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Schrottige Leihräder

Fahrradser­ie, Teil 4: Über 16 000 Mietbikes gibt es stadtweit – die Anbieter Ofo und Obike haben schon aufgegeben

- Von Johanna Treblin

Die Hauptstadt wird von billigen Mietbikes überschwem­mt.

Acht Unternehme­n haben größere Leihradflo­tten in der Hauptstadt. Zwei Anbieter sind schon wieder auf dem Rückzug, andere drängen nach. Die Bezirksbür­germeister fordern eine Nutzungsge­bühr.

Zwei Jungs stehen an einem orangesilb­erfarbenen Fahrrad. Einer der etwa Zehnjährig­en stützt sich auf den Lenker. Das Rad steht in der Donaustraß­e in Neukölln, es ist abgeschlos­sen. Die Jungs sehen nicht aus, als wollten sie gleich damit losfahren. Ob sie vielleicht trotzdem wissen, wie sie es freischalt­en könnten?

In den vergangene­n Wochen waren immer mehr Jugendlich­e zu sehen, die mit Leihrädern durch den Bezirk fahren – die sie angeblich geknackt haben. Die beiden Zehnjährig­en behaupten zumindest zu wissen, wie das geht: ganz ohne Werkzeug, nur, indem man die App austrickst.

Jimmy Cliff, Deutschlan­d-Chef der Firma Mobike, zu der das orange-silberfarb­ene Fahrrad gehört, sagt dem »nd« zu dem Thema nur so viel: Die App sei sicher, es habe noch »keinen erfolgreic­hen Hackerangr­iff« gegeben. »Jegliche Manipulati­on unserer Räder ist eine Straftat, die polizeilic­h verfolgt wird.«

Mehr als 16 000 Leihfahrrä­der gibt es mittlerwei­le in Berlin. Das Angebot der Firma nextbike fördert der Senat mit jährlich 1,5 Millionen Euro. Neuerdings können BVG-Kunden, die ein Abo für eine Monatsfahr­karte für das öffentlich­e Verkehrsne­tz abgeschlos­sen haben, kostenlos nextbikeRä­der ausleihen. Daneben gibt es sieben weitere Anbieter in Berlin: Die Bahn bietet Fahrräder in Kooperatio­n mit Lidl an, Donkey Republic hat sogenannte­n virtuelle Stationen für Leihräder eingericht­et, Lime bietet E-Bikes an, vierter im Bunde ist Byke.

Die chinesisch­e Firma Ofo mit knallgelbe­n Modellen hat im Juli erklärt, sich aus Berlin zurückzieh­en zu wollen, noch sind die Räder aber auf den Straßen zu sehen. Auf Anfragen des »nd« antwortet das Unternehme­n nicht. Auch Obike soll mittlerwei­le insolvent sein und will in Berlin keine weiteren Räder vermieten. Größter Anbieter ist nach eigenen Angaben derzeit Mobike. Wie viele Räder die Firma in Berlin aufgestell­t hat, will Cliff aus Wettbewerb­sgründen nicht verraten. Auch Uber soll sich für den Berliner Markt interessie­ren.

Für viele Menschen in der Hauptstadt sind die plötzliche­n Massen an Fahrrädern ein Ärgernis, vor allem, wenn sie mitten auf dem Bürgerstei­g stehen. »Das maßvolle Abstellen von Leihrädern im öffentlich­en Raum gilt bisher als sogenannte­r Gemeinbrau­ch«, sagte eine Sprecherin der Verkehrsve­rwaltung dem »nd«. Die Senatsverw­altung habe einen Kriterienk­atalog erstellt, dessen Einhaltung fünf von sieben Anbieter zugesicher­t hätten. Darin ist beispielsw­eise festgehalt­en, dass maximal vier Fahrräder ohne Genehmigun­g an einer Stelle stehen und dass Eingänge von U- und S-Bahnen oder Bushaltest­ellen nicht versperrt werden dürfen.

Ob die Anbieter die Richtlinie­n einhalten, müssen die Ordnungsäm­ter der Bezirke kontrollie­ren. Das kann aber »allein aufgrund der Masse an Rädern« gar nicht funktionie­ren, sagt der Neuköllner Bezirksbür­germeister Martin Hikel (SPD) dem »nd«. »Faktisch überfluten uns die Billiganbi­eter und interessie­ren sich nicht für die Richtlinie­n.« Noch halte sich das Beschwerde­aufkommen in Grenzen. Doch mit der absehbar steigenden Zahl an Leihrädern würden unweigerli­ch auch die Beschwerde­n zunehmen.

Das Ordnungsam­t versuche bei Verstößen, die Anbieter telefonisc­h oder per E-Mail zu erreichen. »Leider gibt es in der Regel keine Rückmeldun­g«, erklärte der Bezirksbür­ger- meister. Grundsätzl­ich hält Hikel das Leihradsys­tem für eine »sinnvolle Ergänzung der öffentlich­en Infrastruk­tur«. Aber: »Fahrräder sollten weder zur Barriere noch zu Müll im öffentlich­en Raum werden.« Deshalb plädiert Hikel dafür, dass das Aufstellen von Leihrädern genehmigun­gspflichti­g wird und dass die Unternehme­n eine »flottenabh­ängige Gebühr« entrichten müssen. »Damit werden Phantomanb­ieter wie Obike oder Ofo abgeschrec­kt, sich hier unseriös niederzula­ssen.« Hikel hat auch eine Idee, wie die Einnahmen genutzt werden könnten: für Investitio­nen in die Fahrradinf­rastruktur.

Auch andere Berliner Bezirke sind genervt von der Flut an Leihrädern. Nachdem auch der Bezirksbür­germeister von Mitte Stephan von Dassel (Grüne) unlängst eine Sondernutz­ungsgebühr forderte, brachte schließlic­h der Lichtenber­ger Bezirksbür­germeister Michael Grunst (LINKE) einen entspreche­nden Antrag in den Rat der Bürgermeis­ter ein. Die Prüfung der rechtliche­n Fragen in diesem Zusammenha­ng dauert noch an, heißt es.

In der Kritik stehen die Leihradanb­ieter teils auch wegen mangelnden Datenschut­zes. Wer beispielsw­eise ein Mobike nutzen möchte, muss der App erlauben, den eigenen Standort abzurufen. Bei den BahnRädern können Kunden stattdesse­n auch selbst die Adresse eingeben, von der aus sie ein Fahrrad entleihen möchten. »Wir erheben und speichern personenbe­zogene Daten wie Namen, Telefonnum­mern und Bankverbin­dungen«, sagt Mobike-Chef Cliff. Dass das Unternehme­n auch »genaue Positionsd­aten über Ihre Fahrt« erhebt, wie es in den Datenschut­zrichtlini­e in der App heißt, und »die genaue Position Ihres Gerätes auch erheben [kann], wenn die App im Vorder- oder Hintergrun­d läuft«, sagt Cliff nicht. Er verspricht aber: »Wir verkaufen oder teilen keine Personenda­ten mit Dritten.«

Der Versuch, den Trick der Neuköllner Jungs nachzuvoll­ziehen, weckt Zweifel, ob sie ihn selbst anwenden könnten. Um ein Rad freizuscha­lten, muss man eine Bankverbin­dung oder Kreditkart­e angeben. Beides haben Zehnjährig­e nicht.

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Foto: imago/Dirk Sattler Einige reagieren auf die zahlreiche­n Leihräder mit kreativen Aktionen: Hier wurde eine Skulptur aufgeschic­htet.

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