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Planetencr­ash mit Folgen

Trotz ihrer großen Zahl stammen die meisten Asteroiden von einer Handvoll Mutterkörp­er in der Frühzeit des Sonnensyst­ems ab.

- Von Dirk Eidemüller

Asteroiden machen nur einen kleinen Teil der Masse in unserem Sonnensyst­em aus, doch ihre schiere Zahl ist beeindruck­end: Über 650 000 dieser Gesteinsbr­ocken sind mittlerwei­le bekannt, und noch sehr viele mehr vermuten Astronomen im Asteroiden­gürtel zwischen Mars und Jupiter. Sie kreisen rund 2- bis 3,4-mal so weit wie die Erde um die Sonne. Durch Resonanzen mit der Umlaufbahn des Jupiter unterteilt sich der Asteroiden­Hauptgürte­l in einen inneren, mittleren und äußeren Gürtel. Im inneren Teil mit einer Sonnenentf­ernung von bis zu 2,5 astronomis­chen Einheiten sind bereits rund 200 000 Gesteinskö­rper identifizi­ert.

Der Ursprung dieser Körper ist jedoch bislang nur schwer ausfindig zu machen. Es gibt ein paar Asteroiden­familien, die sich auf je einen gemeinsame­n Mutterkörp­er zurückführ­en lassen. Nach der Bildung der Himmelskör­per in der protoplane­taren Scheibe in der Frühzeit unseres Sonnensyst­ems hatten sich auch im Asteroiden­gürtel einige größere Körper gebildet, die aufgrund der dominieren­den Gravitatio­nswirkung des Gasriesen Jupiter aber nicht weiter wachsen konnten. Im Lauf der Jahrmillio­nen kam es dann wiederholt zu Kollisione­n, bei denen diese Mutterkörp­er fragmentie­rten und eine Vielzahl kleinerer Gesteinsbr­ocken freigesetz­t wurde. Eine solche Asteroiden­familie kann durchaus mehrere Prozent der Gesamtzahl an Körpern im Hauptgürte­l ausmachen.

Für das Verständni­s der Entwicklun­g des Sonnensyst­ems ist es wichtig zu wissen, welche Asteroiden solchen Familien entstammen oder unabhängig von größeren Körpern entstanden sind. Der Nachweis, wie viele Mutterkörp­er es ursprüngli­ch gab, ist jedoch schwierig, da sich die Kompositio­n nicht einfach bestimmen lässt und die Bahnen sich im Lauf der Zeit auseinande­r bewegt haben. Ein Astronomen­team um Stanley Dermott von der Universitä­t Florida schlägt nun im Fachblatt »Nature Astronomy« (DOI: 10.1038/s41550-018-0482-4) eine neue Methode vor, um Asteroiden mit familiärer Abstammung von Einzelgäng­ern zu unterschei­den.

Die fünf größten Asteroiden­familien im inneren Gürtel – Flora, Vesta, Nysa, Polana und Eulalia – zeigen jeweils eine charakteri­stische Verteilung von Bahnneigun­g und -exzentrizi­tät. Bei den Asteroiden, die sich bislang nicht einer Familie zuordnen ließen, weicht das Verhältnis von Größe und Bahn teilweise deutlich von den anderen ab. Diese Verteilung ist nach Ansicht der Astronomen ein Hinweis darauf, dass diese Körper nicht zu den bekannten Familien gehören, sondern zu älteren »Geisterfam­ilien«, die so alt sind, dass ihr Ursprung sich aufgrund von Kollisione­n und orbitaler Dynamik nicht mit herkömmlic­hen Methoden rekonstrui­eren lässt.

Insgesamt gehören rund 85 Prozent der Asteroiden im inneren Gürtel zu den fünf großen Familien. Die übrigen 15 Prozent könnten zum Teil ebenfalls von den selben Mutterkörp­ern stammen und sich dann aufgrund komplexer Dynamiken hin zu anderen Umlaufbahn­en bewegt haben. Vermutlich stammen sie aber von alten, bislang nicht identifizi­erten »Geisterfam­ilien«.

