Der Binnenmarkt zuerst
Seit einem Jahrhundert sind die USA nicht nur Welt-, sondern auch Weltfinanzmacht. Trumps Protektionismus erinnert an Roosevelts »Nein« von 1933.
US-Zölle auf Stahl und Aluminium, Vergeltungszölle der Europäischen Union (EU), Gegenmaßnahmen von China, nun droht US-Präsident Donald Trump mit Autozöllen – immer öfter kommen inzwischen Vergleiche mit den Währungs- und Handelskriegen der 1930er Jahre auf. Der Blick zurück zeigt: Schon damals waren die USA der dominante Akteur, schon damals betrieben die USA eine Politik des »America first«. Ihren Ausdruck fand all dies im Smoot-Hawley-Zollgesetz von 1930 und in der Weigerung des damaligen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, eine internationale Krisenlösung mitzutragen.
Das Smoot-Hawley-Zollgesetz fiel allerdings noch in den Verantwortungsbereich von Roosevelts Vorgänger Herbert Hoover. Dieser hatte den amerikanischen Farmern im Wahlkampf 1928 versprochen, sie vor ausländischer Konkurrenz zu schützen. Heraus kam aber die massivste Zollanhebung in der Geschichte der USA, über 20 000 Produkte waren betroffen. In Kraft trat das Gesetz am 17. Juni 1930, es gilt heute als der Startschuss in die Ära des Protektionismus. Die Weltwirtschaftskrise hat es aber nicht ausgelöst, wie manchmal behauptet wird. Ursache hierfür war vielmehr der Zusammenbruch der New Yorker Börse rund neun Monate zuvor. Gleichwohl hat das SmootHawley-Gesetz den Abwärtstrend noch verstärkt.
Der Goldstandard zerfällt Zeitgleich begann die internationale Währungsordnung zu zerbröseln. Am 19. September 1931 erklärten die Briten ihren Ausstieg aus dem Goldstandard. Das Pfund wertete um 25 Prozent ab. Weitere Staaten folgten. Dann drohten die USA selbst damit, den Goldstandard zu verlassen. Zu Hause wütete gerade die »große Depression«. Rund ein Viertel der Amerikaner war arbeitslos. Es kam zu einem beispiellosen Preisverfall. Die USA brauchten dringend einen schwächeren Dollar, um die brutale Deflation zu beenden.
Auf den internationalen Beziehungen jener Zeit lastete zudem die ungelöste Frage der Kriegsschulden. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren Staaten in erster Linie bei privaten Banken verschuldet, nicht aber bei anderen Staaten. Dies änderte sich mit Kriegseintritt der USA, die erstmals Rüstungskredite an ihre Verbündeten vergaben, zunächst ein Darlehen über drei Milliarden Dollar im Jahr 1917. Vier Jahre später bezifferten sich diese Verbindlichkeiten schon auf 28 Milliarden Dollar, Tendenz weiter steigend.
USA steigen zur Weltmacht auf
Für die globale Machtarchitektur hatte dies dramatische Folgen. »Nie zuvor hatte eine Nation staatliches Kapital eingesetzt, um sich in den unangefochtenen Kreditgeber der übrigen Welt zu verwandeln. Dies war ein neues Phänomen in der internationalen Finanzwirtschaft: Die internationalen Vermögenswerte wurden in den Händen eines Staates gebündelt«, schreibt dazu der linke US-Ökonom Michael Hudson in seinem Buch »Finanzimperialismus«, in dem er den Aufstieg der USA zur Weltfinanzmacht nachzeichnet. Die alte Weltmacht England war nun bei der neuen Weltmacht USA verschuldet, Frankreich ebenso. Darüber hinaus musste Deutschland Reparationen von rund 60 Milliarden Dollar zahlen.
Die Probleme, die sich daraus ergaben, beschreibt Hudson wie folgt: »Die Kredite, mit denen die Aufrüstung der Entente-Mächte finanziert worden war, brachten keine Erträge, mit denen die Nachkriegsschulden getilgt werden konnten. Im Gegensatz zu den privaten Investitionen waren sie nicht durch produktive Vermögenswerte besichert. Und ihr Ausmaß stand in keinem Verhältnis zur Fähigkeit der EntenteMächte oder Deutschlands, die Schulden mit ihrem Volkseinkommen zu tilgen.«
Die Londoner Konferenz beginnt Einen Ausweg aus der globalen Krise sollte dann die Londoner Konferenz bringen, die für Juni 1933 anberaumt wurde. 66 Länder sagten ihre Teilnahme zu. Die Europäer wollten dort endlich die Frage der Kriegsschulden klären und sich über die Stabilisierung der Währungen verständigen. In den USA war inzwischen aber der Demokrat Roosevelt zum Präsidenten gewählt worden. Anders als sein republikanischer Vorgänger Hoover vertrat er eine klare Politik des Isolationismus. Bei seiner
Rede zum Amtsantritt am 4. März 1933 erklärte Roosevelt: »Ich werde alles für eine internationale wirtschaftliche Anpassung tun, um den Welthandel wiederherzustellen, aber das muss warten, bis die Notlage zu Hause bewältigt ist.«
Mit dem »New Deal« stellte er dann ein gigantisches Wirtschaftsprogramm vor, das einzig auf die Stabilisierung der Binnenwirtschaft ausgerichtet war. Über das Problem der Kriegsschulden wollte Roosevelt mit den Europäern nicht sprechen. Nur wenige Wochen nach seinem Amts-
antritt, am 20. April, stiegen die USA ebenfalls aus dem Goldstandard aus. Der Dollar wertete im Anschluss daran massiv ab. Für die Europäer war dieser Schritt verheerend. Er machte es ihnen nahezu unmöglich, sich über höhere Exporte die Devisen zu beschaffen, die sie benötigten, um ihre Kriegsschulden zurückzuzahlen.
