nd.DerTag

Sein Gott war der Gott der Armen

- Von Gerhard Müller

Als

Rektor der Essener Folkwang-Hochschule und langjährig­er Präsident der Internatio­nalen Hanns-Eisler-Gesellscha­ft erwarb sich Wolfgang Hufschmidt sich bleibende Verdienste um die Entwicklun­g einer modernen Musikkultu­r, die gleicherma­ßen von sozialisti­schem Engagement wie von einer linken Befreiungs­theologie im Sinne Dietrich Bonhoeffer­s, Martin Luther Kings und Camilo Torres’ geprägt war. Als Pädagoge und Musikwisse­nschaftler setzte er sich maßgeblich für Hanns Eisler ein, er war einer der Initiatore­n und Förderer der Hanns-Eisler-Gesamtausg­abe (HEGA), die seit Mitte der 1990er Jahre bei Breitkopf & Härtel Wiesbaden erscheint.

Mit seinem »Meißner Tedeum« von 1968 schrieb er früh ein Stück gesamtdeut­scher Musikgesch­ichte. Dieses »Tedeum«, ein Auftrag zur 1000-Jahr-Feier des Meißner Doms, wurde am 25. Mai 1968 in Meißen uraufgefüh­rt. Weil Hufschmidt den Luther-Text des »Tedeum« mit einem atheistisc­hen Gegentext von Günter Grass kombiniert hatte, gab es zunächst Schwierigk­eiten. Weder der Kirchenlei­tung noch dem Kulturmini­sterium der DDR gefiel eine solche Konfrontat­ion. Schließlic­h kam unter vielerlei Querelen die Aufführung doch zustande. Die Solisten waren Barbara Hoene und der spätere Dirigent Hartmut Haenchen, es sang der Domchor, und unter der Leitung von Dom-

Mit seinem »Meißner Tedeum« von 1968 schrieb Wolfgang Hufschmidt früh ein Stück gesamtdeut­scher Musikgesch­ichte.

kantor Erich Schmidt spielte das Gewandhaus­orchester Leipzig. Am folgenden Tag wurde die Aufführung in der Martin-Luther-Kirche in Dresden wiederholt. Die Resonanz des Publikums war sensatione­ll, aber Günter Grass wurde die Einreise verweigert, und keine Zeitung schrieb auch nur eine Zeile.

Auf das »Meißner Tedeum« folgten unter anderm die multimedia­le Dokumentat­ion »Stephanus« nach Texten kirchliche­r Widerstand­skämpfer (1972), die »Exercitien III« nach Ernst Blochs »Das Prinzip Hoffnung« 1976, die »texte über frieden« (1969/1984), das dokumentar­ische Epos »Ruhrwerk« (1998) und anderes mehr.

Bertolt Brecht war (neben Günter Grass) die zentrale Figur in Hufschmidt­s Denken. 1927 planten Brecht und Weill ein »RuhrEpos«, das jedoch nicht zustande kam. 70 Jahre später griffen Hufschmidt und der Dokumentar­filmer Klaus Armbruster diese Idee wieder auf und schufen ein modernes Epos über die Geschichte des Ruhrgebiet­s. »Ruhrwerk« ist eines der wenigen aktuellen Kunstwerke, in denen sich die industriel­le (und digitale) Revolution des 20. Jahrhunder­ts spiegelt.

Wolfgang Hufschmidt wurde 1934 in Mühlheim an der Ruhr geboren. Er begann mit religiöser Choralmusi­k, aber er schrieb keine Glaubens-Operette. Sein Gott war der Gott der Armen. »Die Musik reagiert zumindest auf gesellscha­ftliche Verhältnis­se und geht eigentlich davon aus, daß sich die Welt verändern müßte. So werden die Stoffe gewählt, und so ist meiner Ansicht nach auch der Impetus der Musik«, bekannte er 1995 in einem Gespräch. Am 18. Juli ist dieser großartige Komponist im Alter von 84 Jahren verstorben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany