nd.DerTag

Flut ohne Ebbe

Zum 70. Geburtstag des Komikers Otto Waalkes

- Von Hans-Dieter Schütt

Der lachende Philosoph ist leider ein Wunschtrau­m. Denn wie kann ein Mensch zu Heiterkeit finden, wenn er das Denken nicht loskriegt. Dauerkriti­scher Geist ist Last und Plage. Dagegen musste dringend etwas erfunden werden – man möchte doch mal befreit in eine Sinnlücke springen. Und also wurde Otto erfunden.

Er hat die Nervosität eines Tausendfüß­lers, der zu viel ostfriesis­chen Tee trank. Da ist ein Zappeln, ohne je das Zippeln zu vergessen. Das flattert und hüpft, nein: hüpft und flattert. Otto Waalkes ist der Nonsensenm­ann, der alles Ernste, also Lachhafte, springfedr­ig niedermäht. Der Humor des Mannes mit dem dünnen FadenKreuz wirkt auf sehr spezielle Weise entwaffnen­d: Er ist unter aller Kanone. Waalkes rudert mit Armen und Beinen – Werbung für Windräder in Deichnähe. Nordseelan­d ist flach, Otto kann flacher sein. Und trotzig auch: »Einen hab ich noch!« Wie Heinz Erhardt, dem er gewisserma­ßen nachfolgte, als dieser, nachdem er unzählige Lachanfäll­e verbreitet hatte, ins Schweigen eines Schlaganfa­lls fiel.

Die Geschichte der Menschheit ist sehr kurz zusammenge­fasst: Am Anfang war das Wort, dann muss es ihm die Sprache verschlage­n haben – bis Otto anhub. Der Wortschwal­l, begleitet vom kehligen »Hahaha!« oder »Hollerehid­i!«, ist wie ein kleiner Bruder der Sturmflut, freilich ohne jede Ebbe. Aus Ostfriesla­nd hat der kurzzeitig­e Pädagogiks­tudent Ottofriesl­and gemacht. 1948 wurde er als Sohn eines Malermeist­ers in Emden geboren, bekritzelt­e die Tapetenres­te: »Heile Welt, meine Eltern haben sich ewig geliebt.« Was freilich Schicksals­schläge des Jungen nicht verhindert­e – eine WG sperrte ihn zusammen mit zwei Leuten, die bis heute versuchen, ebenfalls prominent zu werden: Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhag­en. Waalkes dagegen kann – nach dem Prinzip »Besser ein eigenes Denkmal als ein fremdes Abendmahl« – in seiner Geburtssta­dt sogar auf ein »Otto-Huus« verweisen, einen als Museum getarnten Otto-Shop mit Ottifanten-Plastik davor.

Ja, das Museum heißt Huus, nicht Haus. Man erreicht es ja auch nicht zu Fauß, sondern zu Fuß. Es gibt Einblicke in biografisc­he Bedeutsamk­eiten. Etwa: der erste Kaugummi – vom 2. Februar bis zum 6. April 1952. Otto war Harry Hirsch und Oberförste­r Pudlich, Susi Sorglos (mit flunkernde­m Fön) und Oberkellne­r Patzig, er war Kinderpsyc­hologe Dr. Prügelpeit­sch, Frau Suhrbier – und Robin Hood, der »Rechner der Vererbten« (unvollstän­diger OttoKatalo­g). »Otto – Der Film« wurde mit knapp 15 Millionen Besuchern zum erfolgreic­hsten deutschen Kinofilm aller Zeiten.

In den Befreiungs­rausch der Achtundsec­hziger hatte sich schnell auch das Bewusstsei­nszüchtige, das Theo- rieschwere eingeniste­t, und dahinein platzten 1973 drei seltsam schräge TVEreignis­se: Heinz Schuberts Familienty­rann Ekel Alfred, jener Frontalang­riff auf die Gemütspols­ter der plüschig-staubigen Familiense­rien, dann der halbseiden­e Unterleibs- und Erbsenhirn-Klamauk von »Klimbim« – und die erste Show von Otto. Es war, als rülpste der deutsche Humor unvorberei­tet frech in die Gottesdien­ste für Bravheit und Biedersinn, und zugleich riss da etwas an den Grundfeste­n politische­r Konzeptgie­r.

Auch wenn Otto immer gern von einem »Protestlie­d gegen die Unterarmnä­sse« sprach, und trotz solcher Strauß-Verse wie: »Das Wasser ist trüb, die Luft ist rein,/ Franz Josef muss ertrunken sein« – über die Niederunge­n jener Funktionär­sparodie, die Kohl, Merkel und Trump benötigt(e), um augenfälli­g zu werden, ist er in seiner klassisch gewordenen Pose konsequent hinweggehü­pft. Er ist der Komiker, für den es, nach seinen eigenen Worten, nie zum Kaba-

rett reichte. Was keineswegs weniger Arbeit bedeutet: »Aller Unfug ist schwer.«

Für Waalkes schrieben Robert Gernhardt, Bernd Eilert, Peter Knorr – jene Ägide der satirische­n »Neuen Frankfurte­r Schule«, die das klassi-

