Nachtdienst in der Kita
Deutschland ist vielerorts eine Kita-Wüste. Mit zunehmend atypischen Arbeitszeiten verschärft sich das Problem. Manche Frauen würden gerne mehr arbeiten. Andere Frauen müssten mehr arbeiten um sich überhaupt zu finanzieren. Beide Gruppen scheitern oft an
Neue Betreuungsmodelle könnten Eltern entlasten.
Länger geöffnete Kitas würden vielen Eltern helfen – doch das Betreuungspersonal arbeitet schon jetzt unter prekären Bedingungen.
Susanne, Auszubildende mit Kleinkind, hatte die Wahl: Entweder sie nimmt die Kita, wegen deren Öffnungszeiten sie morgens etwas zu spät zu ihrer Ausbildung kommt, oder eine, bei der sie früher von der Arbeit gehen muss. Beides keine rosigen Szenarien. Denn obwohl die Kitas je acht Stunden lang geöffnet haben, fallen immer noch Anfahrtswege an. Sie wird ihren Sohn dennoch ab September betreuen lassen. In der Kita, bei der es morgens etwas eng wird. »Jetzt hoffe ich sehr auf das Verständnis des Betriebs.«
Das Kita-Angebot in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren – auch wegen der neuen Betreuungsgesetze – verbessert. Doch trotz der positiven Entwicklung sind vielerorts die Öffnungszeiten nicht ausreichend. Ein Problem für Vollzeit arbeitende Eltern wie Susanne. Dazu kommt: Immer mehr Beschäftige arbeiten zu atypischen Arbeitszeiten.
Im Jahr 2016 ging bereits laut Hans-Böckler-Stiftung fast jede vierte abhängig beschäftigte Frau regelmäßig zwischen 18 und 23 Uhr zur Arbeit, bei den Männern ist es ein gu- tes Viertel. Regelmäßige Nachtarbeit zwischen 23 und 6 Uhr leisten weniger – rund sechs Prozent der abhängig beschäftigten Frauen und zwölf Prozent der Männer. Zwischen 1996 und 2016 ist allerdings der Anteil der Männer, die regelmäßig abends arbeiten, um die Hälfte angestiegen, bei den Frauen sogar um fast zwei Drittel.
Im besten Fall hat man dann einen Partner, der auf das Kind aufpasst, kann vielleicht Homeoffice machen oder hat Verwandte in der Nähe, die das Kind mal übernehmen. Doch meistens, das zeigen Statistiken, sind es die Frauen, an denen diese Sorgearbeit hängenbleibt – und die wegen des Kindes ihre Arbeitszeit reduzieren oder ganz zu Hause bleiben. 67 Prozent der Frauen mit minderjährigen Kindern arbeiteten laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2016 Teilzeit, während es bei den Männern gerade einmal sechs Prozent waren.
Seit einigen Jahren wird in Deutschland deswegen immer wieder diskutiert, Kitas länger zu öffnen. Schon 2015 unternahm die damalige Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) dazu einen Vorstoß: Sie förderte Kitas, die modellweise auch in Randzeiten öffneten, also länger als von acht bis 18 Uhr – oder nachts – mit 100 Millionen Euro. Rund 300 Kitas bundesweit nehmen laut Anga- ben des Familienministeriums am Projekt KitaPlus teil. Angelegt ist das Programm aber nur auf drei Jahre, am 31. Dezember 2018 ist Schluss.
Eine Gruppe würde laut einer Studie des Familienministeriums besonders von längeren Betreuungszeiten profitieren: Alleinerziehende. Rund 2,7 Millionen gibt es deutschlandweit – die meisten davon Frauen. Statistiken zeigen, dass sie das größte Armutsrisiko aufweisen. Rund 37 Prozent der Alleinerziehenden bezogen im Jahr 2016 Hartz IV. Kind und Beruf – das lässt sich alleine eben oft nicht unter einen Hut bringen.
