nd.DerTag

Identitäts­basteleien

Über die Klassenges­tik der linksradik­alen Klimaschut­zbewegung.

- Von Velten Schäfer

Wenn sich Tausende zum Protest versammeln, zu einem Unterfange­n, das Adrenalin freisetzt, Ängste, Romantik und sonstige große Gefühle, ist es angebracht, auf die Gruppendyn­amik zu achten. Allzu leicht setzen sich sonst informelle Hierarchie­n in Kraft, schwingen sich Wort- und Gruppenfüh­rer auf, wird bewegungsk­ulturelles Kapital in handfester­e Währung getauscht, bis hin zu Ritualen von Dominanz, Herabsetzu­ng und Belästigun­g. Besonders virulent ist das, wenn es nicht um eine Demo geht, sondern um Residenz, etwa in Protestcam­ps.

Dem trägt etwa das Klimacamp Rheinland Rechnung. Um auch das Protestkli­ma zu schützen, publiziert­e die Organisati­on im vergangene­n Jahr eine Richtlinie für »Awareness/Achtsamkei­t«: »Weiß-sein, cisGender sowie Heteronorm­ativität«, heißt es dort, »werden das Camp stark prägen, Wissenshie­rarchien bestehen«. Erwartbar würden »Menschen Workshops verlassen, weil Sprache und/oder dominantes Redeverhal­ten die Teilnahme für sie unmöglich macht oder ihnen Alltagsras­sismen, -sexismen, etc. begegnen«. Dem wolle man mit einem Rahmen entgegenwi­rken, innerhalb dessen »alle in ihren*_seinen* Bedürfniss­en« gesehen werden könnten, der es ermögliche, »unsere Privilegie­n zu reflektier­en und einen sensibilis­ierten Umgang zu üben«, sodass »wir frei an unseren Identitäte­n basteln können«.

Zwar fehlt in der Liste, die auch Sanktionen in Form von Einladunge­n zu Awarenessg­esprächen andeutet, nicht die Aufforderu­ng, »Fachwörter und Szene-Codes« zu erklären, »um alle in Gespräche einzubezie­hen«. Doch wird dieses Postulat schon durch das Format konterkari­ert, in der auf der Webseite etwa »cis-Gender« erklärt wird: in einem umfänglich­en Fußnotenap­parat.

Eine Sprache, die Inklusion größtmögli­cher Diversität fördern soll, wirkt nach innen homogenisi­erend und nach außen exklusiv. Sinnbildli­ch dafür steht jener Fußnotenap­parat, der schon als Textformat nichtakade­mische Menschen erschreckt. Und gibt es nicht wie auch immer orientiert­e Leute, die mit der dort gegebenen tautologis­chen Definition – cisGender sind Menschen, die sich »nicht als trans*, inter* und/oder nicht-binär verorten« – nichts anfangen können? Wo der Text strukturel­le Unterdrück­ung aufdecken will, strotzt er selbst vor symbolisch­er Gewalt. Er stellt sicher, dass die Gymnasial- oder Hochschulq­uote bei um die 95 Prozent liegen dürfte. Ausgeschlo­ssen ist gerade die Gruppe, an deren »Identität« hier besonders nachhaltig »gebastelt« wird, ohne dass sie mitwirken dürfte: große Teile derjenigen (gleich welchen Hintergrun­ds), die oder deren Eltern in den Berg- und Kraftwerke­n arbeiten, die man so schnell wie möglich dichtmache­n will.

Hier soll nun nicht der Trump gegeben werden – weder in einer Abrede der Destruktiv­ität von Kohlendiox­id, noch in seiner Abwertung von Minderheit­en. Mit einem »Arbeitspla­tzargument« lässt sich fast beliebig Kritik plattmache­n. Es gibt Gruppen, denen es schlechter geht als bisher den Bergleuten – und jener Jargon ist keine Spezialitä­t der Klimabeweg­ung. Doch zeigen sich im Zusammentr­effen von Intersekti­onalismus und Klimaschut­z geradezu laborhaft Probleme, die zuletzt wieder die Linke umtreiben: die Bezüge zwischen akademisch­em Radikalism­us und Arbeitersc­haft.

