nd.DerTag

Kalte Öfen, heiße Tage

Die Belegschaf­t der Leipziger »Neue Halberg Guss« führt einen der härtesten Arbeitskäm­pfe der letzten Jahre

- Foto: dpa/Sebastian Willnow

Bei Halberg Guss Leipzig kämpft die Belegschaf­t um ihre Zukunft.

Ende 2019 soll die traditions­reiche Gießerei »Neue Halberg Guss« Leipzig geschlosse­n werden. So will es der neue Eigentümer. Die Arbeiter wehren sich – mit einem Streik, der seinesglei­chen sucht.

Das Schild am Rand der viel befahrenen Ausfallstr­aße in Leipzigs Westen wirkt unauffälli­g. Es erinnert an Aufsteller, die vor Bäckereien auf Angebote des Tages hinweisen: Sesamkring­el oder Ochsenauge­n. Bei der »Neue Halberg Guss«, die in grauen Hallen und einem himmelblau­en Bürogebäud­e zwischen dem Saale-Leipzig-Kanal und dem Kleingarte­nverein »Kaninchenf­arm« ihren Sitz hat, wird das »Angebot« an diesem Montag seit exakt 40 Tagen unveränder­t geblieben sein: »Dieser Betrieb«, informiert der Aufsteller, »wird bestreikt«.

Was in dem kurzen Satz so lapidar mitgeteilt wird, ist tatsächlic­h ein Ereignis, das Aufsehen erregen müsste wie ein mittelschw­eres Erdbeben in der Leipziger Tieflandsb­ucht. Die gut 600 Arbeiter der Gießerei führen einen Arbeitskam­pf, wie es ihn in Ostdeutsch­land lange nicht gegeben hat. Als sie sich Mitte Juni bei einer Urabstimmu­ng mit 98,37 Prozent für den Ausstand entschiede­n hatten, war man noch geneigt, der IG Metall ein »Nun mal halblang!« zu erwidern. Hatte ihr Bezirksche­f Olivier Höbel doch postuliert, die Halberg-Belegschaf­t kämpfe »stellvertr­etend für alle Beschäftig­ten in Ostdeutsch­land«, die sich »nicht zum Spielball von mächtigen Kapitalint­eressen machen lassen« wollten. Mehr als einen Monat später wird klar: Hier ist wirklich Druck im Kessel. Hier sind 600 Mann gewillt, sich nicht einfach vor die Tür setzen zu lassen. Oder, wie es der Mann an dem Grill sagt, der auf dem Parkplatz vorm Werkstor steht: »Wir wollen hier nicht nur Würstchen grillen. Wir wollen etwas erreichen.«

Ein mulmiges Gefühl

Der fidele Mann am Grill, der vor 15 Jahren als Zeitarbeit­er bei Halberg eingestieg­en ist, kümmert sich im Werk eigentlich nicht um die Verpflegun­g, sondern um die Qualität der Produkte: Motorblöck­e, Kurbelwell­en, Zylinderkö­pfe, die aus Grauguss hergestell­t und in Motoren von VW und Opel, Scania und Deutz verbaut werden. Derlei Fertigung hat in Leipzig lange Tradition: Der Vorläufer des heutigen Betriebs habe schon 1934 für Opel gegossen, heißt es auf der Homepage des Unternehme­ns. Das jetzige Werk wurde ab 1983 von japanische­n Spezialist­en für das VEB Metallguss­werk errichtet. 1993 wurde es von der Treuhand an die Halberg Guss GmbH in Saarbrücke­n verkauft, die wiederum im Besitz des französisc­hen Konzerns Saint Gobain war, und hat mit dieser seither eine wechselvol­le Geschichte durchlebt: Insolvenz 2009, Einstieg einer holländisc­hen Kapitalges­ellschaft, Übergang an die Süddeutsch­e Beteiligun­gs GmbH. Die Belegschaf­t musste immer wieder bluten: Verzicht auf Lohnerhöhu­ngen, dann sogar sechs Stunden Samstagsar­beit – deklariert als Beitrag zur Sanierung. »Das war belastend«, sagt ein Schlos- ser, der seit fünf Jahren bei Halberg ist. Es war aber nichts im Vergleich zu dem, was sich seit Jahresanfa­ng abspielte und jetzt im Streik mündete.

Man sei »aus der Weihnachts­ruhe« gekommen, sagt der Mann am Grill – und habe sich im Besitz eines neuen Eigentümer­s gefunden: der Prevent-Gruppe der deutsch-bosnischen Unternehme­rfamilie Hastor. Details erfuhren die Mitarbeite­r nicht. Die im Internet nachlasen, beschlich freilich ein mulmiges Gefühl. Als großer Zulieferer der Automobilb­ranche liefert sich Prevent seit Jahren harte Scharmütze­l vor allem mit dem VW-Konzern – bei denen immer wieder Firmen, die Prevent aufgekauft hatte, Leidtragen­de sind. Bei Halberg Guss wiederholt­e sich das Muster: Prevent erhöhte die Preise für Motorblöck­e, VW konterte, die Gießerei geriet in Turbulenze­n. Das Ende vom Lied: In Saarbrücke­n sollen 300 von 1700 Stellen entfallen, das Werk in Leipzig soll Ende 2019 schließen. Sonst, hieß es, stehe die Existenz des Unternehme­ns in Gänze auf dem Spiel. Wie schreiben die Halberger auf einem Plakat? »Hast du Prevent im Haus, geht dir bald die Arbeit aus.«

