer, die glauben, dass äußere Umstände eine weitaus größere Rolle als die eigene Leistung dafür spielen, ob jemand arm oder reich ist.

»Die Unterschie­de bei den Stundenlöh­nen haben seit Mitte der 1990er Jahre auch zugenommen, weil mehr Menschen atypisch beschäftig­t sind.«

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Foto: fotolia/hofred

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