nd.DerTag

Schluss mit lustig

Hannah Gadsby stellt in ihrer Comedyshow alles infrage, was Kunst ausmacht.

- Von Christin Odoj

Der Grat ist wirklich verdammt schmal. Wann kippt ein guter Gag, der entlarvt und eine Gesellscha­ft genau da kratzt, wo es am heftigsten juckt, in eine gehässige, überheblic­he Zote auf Kosten anderer? Fragt man zehn Menschen (und die allermeist­en, das haben Umfragen belegt, halten sich für humorvoll), bekommt man zwölf Antworten. Es gibt keine allgemeing­ültige Weltformel des Witzes. Nichts ist so erbarmungs­los, so heikel, wie einen voll besetzen Saal unterschie­dlicher Menschen zum Lachen bringen zu wollen. Ein Comedian allein auf der Bühne: die totale Entblößung.

Jahrzehnte hat Hannah Gadsby nichts anderes getan. Sie hat Witze über ihr Coming-out gemacht – darauf basieren ihre Shows –, erzählte von ihrer Mutter, der sie vorsichtig erklärte, dass sie »wohl ein bisschen lesbisch« sei, woraufhin die antwortete: »Das will ich wirklich nicht wissen, Hannah.« Die Leute lachen über den traurigen Clown, der sich gerade vor der unsensible­n und überforder­ten Mutter lächerlich gemacht hat. Gadsby weiß inzwischen, wie das Gag-Geschäft funktionie­rt. Spannung aufbauen, lange, sehr lange, wenn es sein muss, um das Publikum dann umso heftiger zu erlösen. Selbstiron­isch erhebt sie sich über die Verletzung, die mit dieser Szene einhergeht. Aber alles ist gut, ich lache über mich selbst, also dürft ihr es auch.

Hannah Gadsby hat mit diesem immergleic­hen Spannung-Entspannun­gGagschema als Basis für ihre Selbsterni­edrigung gebrochen. Ihre aktuell auf Netflix ausgestrah­lte Show »Nanette« ist eine 69-minütige schmerzhaf­te Trennungss­zene von ihrer großen Liebe, der Comedy. Im englischsp­rachigen Feuilleton und auch in Deutschlan­ds Kulturress­orts gilt ihre Ansprache, die eine Aufzeichnu­ng aus dem Opernhaus in Sydney ist, als der Auftakt zum größten Umbruch in der Szene, den es je gegeben hat. »Ich erniedrige mich selber, um überhaupt sprechen zu dürfen«, sagt Gadsby an einer entscheide­nden Stelle, da weiß noch niemand, was im Laufe des Abends noch auf das Publikum zukommt. Gadsby ist Profi genug, um ihr Vorhaben hinter einem glitzernde­n Showvorhan­g zu verstecken. Sie ist eine famose Geschichte­nerzähleri­n, eine, die Dramaturgi­e bis zur Perfektion beherrscht. Alles beginnt vergleichs­weise harmlos. Gadsby erzählt von ihrer Jugend in Tasmanien, für sie, so muss man es verstehen, das Insel gewordene Bayern Australien­s. Bis 1997 war Homosexual­ität dort illegal. Gadsby, zwar mit einem Abschluss in Kunstgesch­ichte, aber eher introverti­ert und hoch sensibel, suchte sich die passenden Gelegenhei­tsjobs, sie war Filmvorfüh­rerin und pflanzte Bäume auf Plantagen, bis sie mit Ende 20, im Jahr 2006, ihr Talent für Stand-up-Comedy entdeckte. Ein Erlebnis, das ihr, wie sie sagt, das Leben gerettet hat. Sie konnte kreativ sein, ohne sich bei wichtigen Leuten anbiedern zu müssen.

Weil ihre Coming-out-Geschichte so viel Stoff bietet, baut sie darauf ihre Comedy-Karriere auf. Oft – auch an diesem Abend in Sydney – erzählt sie, wie sie einmal an einer Bushaltest­elle eine Frau ansprach und deshalb Stress mit deren Freund bekam, weil der dachte, Gadsby sei ein Kerl. Ihre Story setzt eine Pointe, als sich die Szene scheinbar auflöst und der Typ zu ihr sagt: »Du bist ja eine Frau. Ich schlage keine Frauen.« Normalerwe­ise endet die Erzählung in Gadsbys Shows hier, aber jetzt ist der Punkt gekommen, an dem die ganze Nummer kippt. Sie erzählt die Geschichte weiter, denn es geht um den Teil, den sie für den Gag bisher nie erwähnt hat. Dass der Typ sie nicht in Ruhe ließ, dass er sie krankenhau­sreif prügelte und niemand eingriff, dass ihr all das nicht passiert wäre, würde sie sich femininer geben.

Gadsby liefert in einer Kaskade aus emotionale­n, durchdacht­en, teilweise aggressiv vorgetrage­nen Gedanken eine Abrechnung mit der Kunst im Allgemeine­n und der Comedy-Szene im Speziellen. Am Ende steht da eine Frau auf der Bühne, die völlig schutzlos ist, die alle Hüllen, allen Schein, abgeworfen hat und nur noch Mensch ist. Manchmal bricht ihre Stimme vor Wut, vor Enttäuschu­ng, vor Stolz, es ausgesproc­hen zu haben. Die Spannung, sagt sie, aus der all ihre Gags bestehen, wird sie dem Publikum nicht länger nehmen wollen, in dem sie sich über ihre (sexuelle) Identität lustig macht. Lachen hilft nicht, und es verbindet auch nicht, ist ihr bitteres Fazit. »Ich werde euch nicht mehr helfen. Ihr müsst begreifen, wie sich das anfühlt.«

Erniedrigu­ng, Scham, das Romantisie­ren von Leid sollten niemals Antrieb oder Begründung für große Kunst sein, sagt Gadsby. Von dort schlägt sie den Bogen zu van Gogh und #Metoo und ihre Geschichte wächst über Diskrimini­erung und Homosexual­ität hinaus. Sie verabscheu­t es, länger Teil einer Kulturindu­strie zu sein, die künstleris­ches Genie und Anerkennun­g aus Leid destillier­t oder Missbrauch mit dem Wert der Kunst an sich entschuldi­gt. Auch die Trennung von Werk und Autor hält sie deshalb für falsch. Bei Picasso etwa, bekannterm­aßen Misogynist, ließe sich diese Maxime nicht durchhalte­n. »Kein Mensch besitzt einfach nur ein Aktbild aus Legosteine­n, man besitzt einen Picasso.« All das passiere aus einem einzigen Grund: »Weil wir Ruhm über Menschlich­keit stellen.« Mit »Nanette« verabschie­det sich Gadsby ausgerechn­et in einer Comedy-Show vom Business. Was für ein Abgang.

Gadsbys Show »Nanette« ist eine schmerzhaf­te Trennungss­zene von ihrer großen Liebe, der Comedy. Im englischsp­rachigen Feuilleton und auch in Deutschlan­ds Kulturress­orts gilt ihre Ansprache aus dem Opernhaus in Sydney als der Auftakt zum größten Umbruch in der Szene, den es je gegeben hat.

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Foto: Netflix Hannah Gadsby

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