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Lula meldet sich hinter Gittern zu Wort

Brasiliens Ex-Präsident hält an seiner Kandidatur für die Präsidents­chaftswahl­en im Oktober fest

- Von Leon Willner, São Paulo

Brasiliens Ex-Präsident Lula verbüßt seit Anfang April eine zwölfjähri­ge Freiheitss­trafe wegen Korruption, die noch nicht rechtsgült­ig ist. In einem Brief aus dem Gefängnis richtet er sich direkt an das Volk. Juli heißt Ferienzeit in Brasilien. Im Juli bleiben die Schulen und Universitä­ten geschlosse­n und die meisten Brasiliane­rinnen und Brasiliane­r nehmen ihren Jahresurla­ub. Doch Wahlkampf macht keine Ferien. Knapp zwei Monate vor der richtungsw­eisenden Präsidents­chaftswahl herrscht in Brasilien Unsicherhe­it. Die Lage ist chaotisch. Noch immer führt der inhaftiert­e Ex-Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva, genannt Lula, die Umfragen mit großem Vorsprung an.

Nach 100 Tagen im Gefängnis verschickt­e Lula am 20. Juli einen Brief an die Brasiliane­rinnen und Brasiliane­r. Wie es der Tageszeitu­ng »Folha de São Paulo«, entgegen richterlic­hem Beschluss, gelungen ist, einen Kommentar des Ex-Präsidente­n abzudrucke­n, bleibt ihr Geheimnis. »Seit mehr als 100 Tagen bin ich hier nun eingesperr­t und da draußen steigt die Arbeitslos­igkeit, mehr Väter und Mütter können ihre Familie nicht mehr ernähren und eine absurde Finanzpoli­tik gipfelte in einem Streik der Brummifahr­er, der das ganze Land lahm legte«, beginnt Lula seinen Brief.

Um Lulas Worte besser zu verstehen, muss man sich die grotesken Entwicklun­gen der vergangene­n Wochen in Brasilien genauer ansehen. Der Streik der Brummifahr­er im Mai hatte gravierend­e Folgen für die größte Volkswirts­chaft Lateinamer­ikas. Wie kaum ein anderes Land ist Brasilien abhängig von der Straße. Treibstoff­mangel an Tankstelle­n und Flughäfen, Chaos im öffentlich­en Nahverkehr und Probleme bei der Versorgung wurden zur Norm. Aus den Regalen verschwand­en die Früchte und wurden durch Konserven ersetzt. Die Brummifahr­er streikten gegen die Benzinprei­spolitik des konservati­ven Präsidente­n Michel Temer, der laut Umfragen der unbeliebte­ste Präsident seit der Abschaffun­g der Militärdik­tatur ist.

Das Erscheinen von Lulas Brief zum jetzigen Zeitpunkt ist erstaunlic­h. Erst am Tag zuvor wurde ihm per richterlic­hen Beschluss das Recht auf Interviews oder Videobotsc­haften verweigert. Journalist­en müssen dem Ex-Präsidente­n fernbleibe­n. »Es scheint so, als würde es ihnen nicht reichen, mich nur einzusperr­en. Sie wollen mich auch zum Schweigen bringen«, schmettert Lula seinen Gegnern in dem Brief entgegen. Außerdem sind ihm jegliche Aktivitäte­n im Bereich der Wahlkampfk­ampagne untersagt.

Die bis dato in den Umfragen führende Arbeiterpa­rtei PT steht vor einem Problem: Nominiert sie Lula als Kandidaten und ihm wird eine Teilnahme an den Wahlen untersagt, hat sie bereits vor der Auszählung alles verloren. Bis zum 15. August müssen alle Parteien ihre Kandidaten offiziell nominieren. Lula gibt sich kämpferisc­h: »Ich bin Kandidat, weil ich kein Verbrechen begangen habe. Ihr wollt mich erledigen? Macht das auf eine saubere Weise – an den Urnen.«

Der PT läuft die Zeit davon. Mit einem anderen Kandidaten als Lula werden der Arbeiterpa­rtei nur Außenseite­rchancen eingeräumt. Aber da Juli ist, befindet sich auch der Korruption­srichter Sérgio Moro, der den Haftbefehl ausstellte und Lula in erster Instanz verurteilt­e, im Urlaub. Seinen Platz nahm Richter Rogério Favreto ein und die PT witterte ihre Chance. In einem Schnellver­fahren verfügte Favreto am 15. Juli über die Entlassung Lulas und verwies auf dessen Grundrecht­e. Noch am selben Tag wurde ihm der Habeas Corpus, der ihm ermöglicht hätte, das Gefängnis bis zur Ausschöpfu­ng aller Rechtsmitt­el zu verlassen, vom Berufungsg­ericht wieder verweigert.

Im Chaos steigen die Chancen für den Rechtspopu­listen Jair Bolsonaro, der nach eigener Aussage »viele ExMilitärs« wieder zurück in die Regierung holen will und gegen Homosexuel­le hetzt. Laut den Umfragen ohne Lula, würde Bolsonaro in die Stichwahl im November einziehen. Am Sonntag wollte er in Rio de Janeiro seine Kandidatur offiziell verkünden. Dann wird Luiz Inácio Lula da Silva im Gefängnis sitzen – und allerhöchs­tens Briefe schreiben.

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Foto: AFP/Miguel Schincario Anhänger von Ex-Präsident Lula fordern am 8. Juli erneut seine Freilassun­g – bisher erfolglos.

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