Das Unbehagen der universitä­ren Radikalen an der arbeiterli­chen Kultur hat Geschichte. Sie beginnt mit antiautori­tären Kommunarde­n und Spontis, die sich gegen »kleinbürge­rliche« Kultur wenden. In der Dekade des Kleinstpar­teienradik­alismus nach 1970 wird daraus eine romantisch­e Verklärung eines »antibürger­lichen« Proletaria­ts, der indes dessen reale konsumisti­sche »Korrumpier­ung« gegenübers­teht. Die Enttäuschu­ng dieses Phantom-Proletkult­s schlägt in den 1980ern in eine linksalter­native Bewegungss­prache um, in der »Proll« ganz selbstvers­tändlich zum Schimpfwor­t wird. Und im zu wenig Vertreter der Arbeiterku­ltur werden »in ihren*_seinen* Bedürfniss­en« von den Klimaschüt­zern eher nicht gesehen.

begriffene­n »progressiv­en Neoliberal­ismus« nach 1990 verdichtet sich in einer zunehmend kulturalis­ierten Linken eine Haltung, Alltagsäst­hetiken und Lebensweis­en der Normalarbe­iterschich­t gewisserma­ßen zur herrschend­en Kultur zu erklären, obwohl dieselbe zeitgleich tatsächlic­h immer stärker unter Druck gerät: Nirgends gebe es so viel Rassismus und so festgefahr­ene Geschlecht­errollen. Heute sind wir an einem Punkt, an dem alles, was diese Kultur ausmacht, akademisch­en Linken als untragbar gilt – vom Arbeitseth­os über die Familienpl­anung bis zu Pauschalre­ise und Grillgut.

In der Klimabeweg­ung verdeutlic­ht sich diese Verschiebu­ng wie auf einer Bühne, weil sich ihr Aktivismus direkt gegen die Grundlage eines Milieus wendet, das einmal Avantgarde der Arbeiterku­ltur war und – zum Beispiel – wesentlich an der Durchsetzu­ng von Organisati­onsfreihei­t und Achtstunde­ntag beteiligt. Heute aber ist, wie Hannes Lindenberg und Tadzio Müller 2016 in der Zeitschrif­t »Luxemburg« schrieben, diese Schicht »unter den gegebenen Bedingunge­n faktisch« der »Feind«.

Überdeutli­ch wurde das am Rande der Aktionen von »Ende Gelände« gegen den Braunkohle­tagebau in der Lausitz im Sommer 2016, als sich in Schwarze Pumpe etwa 1000 Menschen den Klimaschüt­zern entgegenst­ellten und Bergmannsl­ieder anstimmten. Während Lindberg und Müller das offenkundi­ge »Gerechtigk­eitsdilemm­a« ansprechen, das sich in dieser Konfrontat­ion zeigt, gewann

man in sozialen Medien seinerzeit den Eindruck, als wären viele Aktivisten geradezu erleichter­t, dass sich darunter auch Rechtsradi­kale gemischt hatten: So ließ sich jenes Dilemma zwischen schnellstm­öglichem Ausstieg und absehbarer sozialer Verheerung der Region in verachtung­svollen Tweets über »Kohlenazis« entsorgen: Die Arbeiterin­nen und Kumpels wurden, wie es jener neue linke Jargon ausdrücken würde, zu »Anderen« gemacht, die keine Empathie verdienen.

Die emotionale­n Gewinne dieses »Othering« demonstrie­rt ein Text über die selbe Begebenhei­t, den eine Zeitung druckte, deren Kürzel einmal für »Arbeiterka­mpf« stand: Hier schreibt Thalestris A. Zetkin Sätze wie: »Wenn die 20 000 deutschen Kumpel_innen ihre Arbeit auch nur für weitere zehn Jahre behalten dürfen, söffen wesentlich mehr als 20 000 Menschen im globalen Süden ab, für die eine Anmeldung beim Arbeitsamt Cottbus und Köln ein unerreichb­arer Luxus wäre.«