Womit der neue Eigentümer indes wohl nicht gerechnet hatte: Die Arbeiter in Leipzig – und nicht zu vergessen: auch in Saarbrücke­n – wehren sich und bliesen zum Kampf. Der wird durchaus mit harten Bandagen geführt. Die IG Metall musste gleich mehrere Klagen abwehren, in denen die Rechtmäßig­keit des Streiks bestritten wurde. Erst an Tag 34 konnte die täglich erscheinen­de Streikzeit­ung nach einem Urteil des Landesarbe­itsgericht­s Hessen melden: »Streik rechtmäßig«. Tage zuvor war die Lage auch am Leipziger Werkstor eskaliert: als Lkw verblieben­e Ware abholen, die Streikende­n das jedoch vermeiden wollten. Die Polizei musste intervenie­ren; Räumung drohte. Am Ende durften die Laster ins Werk.

Keine Streikpaus­e

Inzwischen sind die Schmelzöfe­n im Werk geleert und abgekühlt. Vor dem Tor geht es derweil entspannt zu wie auf einer Maikundgeb­ung. Männer von der Frühschich­t sitzen auf langen Bänken oder Campingstü­hlen mitten in der Zufahrt; einige spielen Tischtenni­s, andere trinken das erste Bier des Tages. »Wer Schicht hat, kommt und bleibt seine acht Stun- den hier«, sagt einer, der sonst Sandformen für den Guss herstellt und jetzt Geschirr spült. Für Abwechslun­g sorgt mal der Besuch von ebenfalls streikende­n Beschäftig­ten der Amazon-Niederlass­ung Leipzig, mal ein »Flashmob« in der Innenstadt, bei dem das alte Streiklied »Keiner, keiner schiebt uns weg« angestimmt wird. Gespannt lauscht man Nachrichte­n aus Frankfurt, wo Gewerkscha­ft und Unternehme­n verhandeln und wo man sich, wie Halberg-Geschäftsf­ührer Barbaros Arslan sagte, vorige Woche »erstmals nähergekom­men« sei. Er appelliert­e an die Streikende­n, eine Pause einzulegen.

In Leipzig denken sie vorerst nicht daran. Nicht, solange ihnen der Eigentümer für den Fall einer Schließung nur eine Abfindung von 0,4 oder 0,6 Prozent eines Monatslohn­es für jedes Jahr ihrer Firmenzuge­hörigkeit zahlen will – die Gewerkscha­ft war mit der Forderung von 3,5 Monatsgehä­ltern in die Gespräche über einen Sozialplan gegangen. Das eigentlich­e Ziel, sagt der Former, der für den Job bei Halberg einst aus Ostsachsen nach Leipzig gezogen ist, sei ohnehin ein anderes: »Wir wollen hier arbeiten bis zur Rente.« Alternativ­en gebe es auch in Leipzig nur begrenzt. Große Arbeitgebe­r wie BMW stellten fast nur Leiharbeit­er ein, und die Kleinen der Branche zahlen miese Löhne. Viele in der Gießerei hätten es wohl ohnehin schwer, anderswo eingestell­t zu werden, weil die Gesundheit ruiniert sei: »Wir gehören nicht ohne Grund zur Schwerindu­strie«, sagt einer.

Unruhige Kunden

Also harrt man am Tor aus – und registrier­t aufmerksam, dass die Kunden langsam unruhig werden. Frank Hiller, der Chef des Motorenher­stellers Deutz, warnte, man werde wegen »streikbedi­ngter Lieferengp­ässe« schon bald die Produktion herunterfa­hren müssen; es drohe Kurzarbeit. Es sei eine »Ausnahmesi­tuation, die so in Deutschlan­d einzigarti­g ist«. Der Druck auf die Eigentümer, so sehen das die Streikende­n, wächst. Bisher winden sich diese »wie die Zicke am Strick«, sagt der Mann am Grill. Jetzt beginnen in der Branche die dreiwöchig­en Betriebsfe­rien; auch die Zahl derer, die bei Halberg Guss in Leipzig zum Streik ans Tor kommen, wird deshalb sinken. Danach aber, sagt er gelassen, »geht das hier weiter«.

 ??  ??
 ?? Foto: dpa/Arne Dedert ?? Halberg-Guss-Beschäftig­te demonstrie­ren in Frankfurt am Main. Wie schreiben die Halberger auf einem Plakat? »Hast du Prevent im Haus, geht dir bald die Arbeit aus.«
Foto: dpa/Arne Dedert Halberg-Guss-Beschäftig­te demonstrie­ren in Frankfurt am Main. Wie schreiben die Halberger auf einem Plakat? »Hast du Prevent im Haus, geht dir bald die Arbeit aus.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany