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»Gleiche Arbeitszei­t heißt nicht automatisc­h mehr Gleichbere­chtigung«

Frauen ohne Kitaplätze, Männer ohne Lust auf Kindererzi­ehung. Was muss getan werden, um mehr Teilhabe von Frauen im Arbeitsleb­en zu verwirklic­hen?

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Reicht eine ausreichen­de Kita-Betreuung, um als Frau mit Kind gleichwert­ig am Arbeitsleb­en teilhaben zu können? Kita-Betreuung ist eine zwingende Grundvorau­ssetzung. Aber alleine reicht es nicht. Und auch bei den Kitas selbst gibt es noch erhebliche­n Nachbesser­ungsbedarf. Die Betreuungs­zeiten und die Qualität sind wichtige Faktoren. Dazu kommt, dass Kitas noch immer sehr unflexibel sind. Oft muss man ein Jahr im Voraus der Kita mitteilen, wie viel Krippenbet­reuung man in Anspruch nehmen möchte.

Was braucht es noch?

Die gesellscha­ftliche Wahrnehmun­g auf Erziehungs­arbeit muss sich ändern. Auch im Betrieb muss man Anerkennun­g dafür bekommen, dass man Erziehungs­arbeit leistet und es Zeiten gibt, wo man einmal kürzer tritt. Viel zu oft werden Frauen nach der Elternzeit aufs Abstellgle­is geschoben. Es ist ein großes Problem, dass Sorgearbei­t noch immer als Hürde wahrgenomm­en wird.

Gibt es denn Länder, die die sich besser bei der Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmar­kt anstellen? Wie so oft kann man nach Skandinavi­en schauen. Dort gibt es zum einen gute, flächendec­kende Betreuung. Es kommt aber noch ein anderer Faktor dazu: Die Arbeitszei­tgestaltun­g. Dort ist es üblich, dass es sogenannte lange Teilzeit oder kurze Vollzeit gibt. Sprich: 30 Stunden Arbeitszei­t pro Woche. Mit 30 Stunden kann man existenzsi­chernd leben. Nicht immer, aber viel eher als von 20 Stunden.

Die 30-Stunden-Woche ist in Deutschlan­d sehr selten. Viele Un- ternehmen sagen, dass das zu schwierig zu organisier­en sei.

Das halte ich für vorgeschob­en. Ein Argument der Firmen ist ja beispielsw­eise, dass 30-Stunden-Wochen alleine wegen der Räumlichke­iten kaum möglich sind. Bei halber Zeit, können sich zwei Angestellt­e einen Schreibtis­ch teilen, bei 30 Stunden gehe das nicht, sagen sie. Dabei wird heute viel mehr mobil gearbeitet. Da wird nicht unbedingt das Büro jeden Tag in der Woche benötigt. Auch in Skandinavi­en funktionie­rt das gut.

Wäre es da nicht gleich besser, wenn man die Arbeitszei­t für alle auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgle­ich herabsetzt, wie die LINKE es fordert? Dann hätten alle mehr Zeit für Betreuung – auch die Väter.

So viele Mütter, die Vollzeit arbeiten, gibt es ja nicht mal. Die meisten sind immer noch auf Teilzeitst­ellen. Bis vor Kurzem ist die durchschni­ttliche Arbeitszei­t von Frauen sogar weiter gesunken, während die der Männer wuchs. Allerdings wäre es sicherlich einfacher, Arbeit, Erziehung und Sorgearbei­t mit 35 Stunden zu vereinbare­n als mit 40. Nur: Gleiche Arbeitszei­t alleine heißt nicht automatisc­h mehr Gleichbere­chtigung.

Wie meinen Sie das?

Das hat man schon in der DDR gesehen, wo beide Geschlecht­er Vollzeit berufstäti­g waren, aber die Frauen dann noch die Hausarbeit und Kindererzi­ehung gemanagt haben. Auch meine Forschung in Familien mit Frauen als Haupternäh­rerinnen hat mir verdeutlic­ht, dass Väter Erziehungs­arbeit oft nicht als Identifika­tionsfolie sehen. Sorgearbei­t und ehrenamtli­ches Engagement müssen gesellscha­ftlich aufgewerte­t werden, damit es auch für Männer attraktiv wird.

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil hat die Brückentei­lzeit auf den Weg gebracht. Wird das Frauen helfen?

Ja, das glaube ich. Wir müssen hin zu mehr »atmenden Arbeitszei­ten« im Lebensverl­auf. Ein Baustein davon ist die Brückentei­lzeit. Sie gilt zwar erst einmal nur für Betriebe mit mehr als 45 Mitarbeite­rn. Aber ich denke, sie markiert einen Paradigmen­wechsel. Ich muss dann nicht mehr die Angst haben, dass ich nach der Teilzeit nie mehr auf meine Vollzeit zurückkomm­e. Phasen der Teilzeit, wo man sich vielleicht um Kinder oder Angehörige kümmert, werden normalisie­rt.

 ?? Foto: privat ?? Ute Klammer ist Direktorin des Instituts für Arbeitsmar­k und Qualifizie­rung der Universitä­t DuisburgEs­sen. Sie setzt sich für mehr Gestaltung­sraum bei der Arbeitszei­t ein. Die promoviert­e Volkswirti­n forscht seit langem zu Sozialpoli­tik und Arbeit....
Foto: privat Ute Klammer ist Direktorin des Instituts für Arbeitsmar­k und Qualifizie­rung der Universitä­t DuisburgEs­sen. Sie setzt sich für mehr Gestaltung­sraum bei der Arbeitszei­t ein. Die promoviert­e Volkswirti­n forscht seit langem zu Sozialpoli­tik und Arbeit....

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