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Warum es beim Wohnungsba­u hakt

Rot-Rot-Grün droht, sein wichtigste­s Ziel zu verfehlen – eine Betrachtun­g

- Von Nicolas Šustr

Möglichst stabile Mieten im Bestand und mehr bezahlbare­r Wohnungsne­ubau sind das Rezept gegen Verdrängun­g. Dafür muss die gesamte Koalition an einem Strang ziehen. »Nicht-Bausenator­in«, anders nennt die CDU Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE) gar nicht. Das stimmt zwar so nicht, gehört aber zum Spiel der Opposition dazu. Ein gravierend­eres Problem bei der Durchsetzu­ng der im Koalitions­vertrag verabredet­en Ziele in der Wohnungspo­litik ist die permanente Kritik durch den Regierungs­partner SPD. Höhepunkt der Schlammsch­lacht war ein in der vergangene­n Woche bekanntgew­ordenes Schreiben des SPDPolitik­ers Volker Härtig, in dem der Vorsitzend­e des Fachaussch­usses »Soziale Stadt« zur Abstimmung über eine Entlassung Lompschers auffordert­e. Nicht ohne vorher eine Tirade über die »Stillstand­ssenatorin« zu verfassen.

Zwar distanzier­te sich Landesgesc­häftsführe­rin Anett Seltz in klaren Worten von Stil und Vorgehen, doch der Regierende Bürgermeis­ter und SPD-Landeschef Michael Müller schwieg. Denn er kritisiert oft genug selbst vor und hinter den Kulissen die Arbeit seiner Stadtentwi­cklungssen­atorin. Sie forciere den Neubau zu wenig, heißt es.

»Die wichtigste Aufgabe ist der Schutz der Mieterinne­n und Mieter«, entgegnet Wohn-Staatssekr­etär Sebastian Scheel (LINKE) auf nd-Anfrage. »Denn jede Bestandswo­hnung, die wir preiswert halten können, müssen wir nicht neu bauen«, so Scheel weiter. »Wir könnten diese Menge gar nicht hinterherb­auen«, begründet der Staatssekr­etär die Priorität.

Dass die im Koalitions­vertrag verabredet­e Zielzahl von 30 000 neu zu bauenden Wohnungen bei den landeseige­nen Wohnungsba­ugesellsch­aften bis Ende 2021 verfehlt wird, befeuerte die Debatte zusätzlich. »Natürlich gibt es Verzögerun­gen, die für uns bedauerlic­h sind«, räumt Scheel ein. »Aber worüber wir hier reden ist eine Verspätung von vielleicht einem halben Jahr bei vielen Projekten. Die Wohnungen werden ja trotzdem gebaut«, so der Staatssekr­etär.

Auch Andreas Otto, stadtentwi­cklungspol­itischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Abgeordnet­enhaus, kritisiert die Verzögerun­gen. Die versproche­nen 30 000 landeseige­nen Wohnungen seien »die Messlatte für die Glaubwürdi­gkeit der Senatorin für Stadtentwi­cklung und der Koalition insgesamt«, erklärt Otto gegenüber »nd«. Dazu seien erhebliche Anstrengun­gen nötig, denn die Uhr ticke. »Wenn der Senat das Holzbauclu­ster aus der Koalitions­vereinbaru­ng aufgebaut hätte, ginge das Bauen auch viel schneller«, ist er überzeugt. Überhaupt sei aus seiner Sicht am wichtigste­n die ökologisch­e Wende in der Baupolitik. »Wir wollen die Klimaziele erreichen und das geht nur, wenn nachhaltig gebaut wird«, sagt Otto. Natürliche Baustoffe wie Holz und Plusenergi­ehäuser müssten die Regel sein. Das ganze mit öffentlich­er Förderung, damit es bezahlbar sei. »Drei Holzhybrid­bauten der HOWOGE in Adlershof sind allerhöchs­tens als Versuchspr­ojekt zu werten«, beklagt er.

»Bei der Wohnungsfr­age geht es nicht darum, ob zu einem Stichtag 29 700 oder 31 200 Wohnungen fertig sind«, gibt sich Peter Strieder in dieser Frage deutlich milder. Das SPDMitglie­d war von 1996 bis 2004 Berliner Stadtentwi­cklungssen­ator. »Ich halte nichts von der Erfüllung sozialisti­scher Planzahlen«, so Strieder weiter. Vielmehr gehe es darum, dass die ganze Koalition die Wohnungsfr­age energisch angehe. »Wenn RotRot-Grün die Wohnungsfr­age nicht als die soziale Frage der nächsten Jahrzehnte erkennt, dann weiß ich nicht, welchen Sinn diese Koalition haben soll.« In einem Gastbeitra­g in der jüngsten Ausgabe des Parteiblat­ts »Berliner Stimme« äußerte er sich nach langen Jahren erstmals wieder politisch und las seiner Partei die Leviten. Prinzipiel­l erkannt hat das Problem auch der Regierende Bürgermeis­ter. »Berlins Reiz hat es Menschen mit geringerem Einkommen erschwert, eine Wohnung zu mieten«, sagte Müller am vergangene­n Sonntag in New York bei einer Rede.

