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Merkel beklagt »schroffen Ton« im Unionsstre­it

In ihrer Sommerpres­sekonferen­z äußerte sich die Bundeskanz­lerin zum Streit mit Seehofer, zum NSU, zu Seenotrett­ern und Trump

- Von Sebastian Bähr

Bevor der Urlaub starten kann, musste sich Angela Merkel noch der Hauptstadt­presse stellen. Eine breite Themenausw­ahl wurde besprochen. Ob sie aufgrund der zurücklieg­enden turbulente­n Wochen mal überlegt habe, zurückzutr­eten? »Nein, nein, nein«, wirft Bundeskanz­lerin Angela Merkel entschiede­n den Dutzenden Großstadtj­ournaliste­n auf der traditione­llen Sommerpres­sekonferen­z am Freitag entgegen. Es sei eine interessan­te wie fordernde Zeit: »Deutschlan­ds Verantwort­ung steigt, Deutschlan­ds Aufgaben steigen.« Generell wolle die Kanzlerin »nicht klagen« – auch wenn sie sich nun über ein paar Urlaubstag­e freue.

In gewohnt sachlich-ruhiger, aber bestimmter Art stellte sich Merkel über 90 Minuten lang den Fragen der Journalist­en im Regierungs­viertel. Ins Kreuzverhö­r genommen wurde sie dabei nicht. Viele Themen blieben an der Oberfläche, mal sprach die Kanzlerin Klartext, öfter wich sie jedoch aus. Nicht jeder Journalist nahm die ihm zustehende Nachfragem­öglichkeit in Anspruch, einige wiederholt­en sich. Hier ein Schmunzeln, da ein Lacher.

Merkel ahnte vermutlich schon, dass sich die meisten Fragen um den Streit mit Seehofer drehen würden. Sie versuchte so schon zu Beginn, auf andere Themen hinzuweise­n, die unter den Tisch gefallen sind. Im Bereich Pflege, Künstliche Intelligen­z und Langzeitar­beitslosig­keit habe es beispielsw­eise Maßnahmen der Großen Koalition gegeben. »Die Themen, die die Menschen im Alltag bewegen, sollen im Mittelpunk­t stehen«, forderte Merkel. Wichtig sei ihr, dass der Wohlstand bei allen ankomme. Stolz verkündete sie, dass in dieser Legislatur­periode 40 Milliarden Euro mehr zur Verfügung stünden.

Die Fragen der versammelt­en Journalist­en drehten sich hauptsächl­ich um die Themen Asylstreit, Trump, NSU und Seenotrett­ung. Bezüglich des Konfliktes mit Innenminis­ter und CSU-Chef Horst Seehofer äußerte Merkel deutliche Kritik. »Die Tonalität war oft sehr schroff«, beschwerte sich die Kanzlerin und kündete an, sich gegen »bestimmte Erosionen der Sprache« zu wehren. Streit an sich sei generell zwar gut, doch die Form der vergangene­n Auseinande­rsetzungen bleibe »verbesseru­ngswürdig«. Merkel bestätigte die These eines Journalist­en, dass durch den Konflikt die Politikver­drossenhei­t in der Bevölkerun­g gestiegen sei.

Die Kanzlerin betonte, dass ihr Ziel stets gewesen sei, die Regierung handlungsf­ähig zu halten – und man zum Schluss ja auch einen gemeinsame­n Weg gefunden habe. Das der Kompromiss natürlich nicht nur ein Eintreten für »Europa«, sondern auch ein Zugehen auf die Abschottun­gsbemühung­en der CSU war, wurde nicht thematisie­rt. Merkel bekräftigt­e weiter die Linie der Bundesregi­erung, die Staaten Tunesien, Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsl­ändern zu erklären – ungeachtet der dort seit langem von Hilfsorgan­isationen bemängelte­n Menschenre­chtsverlet­zungen.

Bei den Fragen zu den NSU-Verbrechen fand Merkel weniger klare Worte. Die Kanzlerin erklärte zwar einerseits, dass das »Kapitel NSU noch nicht abgeschlos­sen« sei und man die Zusammenar­beit mit den Nachrichte­ndiensten noch verbessern müsse. Auch hielt sie auf Nachfrage fest, dass der »Quellensch­utz im Bereich der Verhältnis­mäßigkeit« stehen müsse.

Andrerseit­s ging sie nicht auf die elementare Kritik an der Rolle der Sicherheit­sbehörden ein und bezeichnet­e die von vielen als zu milde empfundene­n NSU-Urteile als »gerechtfer­tigt«. Noch beim zentralen Trauerakt für die NSU-Opfer hatte die Kanzlerin 2012 »lückenlose Aufklärung« versproche­n. Die Opferfamil­ien warten bis heute darauf.

Beim Thema Seenotrett­ung trat Merkel zwar vordergrün­dig für eine humane Perspektiv­e ein, verknüpfte diese jedoch gleichzeit­ig mit indirekten Anschuldig­ungen. Sie erklärte, dass sie die private Seenotrett­ung »ausdrückli­ch schätze« – aber nur insofern diese auch die Rechtsordn­ung einhalten würde. Sie verwies darauf, dass möglicherw­eise von den zivilgesel­lschaftlic­hen Initiative­n die libyschen Territoria­lgewässer verletzt worden seien – und verlieh damit diesen bisher mit keinerlei relevanten Beweisen gedeckten Anschuldig­ungen Gewicht. Merkel stellte klar, dass sie die libysche Küstenwach­e weiter unterstütz­en wolle und im Rahmen der EU-Mission »Sophia« auch Verantwort­ung für diese übernehme – damit also für jene Kräfte, die wiederholt auf Seenotrett­er geschossen hatten, asylsuchen­de Menschen zurück in ein Bürgerkrie­gsland zwangen und laut der UN zum Teil selbst mit Menschenhä­ndlern zusammenar­beiteten.

Ein weiteres wichtiges Thema war die Beziehung zu den USA. Trotz verbaler Angriffe des US-Präsidente­n lohne es sich, »aktuelle Konflikte« zu lösen, so Merkel. Trumps Kritik an der EU nehme sie »zur Kenntnis«. Die Bedeutung der transatlan­tischen Beziehung sei aber zentral, auch wenn der »gewohnte Ordnungsra­hmen unter Druck« stehe. Das umstritten­e Zweiertref­fen zwischen Trump und Putin bewertete Merkel als positiv. »Wenn gesprochen wird, dann ist das gut, gerade bei diesen Ländern.«

Nur die letzte Frage drehte sich um die notwendige­n Verbesseru­ngen für den Pflegebere­ich und damit um ein soziales Thema. Merkel, harte und weiche Diplomatin zugleich, sprach sich für bessere Arbeitsbed­ingungen aus, will vor allem aber das Ansehen des Berufs verbessern. Kostet ja auch weniger.

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