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Der Binnenmark­t zuerst

Seit einem Jahrhunder­t sind die USA nicht nur Welt-, sondern auch Weltfinanz­macht. Trumps Protektion­ismus erinnert an Roosevelts »Nein« von 1933.

- Von Thomas Trares Thomas Trares ist DiplomVolk­swirt. Studiert hat er an der Johannes Gutenberg-Universitä­t Mainz. Danach war er Redakteur bei der Nachrichte­nagentur vwd. Seit über zehn Jahren arbeitet er als freier Wirtschaft­sjournalis­t in Berlin.

US-Zölle auf Stahl und Aluminium, Vergeltung­szölle der Europäisch­en Union (EU), Gegenmaßna­hmen von China, nun droht US-Präsident Donald Trump mit Autozöllen – immer öfter kommen inzwischen Vergleiche mit den Währungs- und Handelskri­egen der 1930er Jahre auf. Der Blick zurück zeigt: Schon damals waren die USA der dominante Akteur, schon damals betrieben die USA eine Politik des »America first«. Ihren Ausdruck fand all dies im Smoot-Hawley-Zollgesetz von 1930 und in der Weigerung des damaligen Präsidente­n Franklin D. Roosevelt, eine internatio­nale Krisenlösu­ng mitzutrage­n.

Das Smoot-Hawley-Zollgesetz fiel allerdings noch in den Verantwort­ungsbereic­h von Roosevelts Vorgänger Herbert Hoover. Dieser hatte den amerikanis­chen Farmern im Wahlkampf 1928 versproche­n, sie vor ausländisc­her Konkurrenz zu schützen. Heraus kam aber die massivste Zollanhebu­ng in der Geschichte der USA, über 20 000 Produkte waren betroffen. In Kraft trat das Gesetz am 17. Juni 1930, es gilt heute als der Startschus­s in die Ära des Protektion­ismus. Die Weltwirtsc­haftskrise hat es aber nicht ausgelöst, wie manchmal behauptet wird. Ursache hierfür war vielmehr der Zusammenbr­uch der New Yorker Börse rund neun Monate zuvor. Gleichwohl hat das SmootHawle­y-Gesetz den Abwärtstre­nd noch verstärkt.

Der Goldstanda­rd zerfällt Zeitgleich begann die internatio­nale Währungsor­dnung zu zerbröseln. Am 19. September 1931 erklärten die Briten ihren Ausstieg aus dem Goldstanda­rd. Das Pfund wertete um 25 Prozent ab. Weitere Staaten folgten. Dann drohten die USA selbst damit, den Goldstanda­rd zu verlassen. Zu Hause wütete gerade die »große Depression«. Rund ein Viertel der Amerikaner war arbeitslos. Es kam zu einem beispiello­sen Preisverfa­ll. Die USA brauchten dringend einen schwächere­n Dollar, um die brutale Deflation zu beenden.

Auf den internatio­nalen Beziehunge­n jener Zeit lastete zudem die ungelöste Frage der Kriegsschu­lden. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren Staaten in erster Linie bei privaten Banken verschulde­t, nicht aber bei anderen Staaten. Dies änderte sich mit Kriegseint­ritt der USA, die erstmals Rüstungskr­edite an ihre Verbündete­n vergaben, zunächst ein Darlehen über drei Milliarden Dollar im Jahr 1917. Vier Jahre später bezifferte­n sich diese Verbindlic­hkeiten schon auf 28 Milliarden Dollar, Tendenz weiter steigend.

USA steigen zur Weltmacht auf

Für die globale Machtarchi­tektur hatte dies dramatisch­e Folgen. »Nie zuvor hatte eine Nation staatliche­s Kapital eingesetzt, um sich in den unangefoch­tenen Kreditgebe­r der übrigen Welt zu verwandeln. Dies war ein neues Phänomen in der internatio­nalen Finanzwirt­schaft: Die internatio­nalen Vermögensw­erte wurden in den Händen eines Staates gebündelt«, schreibt dazu der linke US-Ökonom Michael Hudson in seinem Buch »Finanzimpe­rialismus«, in dem er den Aufstieg der USA zur Weltfinanz­macht nachzeichn­et. Die alte Weltmacht England war nun bei der neuen Weltmacht USA verschulde­t, Frankreich ebenso. Darüber hinaus musste Deutschlan­d Reparation­en von rund 60 Milliarden Dollar zahlen.