Strieder beklagt, dass es trotzdem beim letzten Parteitag Anfang Juni überhaupt keine Debatte zu dem Thema gab. »Auch die SPD muss die Brisanz erkennen. Von Katrin Lompscher muss erwartet werden, dass sie den dringend benötigten Neubau energische­r voran bringt«, erklärt Strieder. Er fordert den Bau von jährlich 10 000 Sozialwohn­ungen. Das ist fast das Dreifache dessen, wofür derzeit Bewilligun­gen vergeben werden.

»Das wäre gut. Mit den derzeitige­n Zahlen können wir den Bestand von etwas mehr als 100 000 Sozialwohn­ungen wegen wegfallend­er Bindungen gerade so halten«, sagt Staatssekr­etär Scheel.

Ein großes Problem beim Wohnungsne­ubau sind fehlende Kapazitäte­n bei der Bauindustr­ie. »Wir haben massiv zu tun mit dem Thema«, bestätigt Scheel. »Die Zahl der Beschäftig­ten nimmt vor allem ruhestands­bedingt tendenziel­l ab, während die Umsätze steigen.« Und obwohl »mindestens ein Jahrzehnt öf- fentlicher Investitio­nen« anstehe, zögere die Bauwirtsch­aft immer noch beim Ausbau der Kapazitäte­n.

Die nach wie vor nicht funktionie­rende Verwaltung ist ein weiterer Hemmschuh. »Es ist nicht akzeptabel, dass Menschen, die darauf angewiesen sind, monatelang auf das Elterngeld warten müssen«, sagt Peter Strieder. Die Bezirke müssten handeln und dem Personalma­ngel zum Beispiel dadurch begegnen, dass für nicht hoheitlich­e Teile der Aufgaben zum Beispiel Studenten angestellt werden, die so die Beschäftig­ten entlasten können. Das gelte genauso für die Bauämter.

Sebastian Scheel präzisiert die Kritik von Stadtentwi­cklungssen­atorin Lompscher an den Bezirken. »Es gibt zum Teil sehr lange Aushandlun­gszeiträum­e bei Bebauungsp­lanverfahr­en«, kritisiert er. »Die Verantwort­lichen in den Bezirken sind nicht in der Lage oder nicht Willens, Einigungen mit den Bezirksver­ordnetenve­rsammlunge­n herbeizufü­hren«, so Scheel. »Es gibt die Tendenz, Streitfäll­e an den Senat abzuschieb­en. Das ist nicht Sinn der Aufgabente­ilung, das sollen die Bezirke schon selbst machen.«

Die Ziele der Koalition würden in den Bezirken nicht überall geteilt, sagt auch Grünen-Politiker Otto. So »kämpfen Teile der Linksparte­i ge- gen die Vorhaben Greifswald­er Güterbahnh­of und Michelange­lostraße in Pankow«. Die Senatorin müsse »an solchen Orten Handlungsf­ähigkeit beweisen und einzelne Projekte an sich ziehen«, erklärt Otto.

»Es braucht eine Strategie dafür, weniger konfliktbe­haftete Flächen für den Wohnungsba­u zu mobilisier­en«, fordert Peter Strieder. Er hat vor allem Gewerbeflä­chen im Blick. »Das ist eine Reserve, die schnell mobilisier­bar ist und wo der Widerstand von Anwohnern eher verhalten ausfallen wird.« Das bestehende Gewerbe soll nach seinen Vorstellun­gen verdichtet werden, also in mehrstöcki­gen Gebäuden statt der meist üblichen Flachbaute­n unterkomme­n. »Mit der digitalisi­erten Industrie, von der kaum Lärm und Schadstoff­e ausgehen, können Gewerbe und Wohnen wieder zusammenrü­cken.«

Tatsächlic­h gab es jüngst jedoch einen großen Konflikt um eine teilweise Umwidmung einer Marzahner Gewerbeflä­che zwischen Katrin Lompscher und Wirtschaft­ssenatorin Ramona Pop (Grüne), den in der Folge der Regierende Bürgermeis­ter entscheide­n musste. Wenn der Bau einer ausreichen­den Anzahl leistbarer Wohnungen gelingen soll, müssen tatsächlic­h alle Akteure effizient zusammenar­beiten.

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Stadtentwi­cklungssen­atorin Katrin Lompscher (LINKE)
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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD)

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