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Aktion Sorgenkind

Jürgen Amendt findet, dass der Begriff »Inklusion« mehr verspricht, als er halten kann

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Inklusion ist ein schönes Wort. »Aktion Mensch«, die von ihrer Gründung 1964 bis zum Jahr 2000 »Aktion Sorgenkind« hieß, definiert den Begriff folgenderm­aßen: »Inklusion bedeutet, dass jeder Mensch ganz natürlich dazu gehört. Egal wie du aussiehst, welche Sprache du sprichst oder ob du eine Behinderun­g hast. Jeder kann mitmachen. Zum Beispiel: Kinder mit und ohne Behinderun­g lernen zusammen in der Schule. Das ist Inklusion.«

Behindert ist ein Mensch aber nicht, weil er in irgendeine­r Form beeinträch­tigt ist, sondern weil die Gesellscha­ft, in der er lebt, ihn beeinträch­tigt. Diese Gesellscha­ft wiederum bedarf nicht nur des guten Willens, sondern auch der Ressourcen, um Beeinträch­tigung abzubauen und Inklusion zu ermögliche­n.

Seit die Bundesrepu­blik Deutschlan­d die UN-Behinderte­nrechtskon­vention 2009 ratifizier­t hat, ist der Begriff der Inklusion aus den hiesigen bildungspo­litischen Debatten nicht mehr wegzudenke­n. Es gehört mittlerwei­le zum guten Ton und zur Selbstverg­ewisserung fortschrit­tlicher Pädagogik, Inklusion zu fordern und öffentlich festzustel­len, man fühle sich dem Ziel der Inklusion verpflicht­et.

Die Realität sieht anders aus: An den Schulen wurde die Inklusion zwar als Ziel formuliert, doch die materielle­n Bedingunge­n dafür fehlen. Man hat vielerorts die Sonderschu­len geschlosse­n mit der Begründung, alle Schüler – gleich welcher Herkunft oder Beeinträch­tigung – sollten gemeinsam lernen. Doch die Lernbeding­ungen in den Inklusions­klassen sind vielfach schlechter als in den vormaligen »Förderschu­len«. An den Regelschul­en fehlt speziell ausgebilde­tes Lehrperson­al und die baulichen Voraussetz­ungen sind allenfalls in Neubauten optimal. Gleiches gilt für die Hochschule­n.

Man muss ich also um die Bildung sorgen. Angesichts der Unterfinan­zierung des deutschen Bildungssy­stems wäre es an der Zeit, eine neue Initiative ins Leben zu rufen. Man könnte sie ja »Aktion Sorgenkind« nennen.

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