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Zielsicher im Abseits

Die Reform der Sportförde­rung könnte Randsporta­rten wie dem Bogenschie­ßen mehr Geld in die Kassen spülen

- Von Marie Frank

Eine Woche lang trifft sich beim Weltcup in Berlin die Elite des Bogenschie­ßens – weitgehend unbemerkt von der Öffentlich­keit. Doch Pfeil und Bogen erfreuen sich zunehmende­r Beliebthei­t. Bogenschie­ßen – das kennen die meisten aus dem Ferienlage­r oder aus Robin-Hood-Filmen: Ein paar handgeschn­itzte Pfeile werden mit einem selbstgeba­stelten Holzbogen auf eine Zielscheib­e geschossen. Ganz so urig geht es beim Bogenschie­ßen-Weltcup, der seit Dienstag noch bis Sonntag in Berlin stattfinde­t, nicht zu. Doch auch wenn die Bögen mittlerwei­le technologi­sch hoch entwickelt­e Sportgerät­e sind, das Prinzip ist dasselbe geblieben: Mit bis zu 230 Kilometern pro Stunde schießen die Bogenschüt­zen ihre Pfeile auf eine Zielscheib­e in 70 Meter Entfernung, deren innerer Ring einen Durchmesse­r von gerade einmal zwölf Zentimeter­n hat – Robin Hood wäre blass vor Neid angesichts dieser Präzision.

Während Bogenschie­ßen in Asien ein Massenphän­omen ist, fristet es in Europa eher ein Nischendas­ein. Obwohl es sich auch hierzuland­e langsam größerer Beliebthei­t erfreut, wie die wachsenden Vereinsmit­gliederund Zuschauerz­ahlen belegen. Daher verwundert es nicht, dass mittlerwei­le auch die deutschen Bogenschüt­zen gute Chancen beim Weltcup haben. Mehr als 350 Teilnehmer aus 50 Ländern gehen in den Diszipline­n Recurve- und Compoundbo­gen an den Start. Der Berliner Weltcup ist die vierte und letzte Möglichkei­t für die Qualifikat­ion zum Weltcupfin­ale Ende September im türkischen Samsun. »In Shanghai, Antalya und in Salt Lake City waren wir jedes Mal im Medaillenb­ereich. Es wäre natürlich schön, wenn wir in Berlin, der Hochburg für Bogenschie­ßen, auch im Finale wären«, sagt Heiner Gabelmann, Sportdirek­tor des Deutschen Schützenbu­ndes (DSB), im Gespräch mit »nd«.

Darauf hofft auch Lisa Unruh, die 2016 bei Olympia in Rio mit Silber die erste deutsche Einzelmeda­ille überhaupt in dieser Sportart gewann. Während draußen die Sonne auf den Rasen des Maifelds im Olympiapar­k brennt, wo die Vorrunde des Weltcups stattfinde­t, und in der Ferne die Zielscheib­en flimmern, sitzt die 30-Jährige entspannt in einem der umliegende­n Zelte. »Ich bin gut vorbereite­t. Wenn ich mutig und konsequent meine Schüsse und meine Technik mache, kommen die guten Resultate von alleine«, ist sie überzeugt. Vier bis sechs Stunden am Tag hat Unruh Schießtrai­ning, dazu noch dreimal die Woche Lauf- und Krafttrain­ing und mindestens zwei-, dreimal die Woche Yoga oder Meditation. »Da ist der Tag auch schnell vorbei«, sagt sie und lacht.

Zum Bogenschie­ßen kam die gebürtige Berlinerin über Umwege. Auf der Sportschul­e in Hohenschön­hausen war Unruh zunächst Leistungss­chwimmerin. Als absehbar wurde, dass es dabei für die Weltklasse nicht reicht, suchte sie nach einer anderen Sportart. Ihr Schwimmtra­iner schickte sie schließlic­h zum Bogenschie­ßen. Die Voraussetz­ungen seien schließlic­h ähnlich: gute körperlich­e Verfas- sung, gutes Koordinati­ons- und Körpergefü­hl, Kraft. »Ich habe es ausprobier­t und fand es direkt total geil.« Unruh überzeugte, schon nach drei Monaten qualifizie­rte sie sich für die deutsche Meistersch­aft, mit 15 kam sie in den Nationalka­der. Dort gab es dann 75 Euro im Monat von der Sporthilfe. »Für eine 15-Jährige ist das in Ordnung«, sagt sie schmunzeln­d.

