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Gefahrenla­ge ganz nach Gutdünken

Landespoli­zei sieht 61 »verrufene« Orte in Sachsen

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Der Platz vor dem »Eine-Welt-Laden« in Freiberg gilt als »gefährlich­er Ort«, ebenso das Gebiet um zwei Spielothek­en in Schwarzenb­erg, der Vorplatz eines Discounter­s in Burgstädt und die gesamte historisch­e Altstadt von Görlitz. Insgesamt 61 Örtlichkei­ten im gesamten Freistaat stuft die Polizei als gefährlich oder »verrufen« ein. Das ergab eine Anfrage des Landtagsab­geordneten Valentin Lippmann (Grüne), die von verschiede­nen Medien veröffentl­icht wurde und für einigen Wirbel sorgte – so sehr, dass sich die Görlitzer Polizei genötigt sah zu beschwicht­igen. Auf die Frage, ob vom Besuch in der Stadt abzuraten sei, antworte man »eindeutig: nein«.

Gefährlich­e Orte können »heute hier, morgen dort« sein, räumt die Polizei ein.

Tatsächlic­h sagt die Einstufung wenig bis nichts über das Risiko aus, bestohlen oder überfallen zu werden. Der Begriff, stellt das Innenminis­terium klar, lasse »keine belastbare­n Schlüsse auf die Gefährlich­keit im klassische­n Sinne« zu. In der Antwort auf Lippmanns Anfrage erklärt das Ministeriu­m, ein Ort werde als »gefährlich« eingestuft, wenn es »Anhaltspun­kte« gibt, dass dort Straftaten verabredet oder begangen werden oder sich Straftäter verbergen. Die Einstufung sei ein »sehr dynamische­r Prozess«; gefährlich­e Orte könnten »heute hier, morgen dort« sein, wird betont. Im Dezember 2017 gab es in Sachsen noch 67 solcher Plätze. Seither wurde für etliche Plätze in Chemnitz und für den Kornmarkt in Bautzen Entwarnung gegeben – in Aue, Stollberg oder Rochlitz wurden aber neue Orte definiert.

Das scheint nach Gutdünken zu geschehen, wie allein die geografisc­he Verteilung zeigt: Die Polizeidir­ektion Chemnitz weist 46 gefährlich­e Orte aus, die im benachbart­en Zwickau keinen einzigen, die in Görlitz nur einen. In Dresden und Leipzig sind es acht beziehungs­weise sechs. Lippmann spricht von einer »willkürlic­hen« Benennung und kritisiert zudem, dass auffällig viele Unterkünft­e von Flüchtling­en genannt werden. Ein Grund dürfte sein, dass nach Definition des Ministeriu­ms auch Orte als gefährlich gelten, an denen »Personen ohne erforderli­che Aufenthalt­serlaubnis« anzutreffe­n sind.

Der rechtspopu­listische Verein »Heimattreu­e Niederdorf« macht diese Liste prompt zum Beleg dafür, dass Kriminalit­ät nicht mehr nur ein Großstadtp­roblem, sondern auch in Dörfern anzutreffe­n sei. Im Portal »Patriotenp­ost« heißt es: »Auffällig, viele Orte liegen an und um Flüchtling­sunterkünf­ten, sowie an Orten, wo viele Flüchtling­e sich treffen und aufhalten.« Lippmann erklärt, es sei »nicht hinnehmbar«, dass Flüchtling­e pauschal unter Verdacht gestellt werden, und beklagt eine »mangelnde Objektivit­ät der Gefahrenpr­ognose«.

Diese hat seiner Meinung nach einen klaren Zweck: Sie erlaubt der Polizei die Einrichtun­g von sogenannte­n Kontrollbe­reichen, in denen etwa »nach Belieben« Personenko­ntrollen stattfinde­n dürfen. In Grenzstädt­en wie Görlitz sei sie zudem womöglich Basis für die geplante Videoüberw­achung bestimmter Straßen, heißt es bei den Grünen. Der Görlitzer LINKEAbgeo­rdnete Mirko Schultze vermutet zudem, die Aufnahme seiner Heimatstad­t in die Liste gefährlich­er Orte solle Stimmung machen – zur Rechtferti­gung für das geplante neue Polizeiges­etz, das auch neue Kontrollmö­glichkeite­n in Grenznähe schafft.

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