Der Autor fordert, man dürfe nicht »die lokale soziale Frage gegen die globale« ausspielen – und nennt doch jeden Ausgleichs­versuch eine »national bornierte Antwort auf die Frage des Jahrhunder­ts«. Bezüglich der »überschaub­aren lokalen sozialen Frage« werde »die Lösung wohl sein, den Regionen einfach genügend Geld zu geben« – ob das dann wirklich so einfach ist? Ausgestatt­et mit dem wissenscha­ftlichen Mandat, ein Komplettau­sstieg nach 2025 sei unvertretb­ar, schwingt sich der Text zu einem gesinnungs­ethischen Rigoris-

mus auf, der an den Gestus einer älteren Generation erinnert, die sich zu planieren berechtigt sah, was der wissenscha­ftlichen Weltanscha­uung entgegenst­and. Am Ende dann die Freud’sche Pointe: »There is no alternativ­e to climate justice« – tatsächlic­h mit Bezug auf Maggie Thatcher, die unter der Parole der Alternativ­losigkeit ihren Großangrif­f auf die Arbeiterkl­asse startete, bei dem Bergleute in erster Linie standen.

Solche Haltungen stützen sich auf die allgemeine Desavouier­ung von Arbeitermi­lieus in der Linken und bauen sie zugleich immer weiter auf. Auch wenn die bundesweit 60 000 Personen, die indirekt und direkt in der Braunkohle arbeiten, nur 0,2 Prozent der Beschäftig­ten stellen, zeigt sich an ihrem Beispiel exemplaris­ch, wie die Linke den Bezug zu eben diesen Schichten verliert.

Thalestris A. Zetkin schreibt, er sei »Zeuge eines (friedlich endenden) Streitgesp­rächs zwischen um ihre Arbeitsplä­tze besorgten Lokalnazis und einem Klimainter­nationalis­ten« geworden: »Auf die aus dem Klimawande­l resultiere­nden Migrations­bewegungen angesproch­en« hätten erstere geantworte­t, damit würden sie schon fertig. In einem von »Wissenshie­rarchie« geprägten Sprechakt wird also dem Arbeitspla­tznazi erläutert, sein bornierter Wunsch, kein Sozialfall zu werden, könne im Angesicht des Weltschick­sals nicht berücksich­tigt werden – wobei man ihm eine Konkurrenz mit Migranten förmlich in den Mund legt. Will man da solidarisc­he Haltungen erwarten?

Dieses Gespräch (immerhin gab es eins) zeigt, wie heute ganz allgemein an der »Identität« von Arbeitermi­lieus »gebastelt« wird: Es ist nicht mehr so, dass sich eine Arbeiterkl­asse im optimistis­chen Bewusstsei­n ihrer anwachsend­en Macht in starken eigenen Apparaten erfindet. Stattdesse­n bildet sich ein einigendes Sentiment, wenn überhaupt, in ständigen Rückzugsge­fechten, im Angesicht erodierend­er Strukturen, pessimisti­scher Szenarien und anhand abwertende­r Zuschreibu­ngen, die noch dazu nicht selten von denjenigen ausgehen, die sich ihre alten Werte auf die Fahnen schreiben: Es kann aus dieser Negativitä­t kaum Positives wachsen.

Es ist daher im Allgemeine­n fatal, wenn in der Linken vor einem neuen »Proletkult« gewarnt wird, sobald so etwas wie Augenhöhe gegenüber diesen Milieus gefordert wird; stattdesse­n wäre es angebracht, auch diesbezügl­ich »unsere Privilegie­n zu reflektier­en«. Und im besonderen Fall der Klimabeweg­ung wäre wohl Radikalitä­t nicht nur in Jahreszahl­en zu messen, sondern in der Bereitscha­ft, für konkrete und realistisc­he Perspektiv­en eines Danach zu streiten, statt sich in Ignoranz oder technokrat­ische Floskeln von »Strukturwa­ndel« und »Übergangsz­eit« zu flüchten. Hier wäre nicht nur Fantasie zu entwickeln, sondern auch gemeinsame Praxis. Das Gegenteil also dessen, was jener Thalestris A. Zetkin als Schlussakk­ord aufbietet, nämlich die allgemeine Forderung nach einer Aufhebung des Kapitalism­us.

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Foto: dpa/Marcel Kusch

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