sche Programm der Aufklärung zum größten Witz erhob. Otto siedelt aber weitab vom geölten Gram jener Schreibstu­ben-Radikalaue­r, die ihre Bosheit (also das, was sie dafür halten) abrufen wie einen vor Urzeiten gelernten Text. Über Leute wie ihn hörte man’s im Amt für hohe Maßstäbe dauerhaft knacken, denn regelmäßig wurde ein Stab nach dem anderen über diesen Komiker gebrochen. Reflex von Leuten, die ständig gegen andere pädagogisi­eren müssen – man wähnt sich leidenscha­ftlich gern prinzipiel­l, aber die Wahrheit ist: Man kann offenbar nicht mit jener Freiheit umgehen, die unsere Seelenmögl­ichkeiten so aufregend weit spannt. Ja, der Mensch kann die Welt anzünden, aber er kann auch wunderbar Posaune blasen, schrieb der Humorist Johannes Conrad. Wir sind Monster und Monchhichi. Das eine und das andere. Das eine im anderen. Das eine gegen das andere. Das bleibende Spannungsf­eld. Bis hin zu den Schranken des Jüngsten Gerichts: »Hohes Gewicht! Verehrte Geschwolle­ne! Angenagter!«

Vergeblich­e Mühe, in Otto den traurigen Clown entdecken zu wol- len. Nein, Otto ist so albern, wie er wirklich ist: entspannen­d geistklein – die Gaudi-Gala als Hochamt des Spielers. Der all den Blödelunfä­higen einen Arsch zudreht und sich nicht zu fein ist, dafür das Gesicht zu nehmen. »Unser Hund hat immer Leute auf dem Fahrrad gejagt. Jetzt haben wir ihm das Fahrrad weggenomme­n.« Otto ist das alterslose Kind in weiträumig­en Trainingsh­osen, das aber nicht vom Fliegen träumt, sondern nach wie vor Spaß daran hat, eine Möwe zu spielen – die kotzen muss im Windgewuse­l.

Der Gitarrensp­iel-Könner, mit gegenwärti­ger Lust sogar auf HeavyMetal-Festivals, hat als Siebzehnjä­hriger die Band The Rustlers gegründet und in Hamburg auch vier Semester Kunststudi­um überstande­n – geblieben ist eine malerische Lust der Anverwandl­ung, die zu beachtlich­en Ausstellun­gen führte: Otto und sein Ottifant in Motiven von Edvard Munch, Caspar David Friedrich, Roy Lichtenste­in, Edward Hopper und Jeff Koons. Wiedererke­nnung und Befremden als Wahrnehmun­gsformen, die sich ineinander­schieben. Nicht die Winde eines Luftschach­ts, wie bei Billy Wilder, sondern zwei Ottifanten­rüssel sind es, die Marylin Monroes Rock in die Höhe blasen. Musik, Malerei – eine große Lust also aufs Multivital­e. Das Angebot eines »Tatort«-Kommissars lehnte Waalkes allerdings ab. Weil er sich nur fähig sah für Dialoge folgender Art: »Herr Kommissar, der Angeklagte hat gestanden.« – »Wie, die ganze Zeit? Und Sie haben ihm keinen Stuhl angeboten, Mensch, Klappke, altes Streifenhö­rnchen!«

Jeder Mensch ist dreifach an die Welt gekettet: durch das Schicksal, festgelegt und begrenzt zu sein, durch die Fremdbeoba­chtung dieses Schicksals und durch die ständige Gefahr, als Opfer dieses Schicksals auch noch verlacht zu werden. Der Komiker tröstet uns, indem seine albernen Figuren ihr eigenes bespottens­wertes Schicksal in die Runde werfen – so dürfen wir für die Dauer eines Sketches Überlegene, Unangetast­ete sein. Momentlang Selbstbewu­sste, die sich bei der hehren Anrufung Gottes endlich mal die Frage trauen: Hat der Mann überhaupt Ohren? Otto, das ist, als verstünde man Peter Sloterdijk, ohne ihn lesen zu müssen! Das ist wahre Volkshochs­chule.

Aber was wäre eine Würdigung, ohne diesen einen Namen zu nennen: Sid. Das Faultier aus dem Film »Ice Age«, dem Otto in der deutschen Fassung seine Stimme nicht leiht, sondern schenkt. Eine Gemütspart­nerschaft: das Chaos benutzen, um sich darin auszuruhen. Naivität – zu ihr passt, dass Otto sehr oft die Frage beantworte­n soll, warum so viele Kinder in seine Shows kamen und kommen. Komikers schulterzu­ckende Entgegnung: »Das hat sich Jesus auch immer gefragt.« Am Sonntag wird Otto Waalkes 70 Jahre alt.

Es war, als rülpste der deutsche Humor unvorberei­tet frech in die Gottesdien­ste für Bravheit und Biedersinn, und zugleich riss da etwas an den Grundfeste­n politische­r Konzeptgie­r.

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Foto: imago/United Archives Otto Waalkes als Reporter Harry Hirsch

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