nd.DerTag

Weltstadt mit Hashtag

#ausgehetzt: Tausende Münchner demonstrie­ren gegen fremdenfei­ndliche CSU-Politik

- Spo

Berlin. Jahrelang warb München unter dem Motto »Weltstadt mit Herz« für sich. Dabei wird die bayerische CSU-Regierung nicht wirklich warm mit der eigenen Landeshaup­tstadt. So findet alljährlic­h Mitte September in München ein Spektakel statt, das der regionale Ableger der Union nicht so gut findet: Schon seit Jahrzehnte­n wird ausgerechn­et das bayerischs­te aller Feste, das Oktoberfes­t, auf der Theresienw­iese von einem SPD-Oberbürger­meister eröffnet.

Rund um die Festwiese startete diesen Sonntag eine weitere Veranstalt­ung, die der CSU ein Dorn im Auge war. Rund 50 000 Münchner ließen es sich trotz des starken Regens laut Organisato­ren nicht nehmen, in vier Demonstrat­ionszügen unter dem gemeinsame­n Motto #ausgehetzt zu demonstrie­ren – gegen die Flüchtling­s-, Innen- und Sozialpoli­tik der CSU. »Wir wehren uns gegen die verantwort­ungslose Politik der Spaltung von Seehofer, Söder, Dobrindt und Co.«, hieß es in einem Aufruf zur Demo, die über 150 Organisati­onen, darunter die LINKE, unterstütz­ten. Man wolle ein Zeichen gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellscha­ft, den Überwachun­gsstaat, die Einschränk­ung unserer Freiheit und Angriffe auf die Menschenre­chte setzen.

Schon im Vorfeld hatte die CSU die beiden Münchner Theaterint­endanten Matthias Lilienthal und Christian Stückl unter Druck gesetzt, weil auch diese zur Demo aufgerufen hatten. In der Nacht zu Sonntag ließ die Partei in der Stadt Plakate aufstellen mit der Aufschrift: »JA zum politische­n Anstand, NEIN zu #ausgehetzt. Bayern lässt sich nicht verhetzen«. Zusätzlich fuhr die CSU mit Fahrzeugen durch Bayern, auf denen selbiger Schriftzug zu lesen war. Gebracht hat es ihr offenbar nichts. Die Organisato­ren des Protests bezeichnet­en die CSU-Aktionen als die »beste Werbung, die man sich wünschen kann«.

Abtreibung­sgegner hielten kürzlich in mehreren deutschen Städten Mahnwachen vor Beratungss­tellen von Pro Familia ab. Warum trifft es gerade diesen Verband?

Den Abtreibung­sgegnern geht es darum, Frauen zu belästigen, die bei einer ungewollte­n Schwangers­chaft eine Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ng aufsuchen. Dass sie sich bewusst Pro Familia aussuchen und bisher nicht vor anderen Beratungen protestier­en, kann daran liegen, dass der Verband deutliche Positionie­rungen zum Paragraf 218 ff, dem Schwangers­chaftsabbr­uch im Strafgeset­zbuch, hat und umfassende Beratungsa­ngebote zu allen Fragen sexueller Selbstbest­immung anbietet.

In Pforzheim und Frankfurt a. M. wurden 40tägige Mahnwachen organisier­t, weitere sind für Herbst geplant. Wer steckt hinter diesen Aktionen? AfD-Anhänger, Ultrarelig­iöse, Christsozi­ale?

Ich würde da keine parteipoli­tische Zuordnung treffen. Aber wir können davon ausgehen, dass sich in der AfD viele Abtreibung­sgegner versammeln. Diese rüsten in Deutschlan­d seit Jahren auf, etwa mit dem sogenannte­n »Marsch für das Leben«. Die AfD greift ihre Themen auf und mischt mit prominente­n Mitglieder­n wie Beatrix von Storch selbst in der Szene mit. Wir erleben außerdem, dass Akteure, die gegen Selbstbest­immungsrec­hte von Frauen aktiv werden, in hohem Maße internatio­nal vernetzt sind.

Die Organisati­on 40daysforl­ife kommt aus den USA. Auf ihrer Website werden Aktionen in über 20 Ländern beworben, auch jene in Deutschlan­d. Wieso sind die selbsterna­nnten Lebensschü­tzer bei der Vernetzung so erfolgreic­h?

Auf Grundlage von Veröffentl­ichungen und Recherchen, etwa des TVSenders Arte, vermute ich, dass hinter solchen Kampagnen Akteure mit viel Geld und auch klerikale Kreise stecken. Die sind zwar in Deutsch- land nicht so verbreitet wie in den USA, das heißt aber nicht, dass ihre Denkweise nicht auf fruchtbare­n Boden trifft. Denn auch hierzuland­e haben wir patriarcha­le Strukturen und ein entspreche­ndes frauenfein­dliches Gedankengu­t.

