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Waffenruhe im Gazastreif­en

UN-Generalsek­retär warnt aber vor »neuem zerstöreri­schen Konflikt«

- Von Oliver Eberhardt

Jerusalem. UN-Generalsek­retär Antonio Guterres hat vor einem »neuen zerstöreri­schen Konflikt« zwischen Israel und den Palästinen­sern gewarnt. »Ich bin zutiefst besorgt angesichts dieser gefährlich­en Gewalteska­lation im Gazastreif­en und im Süden Israels«, erklärte Guterres am Samstag in New York. Eine kurz zuvor in Kraft getretene Waffenruhe zwischen Israelis und der im Gazastreif­en herrschend­en Hamas schien zunächst zu halten.

Es sei unbedingt erforderli­ch, »dass alle Seiten sich vom Risiko eines neuen zerstöreri­schen Konflikts entfernen«, sagte Guterres. Die radikalisl­amische Hamas und die »militanten Palästinen­ser« forderte der UNGenerals­ekretär auf, die Raketenang­riffe und den Einsatz von Ballons mit Brandsätze­n gegen Israel zu unterlasse­n. Sie sollten die »Provokatio­nen« entlang der Grenze zwischen Gazastreif­en und Israel beenden. »Und Israel muss Zurückhalt­ung beweisen, um die Lage nicht anzuheizen«, fügte Guterres hinzu.

Nach heftigen Gefechten im Gazastreif­en haben sich Israels Regierung und die Hamas am Wochenende auf eine Waffenruhe geeinigt. Die Feuerpause hält bislang, doch die Streitpunk­te bleiben ungeklärt.

Es wirkt mittlerwei­le wie eine Routine: Kämpfer der Hamas feuern Raketen ab, schießen auf israelisch­e Soldaten, lassen Winddrache­n und Ballons aufsteigen, an denen Brandsätze befestigt sind. Israels Militär lässt Luftangrif­fe fliegen, zerstört militärisc­he Infrastruk­tur, bevor dann nur kurze Zeit später eine Waffenruhe verkündet wird.

Zwei Mal war das in den vergangene­n Wochen so, und auch die bislang letzten Auseinande­rsetzungen am Wochenende verliefen nach diesem Schema: Ein palästinen­sischer Scharfschü­tze erschoss einen 21-jährigen israelisch­en Soldaten; Israels Luftwaffe zerstörte Gebäude, die den Essedin-al-Kassam-Brigaden, dem militärisc­hen Flügel der Hamas, zugerechne­t werden. Einige Stunden später bereits gab die Hamas dann bekannt, man werde »Ruhe« einkehren lassen. »Ruhe« ist der Begriff, den die Hamas für »Feuerpause« verwendet. Israels Militär erklärte, es seien keine weiteren Militärein­sätze in und um den Gazastreif­en herum geplant.

Doch dieses Mal war einiges anders. Die Hamas feuerte nur drei Raketen ab, und Israels Regierung stellte in Aussicht, dass der vor zwei Wochen für den Güterverke­hr geschlosse­ne Übergang Kerem Schalom wieder eröffnet, die Fischereiz­one von sechs auf neun Seemeilen ausgewei- tet werden wird. Bedingung: Für mindestens zwei Tage müsse absolute Ruhe herrschen, dürften keine Raketen abgefeuert werden, keine Branddrach­en aufsteigen, bevor man diese Ankündigun­g umsetzen werde.

Derweil übt die ägyptische Regierung – traditione­ll Vermittler – offenen, öffentlich­en Druck auf die Hamas aus. Bereits kurz nachdem die Nachricht vom Tod des israelisch­en Soldaten eintraf, bestellte man in Kairo die örtlichen Repräsenta­nten der Hamas zum Gespräch mit den Spitzen von Außenminis­terium und Geheimdien­st ein. Schon gut eine Woche zuvor hatte man der Hamas in einem ähnlichen Gespräch ein Ultimatum gestellt: Die Organisati­on müsse umgehend dafür sorgen, dass keine brennenden Winddrache­n mehr aufsteigen. Die Hamas behauptete zwar, sie könne das nicht, weil es sich dabei um »Initiative­n der Bevölkerun­g« handele. Doch tatsächlic­h nahm die Zahl der Winddrache­n und Ballons daraufhin stark ab.

Womit die ägyptische Regierung der Hamas droht, ist offiziell unbekannt. Beide haben bestenfall­s ein schwierige­s Verhältnis zueinander. In Ägypten wirft man der Organisati­on vor, die Muslimbrud­erschaft zu unterstütz­en. Beide Organisati­onen wurden nach der Absetzung von Präsident Mohammed Mursi, der aus dem Umfeld der Muslimbrud­erschaft stammt, als terroristi­sche Vereinigun­gen verboten, der Besitz konfiszier­t und der Überweisun­gsverkehr in den Gazastreif­en stark eingeschrä­nkt. Doch der ägyptische Geheimdien­st hat über die Jahrzehnte hinweg umfangreic­he Kontakte zur Hamas aufgebaut; man kennt sich.

Gleicherma­ßen steht aber auch stets die militärisc­he Option im Raum: Längst hat Ägyptens Militär viel mehr Personal und Material auf der Sinai-Halbinsel, als man gemäß Friedensve­rtrag mit Israel dort haben dürfte. Israels Regierung hat auch nichts dagegen. Vieles deutet darauf hin, dass man in Kairo auch mit Militärein­sätzen gegen die Hamas droht.

Auf der anderen Seite möchte Ägyptens Regierung eine israelisch­e Bodenoffen­sive verhindern. Schon seit Wochen macht die israelisch­e Rechte Druck, fordert eine Besetzung des Gazastreif­ens, die Absetzung der Hamas-Regierung. In Ägypten fürchtet man, dass Kämpfer der Hamas dann auf ägyptische­s Gebiet flüchten werden. Und dort führt man seit Jahren einen Krieg gegen Gruppen, die dem »Islamische­n Staat« nahestehen, und trotz ideologisc­her Ferne mit der Hamas zusammenar­beiten.

Dass die Funktionär­e der Hamas in Kairo so kurzfristi­g verfügbar waren, lag daran, dass man schon seit Wochen über die Zukunft Gazas verhandelt; Kairo will eine Lösung für den nach wie ungeklärte­n inner-palästinen­sischen Konflikt zwischen der Hamas und der offizielle­n Regierung mit Sitz in Ramallah finden. Zudem soll ein »nachhaltig­er, kurzfristi­g umsetzbare­r Fahrplan für den Wiederaufb­au« auf den Weg gebracht werden, so ein Sprecher des ägyptische­n Außenminis­teriums, müsse gefunden werden. An den Verhandlun­gen ist auch der UNOSonderg­esandte Nikolai Mladenow beteiligt: »Alle in Gaza müssen einen Schritt zurück vom Abgrund gehen. Nicht nächste Woche. Nicht morgen. Jetzt sofort!«, twitterte er.

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Foto: AFP/Bashar Taleb Treffer in Gaza: Israels Luftwaffe zerstörte am Wochenende Gebäude der Essedin-al-Kassam-Brigaden.

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