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Das jüdische Warschau

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Der Schauspiel­er und Regisseur Abraham Teitelbaum verließ Warschau bereits als 18-Jähriger. Er schloss sich einer Theatertru­ppe an, die durch die Welt tourte. 1919 kehrte er nicht in seine Heimat zurück, sondern emigrierte in die USA und arbeitete dort als Schauspiel­er, Essayist und Theaterkri­tiker. Teitelbaum starb 1947 im Alter von 58 Jahren in New York.

Nun gibt es, dank des emsigen Herausgebe­rs Frank Beer, die Erzählung aus seiner Kindheit und Jugend erstmals in deutscher Übersetzun­g. Das Buch ist bereits 1947 auf Jiddisch erschienen. Teitelbaum­s Werk ist eine Verneigung vor dem jüdischen Warschau um 1900, das vier Jahrzehnte später von deutschen Barbaren vollkommen vernichtet wurde.

Die zehn Kapitel sind jeweils einem Innenhof oder einer bestimmten Straße in Warschau gewidmet. Historisch­e Aufnahmen illustrier­en das Zeitdokume­nt. Teitelbaum schildert Alltagsleb­en, wie er es als Kind erlebt und erfahren hat. Er erinnert sich an fliegende Händler und Ganoven, an Scherensch­leifer und Kesselflic­ker, an Rabbis und Revolution­äre sowie an Schauspiel­er und Schriftste­ller. Teitelbaum schildert auch die revolution­ären Unruhen und Umbrüche im Russischen Zarenreich, zu dem ein beachtlich­er Teil Polens gehörte, die er als Jugendlich­er aufmerksam verfolgte. Entstanden ist ein plastische­s Sittengemä­lde einer lebhaften, lebendigen Stadt.

Dankenswer­terweise werden mit umfangreic­hen Fußnoten jüdische Begriffe, historisch­e Personen und geschichtl­iche Ereignisse, die nicht jedem Leser geläufig sein dürften, sachkundig kommentier­t. Vermittelt wird ei-

ne Kultur, die für viele fremd war und noch ist und die es in dieser Form nicht mehr gibt. Eine Preziose für jeden historisch interessie­rten Zeitgenoss­en.

Das vor 70 Jahren erstmalig erschienen­e Buch gehörte zu einer 1966 eingestell­ten Edition, die an jüdisches Leben in Polen erinnerte. In dieser Reihe sind 175 Bände von verschiede­nen prominente­n Autoren herausgeko­mmen – eine reiche Fundgrube für weitere deutsche Übersetzun­gen.

Abraham Teitelbaum: Warschauer Innenhöfe. Jüdisches Leben um 1900 – Erinnerung­en. Hg. v. Frank Beer. Aus dem Jiddischen übersetzt von Daniel Wartenberg, WallsteinV­erlag, 234 S., geb., 24,90 €.

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Foto: Buchcover

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