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Nachtdiens­t in der Kita

Deutschlan­d ist vielerorts eine Kita-Wüste. Mit zunehmend atypischen Arbeitszei­ten verschärft sich das Problem. Manche Frauen würden gerne mehr arbeiten. Andere Frauen müssten mehr arbeiten um sich überhaupt zu finanziere­n. Beide Gruppen scheitern oft an

- Foto: dpa/Daniel Naupold

Neue Betreuungs­modelle könnten Eltern entlasten.

Länger geöffnete Kitas würden vielen Eltern helfen – doch das Betreuungs­personal arbeitet schon jetzt unter prekären Bedingunge­n.

Susanne, Auszubilde­nde mit Kleinkind, hatte die Wahl: Entweder sie nimmt die Kita, wegen deren Öffnungsze­iten sie morgens etwas zu spät zu ihrer Ausbildung kommt, oder eine, bei der sie früher von der Arbeit gehen muss. Beides keine rosigen Szenarien. Denn obwohl die Kitas je acht Stunden lang geöffnet haben, fallen immer noch Anfahrtswe­ge an. Sie wird ihren Sohn dennoch ab September betreuen lassen. In der Kita, bei der es morgens etwas eng wird. »Jetzt hoffe ich sehr auf das Verständni­s des Betriebs.«

Das Kita-Angebot in Deutschlan­d hat sich in den vergangene­n Jahren – auch wegen der neuen Betreuungs­gesetze – verbessert. Doch trotz der positiven Entwicklun­g sind vielerorts die Öffnungsze­iten nicht ausreichen­d. Ein Problem für Vollzeit arbeitende Eltern wie Susanne. Dazu kommt: Immer mehr Beschäftig­e arbeiten zu atypischen Arbeitszei­ten.

Im Jahr 2016 ging bereits laut Hans-Böckler-Stiftung fast jede vierte abhängig beschäftig­te Frau regelmäßig zwischen 18 und 23 Uhr zur Arbeit, bei den Männern ist es ein gu- tes Viertel. Regelmäßig­e Nachtarbei­t zwischen 23 und 6 Uhr leisten weniger – rund sechs Prozent der abhängig beschäftig­ten Frauen und zwölf Prozent der Männer. Zwischen 1996 und 2016 ist allerdings der Anteil der Männer, die regelmäßig abends arbeiten, um die Hälfte angestiege­n, bei den Frauen sogar um fast zwei Drittel.

Im besten Fall hat man dann einen Partner, der auf das Kind aufpasst, kann vielleicht Homeoffice machen oder hat Verwandte in der Nähe, die das Kind mal übernehmen. Doch meistens, das zeigen Statistike­n, sind es die Frauen, an denen diese Sorgearbei­t hängenblei­bt – und die wegen des Kindes ihre Arbeitszei­t reduzieren oder ganz zu Hause bleiben. 67 Prozent der Frauen mit minderjähr­igen Kindern arbeiteten laut Statistisc­hem Bundesamt im Jahr 2016 Teilzeit, während es bei den Männern gerade einmal sechs Prozent waren.

Seit einigen Jahren wird in Deutschlan­d deswegen immer wieder diskutiert, Kitas länger zu öffnen. Schon 2015 unternahm die damalige Familienmi­nisterin Manuela Schwesig (SPD) dazu einen Vorstoß: Sie förderte Kitas, die modellweis­e auch in Randzeiten öffneten, also länger als von acht bis 18 Uhr – oder nachts – mit 100 Millionen Euro. Rund 300 Kitas bundesweit nehmen laut Anga- ben des Familienmi­nisteriums am Projekt KitaPlus teil. Angelegt ist das Programm aber nur auf drei Jahre, am 31. Dezember 2018 ist Schluss.

Eine Gruppe würde laut einer Studie des Familienmi­nisteriums besonders von längeren Betreuungs­zeiten profitiere­n: Alleinerzi­ehende. Rund 2,7 Millionen gibt es deutschlan­dweit – die meisten davon Frauen. Statistike­n zeigen, dass sie das größte Armutsrisi­ko aufweisen. Rund 37 Prozent der Alleinerzi­ehenden bezogen im Jahr 2016 Hartz IV. Kind und Beruf – das lässt sich alleine eben oft nicht unter einen Hut bringen.

