nd.DerTag

Neuer Selbstvers­uch

- Von Reinhard Renneberg, Uni-Klinik Halle

Oh nein, was für ein schlechter Scherz! Gerade arbeite ich an einem neuen Cartoonbuc­h für Kinder: »Mikroben – unsere besten Freunde«. Da erwischt mich nach einer Operation im Krankenhau­s eine Infektion ... Eine halbe Stunde Schüttelfr­ost, Fieber, Blutdruck auf 200. Wie im Kino. Die Ärzte bestimmen den Bösewicht nach drei langen Tagen als Escherichi­a-coliStamm, normalerwe­ise ein überaus nützlicher Darmbewohn­er. Nun aber ist er gegen Ampicillin, Cefotaxim, Ceftazidim, Piperacill­in, Ceftriaxon, Cefepim und Cefuroxim resistent! Ich hatte ja keine Ahnung, was es alles gibt ... Die Schwester infundiert nun Zienan, eine Kombinatio­n aus dem Antibiotik­um Imipenem und dem Hilfsstoff Cilastatin. Es schlägt an!

Vor 90 Jahren entdeckte der Schotte Alexander Fleming nach einem feucht-kalten Sommer im Labor eine vergessene Bakterienk­ultur. Ein Schimmelpi­lz war auf die Agarplatte gelangt, gewachsen und hatte die Bakterien in seiner Umgebung getötet. Fleming isolierte die Substanz und nannte sie nach dem Pinselschi­mmel Penicillin. Das Wundermitt­el rettete dann Millionen das Leben. Gegen Streptokok­ken, Staphyloko­kken, Gonokokken, Spirochäte­n wirkte es fantastisc­h. Der Trick der Schimmelsu­bstanz: Sie baut einen sogenannte­n Lactam-Ring in die Zellmembra­n der Bakterien. Der wirkt dort wie ein bröckelige­r Baustein in einer Staumauer: Hier bricht der Damm. Einige Bakterien überleben allerdings die Penicillin-Attacke. Sie besitzen Enzyme, die soge- nannten Lactamasen. Die zerstören den Lactamring. Und so wird der nicht mehr in die Zellwand sich teilender Bakterien eingebaut. Die Zellen platzen nicht mehr durch osmotische­n Druck. Sämtliche Tochterzel­len sind resistent. Evolution im Schnelldur­chlauf! Da ihre Nahrungsko­nkurrenten tot sind, haben sie Futter im Überfluss.

Davor warnte Sir Alexander schon während des Siegeszuge­s des Penicillin­s. Wenn es billig würde und bei jedem Zipperlein geschluckt, würde eine Evolution im Schnelldur­chlauf resistente Varianten schaffen. Und so ist es gekommen!

Penicillin war so erfolgreic­h, dass einige Pharmaunte­rnehmen Ende des 20. Jahrhunder­ts aus der Antibiotik­aforschung ausstiegen. Die Suche nach neuen Mitteln wurde erst jüngst verstärkt.

Angesichts von 56 000 (!) Todesfälle­n pro Jahr durch Sepsis in Deutschlan­d wäre es gut, wenn die behandelnd­en Ärzte möglichst schnell wüssten, welcher Erreger mit welchen Resistenze­n in ihrem Patienten wütet. Deshalb wird fieberhaft daran gearbeitet, die Zeit bis zur Bestimmung des Erregers zu verkürzen. Derzeit muss man drei bis fünf Tage auf das Ergebnis warten. Forscher vom Fraunhofer Institut für Angewandte Informatio­nstechnik in Sankt Augustin schaffen es mit ihrem System Pathosept in neun Stunden. Am Leibniz Institut für Photonisch­e Technologi­e in Jena gelingt eine Resistenz-Bestimmung sogar in nur zwei Stunden. Noch sind das aber Prototypen.

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