»Wir haben derzeit noch immer oft unzureichende Kita-Öffnungszeiten«, kritisiert die Geschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter, Miriam Hoheisel. Oftmals seien die Kitas, wenn überhaupt, nur von acht bis 17 Uhr geöffnet. Doch gerade unter den alleinerziehenden Frauen sei der Anteil derer hoch, die zu atypischen Zeiten arbeiten müssten. »Das ist für viele ein Problem, angefangen von der Krankenpflegerin bis zur Einzelhandelskauffrau, deren Arbeit regulär früh morgens beginnt oder bis spät abends geht.«
Neben dem Bundesprojekt KitaPlus gibt es auf Landesebene, beispielsweise in Berlin, Schleswig-Holstein, Hessen oder Brandenburg, Vorstöße für längere Kita-Öffnungszeiten oder gar Nachtbetreuung. In Nordrhein-Westfalen kündigte der dortige Familienminister Joachim Stamp (FDP) kürzlich an, es Kitas ermöglichen zu wollen, auch nach Auslaufen des KitaPlus-Programms länger öffnen zu können. An bestimmten Uni-Kliniken hält der Minister sogar 24-Stunden-Kitas für denkbar, in denen etwa die Kinder von Ärzten und Pflegern übernachten könnten. Nachtarbeit für Nachtarbeiter*innen also.
Doch wer leistet die Betreuungsarbeit? Seit Jahren demonstrieren Kita-Erzieher*innen für mehr Wertschätzung, bessere Betreuungsbedingungen und mehr Lohn. Bislang mit eher gemischten Resultaten. Auch die Gewerkschaft ver.di weist in der Debatte um längere Öffnungszeiten auf dieses Dilemma hin: »Natürlich ist es wichtig, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu stärken. Auf der anderen Seite gibt es eine riesige Personalnot in den Kitas. Und die Arbeitsbedingungen sind schon ohne Nachtarbeit unzureichend«, sagt Elke Alsago, ver.di-Referentin für Bildung, Erziehung und Betreuung in der Kindheit. Neue Fachkräfte könne man nur über attraktivere Arbeitsbedingungen, bessere Vergütung, bessere Personalschlüssel und eine gute Ausbildung gewinnen.
Einige Modellprojekte zur erweiterten Kinderbetreuung sind bereits daran gescheitert, dass sich nicht ge- nug Personal fand. In Hessen sollte im vergangenen Jahr im noblen Offenbacher Hafenviertel eine längere Krippenbetreuung ermöglicht werden. Doch das Angebot kam nie zustande – es hatte sich nicht ausreichend Personal gefunden. In Magdeburg sprangen Betreuer*innen ab, nachdem klar wurde, dass ihre Tagesstätte bis 18 Uhr geöffnet sein soll.
Ein Bild, das sich auch in der Zwischenevaluation des Programms KitaPlus zeigt. Dort wird bilanziert: »Schwierig (geeignetes) Personal zu finden, Teammitglieder tragen die Erweiterung nicht, Vertretungen und Teamsitzungen schwierig.«
Ver.di-Referentin Alsago findet: »Was wir brauchen, ist eine große Arbeitszeitdebatte. Statt ›Samstags gehört Vati mir‹, sollte es heute heißen: ›Abends gehören Papi und Mami mir.‹« Zudem müssten gerade bei Eltern die Unternehmen mehr Rücksicht auf deren Bedürfnisse nehmen: »Dass man die Krankenpfleger mit Kleinkind eben nicht in der Nachtschicht einsetzt.« Der Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter schließt sich dem an. Sie fordern ein Wahlrecht für Arbeitnehmer*innen, wann und wo sie ihre Arbeit erledigen – unter dem Vorbehalt betriebsbedingter Ablehnungsgründe. Und damit die einen nicht prekär für die anderen arbeiten, die bessere Entlohnung der Betreuer*innen.
In Magdeburg sprangen Betreuer*innen ab, nachdem klar wurde, dass ihre Tagesstätte bis 18 Uhr geöffnet sein soll.