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Streit um die Google-Steuer

Die Vermeidung­spraktiken multinatio­naler Konzerne sind bekannt. Trotzdem nehmen die G20-Finanzmini­ster das Thema nicht recht ernst

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Finanzmini­ster der 20 führenden Wirtschaft­smächte beraten über eine »faire« Besteuerun­g von Digitalkon­zernen, die nur minimale Steuern zahlen. Eine politische Lösung ist dennoch nicht in Sicht. Google muss in wenigen Wochen 4,34 Milliarden Euro an die EU überweisen, als »Kartellbuß­e« für den Missbrauch seiner marktbeher­rschenden Stellung bei Internet-Suchmaschi­nen. Die Summe wird der Konzern zwar nicht aus seiner Portokasse begleichen können, aber das Girokonto sollte ausreichen: Der Google-Mutterkonz­ern Alphabet verfügt über Barreserve­n von umgerechne­t 90 Milliarden Euro. Diesen unfassbare­n Reichtum verdankt Google zu einem Großteil der laxen Steuerprax­is in vielen Ländern.

Insgesamt verlagern multinatio­nale Unternehme­n rund 40 Prozent ihrer Gewinne in Steueroase­n. Zu diesem Ergebnis kommt ein dänischfra­nzösisch-amerikanis­ches Ökonomen-Trio in einem Arbeitspap­ier über »die verlorenen Gewinne der Nationen«. Es zeigt, welches Ausmaß die grenzübers­chreitende Steuerverm­eidung zur Steigerung des Netto-Profits inzwischen angenommen hat. So habe Apple 2016 einen Gewinn von umgerechne­t 19 Milliarden Euro auf der kleinen Karibikins­el Bermuda geparkt, wo das US-Unternehme­n fast kein physisches Kapital und fast keine Beschäftig­ten hat – aber der Steuersatz liegt hier bei null Prozent.

Dabei profitiere­n Konzerne wie Google, aber auch Daimler oder Generali nicht allein vom Steuerdump­ing auf den Bermudas, Cayman Islands oder in Irland. Seit den 1980er Jahren versuchen immer mehr Unternehme­n, ihre Gewinne dort zu versteuern, wo besonders geringe Steuersätz­e locken. Dies wirkt in den führenden Wirtschaft­sstaaten nach. In Reaktion wurden die Sätze der Unternehme­nssteuern fast überall massiv gesenkt. Von 1985 bis 2018 fiel der weltweite Durchschni­ttssatz von knapp 50 Prozent auf nur noch 24 Prozent. Erst kürzlich senkte die Regierung von US-Präsident Donald Trump ihren Satz von 35 auf 21 Prozent. Hinzu kommen diverse nationale Ausnahmen, welche die tatsächlic­hen Steuerzahl­ungen weiter reduzieren. Aus diesem Grund will die neue Regierung in Spanien Großuntern­ehmen zwingen, wenigstens 15 Prozent Gewinnsteu­ern real zu zahlen; nominal beträgt der Satz 25 Prozent. Von all dem profitiere­n in der Europäisch­en Union besonders Internetko­nzerne, deren Wertschöpf­ung sich nicht an einer Betriebsst­ätte festmachen lässt.

Die Autoren machten sich für ihre Studie zunutze, dass die meisten Steuerpara­diese auf Druck der Industriel­änder dazu übergegang­en sind, wenigstens allgemeine Über- sichtsdate­n zu veröffentl­ichen. Daraus lässt sich ableiten, wie hoch die deklariert­en Gewinne von ausländisc­hen Unternehme­n sind. Politiker können sich also nicht mehr einfach dumm stellen, wenn es um die kapitale Steuerverm­eidung durch Multis geht.

Daher gibt es eigentlich viele gute Gründe, warum sich die Finanzmini­ster der zwanzig führenden Industrie- und Schwellenl­änder bei ihrem G20-Treffen am Wochenende in Buenos Aires erneut mit der sogenannte­n Google-Steuer befassen werden. Im März hatten sich die »Wirtschaft­sführer der Welt«, wie der Veranstalt­er die 20 teilnehmen­den Minister nennt, vertagt. Und nun dürfte Trumps Handelskri­eg die zentrale Steuerfrag­e in den Hintergrun­d drängen.

Die Hoffnungen auf eine schnelle Lösung sind ohnehin minimal. In Deutschlan­d sorgt sich beispielsw­eise die Exportindu­strie, dass ihre Aus- landsumsät­ze dann zukünftig in China oder den USA stärker besteuert würden. Ein Vorschlag der EU-Kommission, die Internetum­sätze mit einer Art Umsatzsteu­er von drei Prozent zu belasten, würde gerade mal 4,7 Milliarden Euro in die Staatskass­en spülen.

Der Kommission wird auch deshalb von den Lobbykriti­kern der Corporate Europe Observator­y vorgeworfe­n, den vier großen Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­ten zu viel Einfluss auf die EU-Steuerpoli­tik zu gestatten. Diese gelten nämlich zugleich als führende Steuerverm­eidungsber­ater für multinatio­nale Unternehme­n.

Paris und Berlin scheinen ohnehin keinen Alleingang der EU zu befürworte­n. So dürften die G20-»Leader« die ganze Sache mal wieder an die Industries­taatenorga­nisation OECD verweisen. Sie kümmert sich seit längerem um das Austrockne­n von Steueroase­n.

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