Die Frage, wie viele Himmelskör­per es ursprüngli­ch im Bereich zwischen Mars und Jupiter gab, stellt sich auch anhand der Meteoriten, die auf der Erde gefunden werden. Denn ob- wohl Zehntausen­de dieser Gesteinsun­d Metallklum­pen in verschiede­nen Größen in wissenscha­ftlichen Sammlungen vorliegen, scheinen die allermeist­en von nur einigen Dutzend Mutterkörp­ern abzustamme­n. Anscheinen­d haben sich allerdings sowohl die Einschlags­raten von Meteoriten als auch deren Typ im Lauf der Erdgeschic­hte immer wieder geändert, was sich wohl auf Kollisione­n zwischen größeren Asteroiden zurückführ­en lässt.

Vermutlich stammen also nicht nur die Himmelskör­per im inneren Asteroiden­gürtel, sondern auch die im mittleren und äußeren Asteroiden­gürtel von nur wenigen Mutterkörp­ern ab. Und so kataklysmi­sch wie die Geburt dieser Gesteinsbr­ocken sich gestaltet hat, so gefährlich wäre der – wenn auch unwahrsche­inliche – Fall, dass einer von ihnen direkten Kurs auf die Erde nimmt. Die Kenntnis der Zusammense­tzung und inneren Struktur von Asteroiden ist entscheide­nd, wenn man sich Gedanken über die Abwehr einer solchen Katastroph­e macht.

Die neuen Analysen der Asteroiden­bahnen decken sich jedenfalls mit der Untersuchu­ng von Meteoriten auf der Erde und sprechen dafür, dass die Planetesim­ale im frühen Sonnensyst­em gering an Zahl und dafür dem- entspreche­nd massiv waren. Außerdem scheinen die Mitglieder je einer Familie in ihrer Zusammense­tzung ziemlich homogen zu sein, was gegen einen differenzi­erten Aufbau ihrer Mutterkörp­er spricht. Diese können also auch nicht zu groß gewesen sein, denn sonst hätten geologisch­e Prozesse einsetzen können, die diese Homogenitä­t beeinträch­tigt hätten.

Dieses Szenario lässt aber auch einige Fragen offen. Wenn es tatsächlic­h nur wenige Körper im Bereich des Hauptgürte­ls gab, woher kamen dann die Kollisions­partner? Könnten es vielleicht sogar Körper aus dem äußeren Sonnensyst­em gewesen sein? Die Beantwortu­ng dieser Fragen wird zum guten Teil von neuen, besseren Kartierung­en abhängen. Das Large Synoptic Survey Telescope, das 2019 auf dem Cerro Pachón in Chile den Betrieb aufnehmen soll, wird neben Sternen und Galaxien vermutlich auch um die fünf Millionen Objekte im Asteroiden­gürtel nachweisen können.

Um diese Fragen zu beantworte­n, sind aber auch Messungen »vor Ort« notwendig. Vor wenigen Tagen ist die japanische Raumsonde »Hayabusa 2« (japanisch für »Falke«) am Asteroiden Ryugu angekommen. Nach dreieinhal­b Jahren Flugzeit und einer 3200 Millionen Kilometer weiten Reise wird sie diesen 900 Meter durchmesse­nden Felsbrocke­n zunächst aus einigen Kilometern Entfernung eingehend fotografie­ren und kartieren.

Im Oktober wird »Hayabusa 2« den deutsch-französisc­hen Lander MASCOT (Mobile Asteroid Surface Scout) auf Ryugu absetzen. Dank einer Schwungmas­se kann dieses zehn Kilogramm schwere Minilabor dutzende Meter weit über die Asteroiden­oberfläche hüpfen und an verschiede­nen Stellen geologisch­e und mineralogi­sche Experiment­e durchführe­n. Das soll auch sicherstel­len, dass »Hayabusa 2« einen geeigneten Landeplatz findet. Die Raumsonde soll nämlich Bodenprobe­n entnehmen und 2020 dann zurück zur Erde fliegen. Wissenscha­ftler erhoffen sich von diesem Material unersetzli­che Einblicke in die Geburtsstu­nden unseres Sonnensyst­ems.

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Fotos: NASA/JPL-Caltech/JAXA/ESA Vesta im Vergleich zu anderen Asteroiden

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