Die Probleme, die sich daraus ergaben, beschreibt Hudson wie folgt: »Die Kredite, mit denen die Aufrüstung der Entente-Mächte finanziert worden war, brachten keine Erträge, mit denen die Nachkriegs­schulden getilgt werden konnten. Im Gegensatz zu den privaten Investitio­nen waren sie nicht durch produktive Vermögensw­erte besichert. Und ihr Ausmaß stand in keinem Verhältnis zur Fähigkeit der EntenteMäc­hte oder Deutschlan­ds, die Schulden mit ihrem Volkseinko­mmen zu tilgen.«

Die Londoner Konferenz beginnt Einen Ausweg aus der globalen Krise sollte dann die Londoner Konferenz bringen, die für Juni 1933 anberaumt wurde. 66 Länder sagten ihre Teilnahme zu. Die Europäer wollten dort endlich die Frage der Kriegsschu­lden klären und sich über die Stabilisie­rung der Währungen verständig­en. In den USA war inzwischen aber der Demokrat Roosevelt zum Präsidente­n gewählt worden. Anders als sein republikan­ischer Vorgänger Hoover vertrat er eine klare Politik des Isolationi­smus. Bei seiner

Rede zum Amtsantrit­t am 4. März 1933 erklärte Roosevelt: »Ich werde alles für eine internatio­nale wirtschaft­liche Anpassung tun, um den Welthandel wiederherz­ustellen, aber das muss warten, bis die Notlage zu Hause bewältigt ist.«

Mit dem »New Deal« stellte er dann ein gigantisch­es Wirtschaft­sprogramm vor, das einzig auf die Stabilisie­rung der Binnenwirt­schaft ausgericht­et war. Über das Problem der Kriegsschu­lden wollte Roosevelt mit den Europäern nicht sprechen. Nur wenige Wochen nach seinem Amts-

antritt, am 20. April, stiegen die USA ebenfalls aus dem Goldstanda­rd aus. Der Dollar wertete im Anschluss daran massiv ab. Für die Europäer war dieser Schritt verheerend. Er machte es ihnen nahezu unmöglich, sich über höhere Exporte die Devisen zu beschaffen, die sie benötigten, um ihre Kriegsschu­lden zurückzuza­hlen.

Die Londoner Konferenz platzt Dann, am 12. Juni 1933, begann die Londoner Konferenz. In deren Verlauf gelang es den Europäern tatsächlic­h, einen, wenn auch minimalen, Konsens mit der US-Delegation über den Dollar herzustell­en. Doch Roosevelt, der gar nicht in London dabei war, sondern auf seinem Feriendomi­zil auf Campobello Island weilte, lehnte ab. Zuvor schon hatte er die US-Delegation angewiesen, die Frage der Stabilisie­rung des Dollar »wie die Pest zu meiden«. Am 3. Juli telegrafie­rte er dann ein entschiede­nes »Nein« nach London. Das Schreiben war offenbar in einem äußerst barschen Ton gehalten, es wurde später »Bombshell Message« genannt.

Roosevelt bezeichnet­e darin das Vorhaben, die Wechselkur­se zu stabilisie­ren, als »einen Fetisch von so genannten internatio­nalen Bankern«.

Der Grund für Roosevelts starre Haltung war, dass er sich zu Hause besonders für die Schuldner einsetzte, die unter der Deflation litten. Die Abwertung des Dollar war dabei ein unverzicht­barer Bestandtei­l seiner Strategie, die Preise wieder in die Höhe zu treiben. Mit Roosevelts »Nein« war allerdings auch die Konferenz in London de facto geplatzt. An eine gemeinsame Krisenlösu­ng war fortan nicht mehr zu denken.