Die Londoner Konferenz platzt Dann, am 12. Juni 1933, begann die Londoner Konferenz. In deren Verlauf gelang es den Europäern tatsächlich, einen, wenn auch minimalen, Konsens mit der US-Delegation über den Dollar herzustellen. Doch Roosevelt, der gar nicht in London dabei war, sondern auf seinem Feriendomizil auf Campobello Island weilte, lehnte ab. Zuvor schon hatte er die US-Delegation angewiesen, die Frage der Stabilisierung des Dollar »wie die Pest zu meiden«. Am 3. Juli telegrafierte er dann ein entschiedenes »Nein« nach London. Das Schreiben war offenbar in einem äußerst barschen Ton gehalten, es wurde später »Bombshell Message« genannt.
Roosevelt bezeichnete darin das Vorhaben, die Wechselkurse zu stabilisieren, als »einen Fetisch von so genannten internationalen Bankern«.
Der Grund für Roosevelts starre Haltung war, dass er sich zu Hause besonders für die Schuldner einsetzte, die unter der Deflation litten. Die Abwertung des Dollar war dabei ein unverzichtbarer Bestandteil seiner Strategie, die Preise wieder in die Höhe zu treiben. Mit Roosevelts »Nein« war allerdings auch die Konferenz in London de facto geplatzt. An eine gemeinsame Krisenlösung war fortan nicht mehr zu denken.
Debatten um Roosevelts »Nein« Roosevelts »America first« löste hinterher kontroverse Debatten aus. Herrschende Meinung in Europa war, dass die USA ihrer neuen Rolle als führende Weltmacht nicht gerecht wurden. Die Amerikaner dagegen fürchteten stets, über den Tisch gezogen zu werden. Raymond Moley, damals der wichtigste Berater Roosevelts, erklärte später: »Wir waren fest davon überzeugt, dass die Behauptungen der ausländischen Regierungen, sie könnten nicht zahlen, zum Großteil unwahr waren.« Die Amerikaner waren vielmehr der Meinung, dass die europäischen Staaten genug Geld für den Schuldendienst hätten, wenn sie nur auf ihre Aufrüstung verzichteten.
Roosevelts Isolationismus wurde auch von linken Ökonomen in Europa geteilt. Der Brite John Hobson forderte von den Europäern, sie sollten aufhören, durch jene kolonialistische Politik, die den Ersten Weltkrieg heraufbeschworen hatte, ausländische Märkte zu monopolisieren. Und Starökonom John Maynard Keynes schrieb in der Londoner Tageszeitung »Daily Mail«: »Präsident Roosevelt hat vollkommen recht.«
US-Binnenwirtschaft hat Vorrang Aus Sicht der Amerikaner schien die Strategie gerechtfertigt, der Binnenwirtschaft Vorrang zu geben. Der Außenhandel ist für ein Land, das über einen riesigen Binnenmarkt verfügt, nur von untergeordneter Bedeutung. Zu jener Zeit machte er in den USA gerade mal drei bis vier Prozent der Wirtschaftsleistung aus. Ganz anders die europäischen Länder. Sie sind traditionell international ausgerichtet. Der Außenhandel hatte dort einen Anteil an der Wirtschaftsleistung von 20 bis 25 Prozent.
»Die Haltung der Vereinigten Staaten war weder teuflisch noch falsch. Aber die amerikanische Regierung handelte kurzsichtig«, urteilt Hudson über jene Zeit. »Sie ließen das Ausmaß der weltwirtschaftlichen Probleme außer Acht und erkannten nicht, dass ihre harte Haltung gegenüber den europäischen Schuldnerländern den Nationalismus und Protektionismus in diesen Ländern begünstigte. Und diese Bestrebungen mündeten schließlich in den Zweiten Weltkrieg.«
Die Ära des Protektionismus endete schließlich im Juli 1944 mit der Konferenz von Bretton Woods. 44 Staaten verhandelten dort über die Neuordnung der Weltwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch hier waren die USA tonangebend. Die Fehler der 1930er Jahre wollte man diesmal aber vermeiden, eine unregulierte und unkoordinierte Weltwirtschaft sollte es nicht mehr geben. Heraus kam nun eine auf Freihandel getrimmte Welthandelsordnung, die auf die Export- und Kapitalinteressen der USA zugeschnitten war. Deren Bestandteile waren der Internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) sowie die Wiedereinführung der Goldpreisbindung mit dem USDollar als Weltreservewährung. Die Goldpreisbindung wurde 1971 aufgegeben. Ansonsten hat diese Ordnung im Kern heute noch Bestand. Jetzt wird sie wieder in Frage gestellt, erneut von den USA.
Zum Weiterlesen: Michael Hudson: Finanzimperialismus. Die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalismus. Klett-Cotta, 478 S., gb., 27 Euro.