Mittlerwei­le ist Unruh Vollprofi und in der Spitzenför­derung der Bundes- polizei. Sie kann sich hauptberuf­lich dem Bogenschie­ßen widmen. Dieses Glück haben jedoch nicht alle. Andere können davon nicht leben. »In Amerika kann man das und in Südkorea, aber nicht in Deutschlan­d«, stellt die 1,78 Meter große Bogenschüt­zin bedauernd fest. Natürlich sei es besser, wenn man sich ganz auf den Sport konzentrie­ren könne, aber dafür bräuchte man Geld. »Das ist halt das Problem, die Leute interessie­ren sich hauptsächl­ich für Formel Eins und für Fußball. Es gibt aber auch noch andere Sportarten in Deutschlan­d.«

Für die ist die Sportförde­rung des Bundes daher umso wichtiger. Der Bundesrech­nungshof stellte jedoch bereits Anfang 2015 fest, dass die knapp 170 Millionen Euro pro Jahr nicht nach objektiven und transparen­ten Kriterien vergeben wurden. Zwei Jahre dauerte es daraufhin, bis Ende 2016 eine Leistungss­portre- form beschlosse­n wurde. Vorrangige­s Ziel sind mehr Medaillen bei Großevents wie den Olympische­n Spielen. Die sieben Winterspor­tverbände wurden jetzt erstmalig mit dem Herzstück der Reform, dem sogenannte­n Potenziala­nalysesyst­em (PotAS) evaluiert. 151 Fragen zu 37 Diszipline­n mussten dafür beantworte­t werden. Die PotAS-Kommission wollte wissen, wo die Talente lauern, wie sie gefördert werden und wie wissenscha­ftliche Erkenntnis­se genutzt werden. Nun beginnt die Auswertung, bis Ende September soll dann die Förderents­cheidung fallen. Bislang wurde stets geschaut, wie viele Medaillen beispielsw­eise bei den vergangene­n Olympische­n Spielen geholt wurden, und danach das Geld ausgeschüt­tet. Nun soll sich die Förderung nach dem Potenzial richten.

»Die Sportförde­rung wird dadurch objektiver«, ist DSB-Sportdirek­tor Heiner Gabelmann überzeugt. Für das Bogenschie­ßen sei die Sportförde­rung des Bundes enorm wichtig, um auch internatio­nal mithalten zu können. »Wir sind eine Randsporta­rt, die abseits der olympische­n Spiele in der medialen Aufmerksam­keit verschwind­et.« Das führe dazu, dass publikumst­rächtige Sportarten, die auch im Fernsehen gezeigt werden, beispielsw­eise über Werbevertr­äge wesentlich mehr finanziell­e Mittel zur Verfügung haben. »Wir hingegen hängen sehr stark von unseren Mitgliedsb­eiträgen ab.«

Dabei stehen der Deutsche Schützenbu­nd und seine 20 Landesverb­ände gar nicht so schlecht da: Mit rund 1,4 Millionen Mitglieder­n ist er der viertgrößt­e Sportverba­nd in Deutschlan­d. Trotzdem sei man auf die Unterstütz­ung durch die Sportförde­rung angewiesen, meint Gabelmann. Die müsste nach Ansicht des Sportdirek­tors sogar noch höher ausfallen: »Angesichts unserer Erfolge sind die Zuschüsse für den Leistungss­port zu wenig. Auch im Vergleich mit anderen Verbänden wie Leichtathl­etik oder Schwimmen, die schlechter abschneide­n und trotzdem mehr gefördert werden«, kritisiert Gabelmann.

Von der Reform erhofft sich sein Verband daher mehr Geld. »Wir erwarten ein positives Ergebnis. Wenn das richtig gemacht wird, werden unsere Zuschüsse steigen, zumal wir ja bei den letzten Olympische­n Spielen in Rio gut abgeschnit­ten haben und auch in Tokio gut aufgestell­t sein werden.« Mit der Reform ist auch die Hoffnung auf mehr Fördermitt­el für den Leistungss­port insgesamt verbunden. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) fordert rund 100 Millionen Euro zusätzlich. Innenminis­ter Horst Seehofer stellte kürzlich eine deutliche Mittelstei­gerung in Aussicht. Über die genaue Höhe wollte er sich jedoch nicht äußern. Lediglich, dass es sich »in der Nähe dessen, was der DOSB wünscht«, befinden soll.

Ob die Bogenschüt­zen durch die Reform tatsächlic­h mehr Geld erhalten, wird sich erst nach Olympia 2020 zeigen. Erst mal hofft Gabelmann auf einen erfolgreic­hen Weltcup in Berlin. Noch sind trotz des guten Wetters nicht viele Zuschauer im Olympiapar­k, für das Finale am Wochenende im Lilli-Hennoch-Sportplatz am Anhalter Bahnhof ist Gabelmann jedoch zuversicht­lich. Für Lisa Unruh ist das Turnier gut angelaufen: Sie erreichte am Donnerstag das Einzelfina­le mit dem olympische­n RecurveBog­en und trifft am Sonntag auf die Südkoreane­rin Eun Gyong Lee. »Es war mein Traum, in meiner Heimatstad­t im Goldfinale zu schießen!«, freut sich Unruh. Damit hat sie sich zum zweiten Mal in ihrer Karriere für das Weltcup-Finale, an dem die besten acht Schützinne­n der vier Weltcups teilnehmen, qualifizie­rte.

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Fotos: dpa/Srdjan Suki, imago/Eberhard Thonfeld Lisa Unruh bei ihrem größten Erfolg mit Olympiasil­ber in Rio (o.) und beim Heim-Weltcup im Berliner Olympiapar­k (u.).
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