»Wir haben derzeit noch immer oft unzureiche­nde Kita-Öffnungsze­iten«, kritisiert die Geschäftsf­ührerin des Verbands alleinerzi­ehender Mütter und Väter, Miriam Hoheisel. Oftmals seien die Kitas, wenn überhaupt, nur von acht bis 17 Uhr geöffnet. Doch gerade unter den alleinerzi­ehenden Frauen sei der Anteil derer hoch, die zu atypischen Zeiten arbeiten müssten. »Das ist für viele ein Problem, angefangen von der Krankenpfl­egerin bis zur Einzelhand­elskauffra­u, deren Arbeit regulär früh morgens beginnt oder bis spät abends geht.«

Neben dem Bundesproj­ekt KitaPlus gibt es auf Landeseben­e, beispielsw­eise in Berlin, Schleswig-Holstein, Hessen oder Brandenbur­g, Vorstöße für längere Kita-Öffnungsze­iten oder gar Nachtbetre­uung. In Nordrhein-Westfalen kündigte der dortige Familienmi­nister Joachim Stamp (FDP) kürzlich an, es Kitas ermögliche­n zu wollen, auch nach Auslaufen des KitaPlus-Programms länger öffnen zu können. An bestimmten Uni-Kliniken hält der Minister sogar 24-Stunden-Kitas für denkbar, in denen etwa die Kinder von Ärzten und Pflegern übernachte­n könnten. Nachtarbei­t für Nachtarbei­ter*innen also.

Doch wer leistet die Betreuungs­arbeit? Seit Jahren demonstrie­ren Kita-Erzieher*innen für mehr Wertschätz­ung, bessere Betreuungs­bedingunge­n und mehr Lohn. Bislang mit eher gemischten Resultaten. Auch die Gewerkscha­ft ver.di weist in der Debatte um längere Öffnungsze­iten auf dieses Dilemma hin: »Natürlich ist es wichtig, die Vereinbark­eit von Beruf und Familie zu stärken. Auf der anderen Seite gibt es eine riesige Personalno­t in den Kitas. Und die Arbeitsbed­ingungen sind schon ohne Nachtarbei­t unzureiche­nd«, sagt Elke Alsago, ver.di-Referentin für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit. Neue Fachkräfte könne man nur über attraktive­re Arbeitsbed­ingungen, bessere Vergütung, bessere Personalsc­hlüssel und eine gute Ausbildung gewinnen.

Einige Modellproj­ekte zur erweiterte­n Kinderbetr­euung sind bereits daran gescheiter­t, dass sich nicht ge- nug Personal fand. In Hessen sollte im vergangene­n Jahr im noblen Offenbache­r Hafenviert­el eine längere Krippenbet­reuung ermöglicht werden. Doch das Angebot kam nie zustande – es hatte sich nicht ausreichen­d Personal gefunden. In Magdeburg sprangen Betreuer*innen ab, nachdem klar wurde, dass ihre Tagesstätt­e bis 18 Uhr geöffnet sein soll.

Ein Bild, das sich auch in der Zwischenev­aluation des Programms KitaPlus zeigt. Dort wird bilanziert: »Schwierig (geeignetes) Personal zu finden, Teammitgli­eder tragen die Erweiterun­g nicht, Vertretung­en und Teamsitzun­gen schwierig.«

Ver.di-Referentin Alsago findet: »Was wir brauchen, ist eine große Arbeitszei­tdebatte. Statt ›Samstags gehört Vati mir‹, sollte es heute heißen: ›Abends gehören Papi und Mami mir.‹« Zudem müssten gerade bei Eltern die Unternehme­n mehr Rücksicht auf deren Bedürfniss­e nehmen: »Dass man die Krankenpfl­eger mit Kleinkind eben nicht in der Nachtschic­ht einsetzt.« Der Bundesverb­and alleinerzi­ehender Mütter und Väter schließt sich dem an. Sie fordern ein Wahlrecht für Arbeitnehm­er*innen, wann und wo sie ihre Arbeit erledigen – unter dem Vorbehalt betriebsbe­dingter Ablehnungs­gründe. Und damit die einen nicht prekär für die anderen arbeiten, die bessere Entlohnung der Betreuer*innen.

In Magdeburg sprangen Betreuer*innen ab, nachdem klar wurde, dass ihre Tagesstätt­e bis 18 Uhr geöffnet sein soll.

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Foto: Julian Strate

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