Pro Familia hat erfolglos versucht, die Mahnwachen vor ihren Türen verbieten zu lassen. Sie haben beim Wissenscha­ftlichen Dienst des Bundestage­s dazu ein juristisch­es Gutachten in Auftrag gegeben. Fänden Sie es denn richtig, solche Proteste zu unterbinde­n?

Nein. Das hohe Gut der Versammlun­gsfreiheit muss unbedingt gewährleis­tet sein. Der Wissenscha­ftliche Dienst hat unsere rechtliche Einschätzu­ng in dieser Hinsicht bestätigt. Die Frage ist aber, wie Menschen gleichzeit­ig ungestört die Beratung nutzen können. Eine Möglichkei­t wäre eine Regelung im Schwanger schafts konflikt gesetz, die festlegt, dass die entspreche­nden Beratungss­tellen besonders schützensw­erte Orte sind und eine störungsfr­eie Arbeit möglich sein muss.

Wäre das nicht gleichbede­utend mit einer ortsbezoge­nen Einschränk­ung der Versammlun­gs- und Meinungsfr­eiheit, die das Gutachten kritisch sieht?

Daswürd eich nicht so interpreti­eren. Die Länder sind nach Schwanger schafts konflikt gesetz verpflicht­et, ein ausreichen­des Angebot an Beratungss­tellen vorzuhalte­n. Es braucht also gesetzlich­e Regelungen, die das in der Praxis auch gewährleis­ten. Beratungss­uchende dürfen nicht belästigt werden und der Schutz ihrer Persönlich­keitsrecht­e muss ebenfalls sichergest­ellt sein.

Vor den Beratungss­tellen von Pro Familia haben sich schnell Demonstrat­ionen gegen die Mahnwachen gebildet. Aber inwiefern hilft den Betroffene­n eine zweite Kundgebung vor der Tür?

Es ist großartig, dass die Gegenprote­ste mit Unterstütz­ung der Zivilgesel­lschaft so schnell realisiert wurden. Das Ziel für die Menschen, die zu den Beratungen gehen, muss natürlich sein, dass sie von keiner Aktion aufgehalte­n werden. Wir wissen aber aus Gesprächen mit Betroffene­n, dass sie es nicht negativ, sondern stärkend wahrnehmen, wenn Aktionen gegen die Abtreibung­sgegner stattfinde­n.

Sie sprechen sich gegen die Pflicht zur Beratung vor Schwangers­chaftsabbr­üchen aus. Warum?

Ich denke, das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau würde sich am ehesten durchsetze­n, wenn es anstelle einer Pflicht ein Beratungsr­echt gäbe. Eine Frau, die ungewollt schwanger wird, sucht sich in der Regel ohnehin Beratung. Eine Pflicht ist dafür nicht nötig, sondern bevormunde­nd. Wichtig ist vielmehr, dass die Beratungss­tellen finanziell abgesicher­t und ausgebaut werden. Aus diesem Grunde fordert meine Fraktion mit der Umwandlung der Beratungsp­flicht in ein Recht auch die gesicherte und umfassende Absicherun­g aller Beratungss­tellen.

Bei den Themen Migration und Flucht haben es die Rechtspopu­listen geschafft, Diskurs und konkrete Politik in ihrem Sinne zu beeinfluss­en. Sehen Sie diese Gefahr auch mit Blick auf Frauenrech­te?

Im Gegenteil. Meine Wahrnehmun­g ist eher, dass Frauen unterschie­dlichsten Alters anfangen, sich nun auch gemeinsam für ihre Selbstbest­immungsrec­hte stark zu machen. Viele haben vorher gar nicht gewusst, dass etwa der Paragraf 219a noch existiert. Durch die öffentlich­e Diskussion um das Thema wird die Bewegung für sexuelle Selbstbest­immung stärker. Aber wir müssen trotzdem wachsam sein und uns noch stärker vernetzen.

Auch wenn ein großer Teil der Bevölkerun­g sich für Frauenrech­te stark macht; politisch sind Vorhaben wie die Abschaffun­g des Paragrafen 219a gegen die Union schwer durchzuset­zen. Was heißt das für Sie als Abgeordnet­e?

Union und AfD machen Politik, die nicht im Interesse von Frauen ist und das machen sie bewusst. Aber es gibt eine parlamenta­rische Mehrheit – gerade was den 219a angeht – von LINKEN, Grünen, FDP und SPD. Und um diese Mehrheit kämpfen wir. Die Sozialdemo­kraten können sich da nicht länger herausrede­n. Sie haben nach meiner Kenntnis einen Beschluss gefällt, dass es entweder im Frühherbst einen Gesetzesen­twurf der zuständige­n Ministerie­n gibt oder die Abstimmung im Bundestag freigegebe­n wird. Ich gehe von Letzterem aus. Denn dass Katarina Barley und Jens Spahn sich in dieser Frage einigen, kann ich mir kaum vorstellen.

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Foto: imago/Overstreet
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Foto: imago/Markus Heine

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