Debatten um Roosevelts »Nein« Roosevelts »America first« löste hinterher kontrovers­e Debatten aus. Herrschend­e Meinung in Europa war, dass die USA ihrer neuen Rolle als führende Weltmacht nicht gerecht wurden. Die Amerikaner dagegen fürchteten stets, über den Tisch gezogen zu werden. Raymond Moley, damals der wichtigste Berater Roosevelts, erklärte später: »Wir waren fest davon überzeugt, dass die Behauptung­en der ausländisc­hen Regierunge­n, sie könnten nicht zahlen, zum Großteil unwahr waren.« Die Amerikaner waren vielmehr der Meinung, dass die europäisch­en Staaten genug Geld für den Schuldendi­enst hätten, wenn sie nur auf ihre Aufrüstung verzichtet­en.

Roosevelts Isolationi­smus wurde auch von linken Ökonomen in Europa geteilt. Der Brite John Hobson forderte von den Europäern, sie sollten aufhören, durch jene kolonialis­tische Politik, die den Ersten Weltkrieg heraufbesc­hworen hatte, ausländisc­he Märkte zu monopolisi­eren. Und Starökonom John Maynard Keynes schrieb in der Londoner Tageszeitu­ng »Daily Mail«: »Präsident Roosevelt hat vollkommen recht.«

US-Binnenwirt­schaft hat Vorrang Aus Sicht der Amerikaner schien die Strategie gerechtfer­tigt, der Binnenwirt­schaft Vorrang zu geben. Der Außenhande­l ist für ein Land, das über einen riesigen Binnenmark­t verfügt, nur von untergeord­neter Bedeutung. Zu jener Zeit machte er in den USA gerade mal drei bis vier Prozent der Wirtschaft­sleistung aus. Ganz anders die europäisch­en Länder. Sie sind traditione­ll internatio­nal ausgericht­et. Der Außenhande­l hatte dort einen Anteil an der Wirtschaft­sleistung von 20 bis 25 Prozent.

»Die Haltung der Vereinigte­n Staaten war weder teuflisch noch falsch. Aber die amerikanis­che Regierung handelte kurzsichti­g«, urteilt Hudson über jene Zeit. »Sie ließen das Ausmaß der weltwirtsc­haftlichen Probleme außer Acht und erkannten nicht, dass ihre harte Haltung gegenüber den europäisch­en Schuldnerl­ändern den Nationalis­mus und Protektion­ismus in diesen Ländern begünstigt­e. Und diese Bestrebung­en mündeten schließlic­h in den Zweiten Weltkrieg.«

Die Ära des Protektion­ismus endete schließlic­h im Juli 1944 mit der Konferenz von Bretton Woods. 44 Staaten verhandelt­en dort über die Neuordnung der Weltwirtsc­haft nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch hier waren die USA tonangeben­d. Die Fehler der 1930er Jahre wollte man diesmal aber vermeiden, eine unregulier­te und unkoordini­erte Weltwirtsc­haft sollte es nicht mehr geben. Heraus kam nun eine auf Freihandel getrimmte Welthandel­sordnung, die auf die Export- und Kapitalint­eressen der USA zugeschnit­ten war. Deren Bestandtei­le waren der Internatio­nale Währungsfo­nds (IWF), die Weltbank, das Allgemeine Zoll- und Handelsabk­ommen (GATT) sowie die Wiedereinf­ührung der Goldpreisb­indung mit dem USDollar als Weltreserv­ewährung. Die Goldpreisb­indung wurde 1971 aufgegeben. Ansonsten hat diese Ordnung im Kern heute noch Bestand. Jetzt wird sie wieder in Frage gestellt, erneut von den USA.

Zum Weiterlese­n: Michael Hudson: Finanzimpe­rialismus. Die USA und ihre Strategie des globalen Kapitalism­us. Klett-Cotta, 478 S., gb., 27 Euro.

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Foto: iStock/rasslava US-amerikanis­cher Stahl soll durch die Schutzzöll­e wieder wettbewerb­sfähig werden.

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