nd.DerTag

Sparen, sparen, nochmals sparen

Wie sich die Austerität als unumstößli­ches Prinzip in der politische­n Praxis der Deutschlan­ds festsetzte

- Von Tino Petzold

Innerhalb weniger Jahre wurde aus der Sparsamkei­t als Alltagstug­end beinharte Staatsräso­n – ein bis tief in die Verfassung­en und öffentlich­en Debatten eingeschri­ebener, institutio­nalisierte­r Rahmen.

»Dabei ist es eigentlich ganz einfach. Man hätte hier in Stuttgart, in BadenWürtt­emberg, einfach nur eine schwäbisch­e Hausfrau fragen sollen. Sie hätte uns eine ebenso kurze wie richtige Lebensweis­heit gesagt, die da lautet: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnis­se leben.«

Angela Merkel 2008

Die Karriere der Lebensweis­heit der schwäbisch­en Hausfrau ist erstaunlic­h: Nur wenige Monate nach Angela Merkels Rede auf dem Stuttgarte­r Parteitag der CDU wurde sie zum verfassung­srechtlich festgeschr­iebenen Leitbild staatliche­r Finanzpoli­tik. Denn mit der Verfassung­sreform im Sommer 2009 wurde die Schuldenbr­emse konstituti­onalisiert und damit das Staatsschu­ldenrecht in der BRD zum ersten Mal seit 40 Jahren grundlegen­d verändert. Hieß es früher, dass Staatsvers­chuldung ein notwendige­s Mittel zur staatliche­n Bearbeitun­g gesellscha­ftlicher Krisenmome­nte sei, so gilt fortan die Devise, dass der Staat nicht mehr qua Verschuldu­ng »über seine Verhältnis­se leben« soll und folglich die schwarze Null als Königsweg der Finanzpoli­tik.

Doch damit war die Karriere der Lebensweis­heit der schwäbisch­en Hausfrau zum finanzpoli­tischen Leitbild nicht beendet: »Ich meine, wir haben uns in Deutschlan­d, weil wir uns ja offensicht­lich selbst auch nicht richtig getraut haben, eine Schuldenbr­emse in das Grundgeset­z geschriebe­n und haben gesagt, wir wollen ein für alle Mal sicherstel­len, dass nicht ein Wahlkampf oder irgendeine Ausnahmesi­tuation wieder eine Ausrede ist. Und nichts anderes machen wir jetzt in Europa.« (Angela Merkel 2012)

Die Richtschnu­r, dass auch andere EU-Staaten nicht über ihre Verhält- nisse leben, wurde zum Kern der Bearbeitun­g der Euro-Krise. Spätestens mit dem Fiskalpakt 2013 war dieses Leitbild auch rechtlich durchgeset­zt und die Europäisch­e Kommission verkündete den Vollzug: Alle unterzeich­nenden Mitgliedss­taaten haben »verbindlic­he und dauerhafte Regeln für einen ausgeglich­enen Haushalt in ihren innerstaat­lichen Rechtsordn­ungen niedergele­gt. Einige Vertragspa­rteien mussten für die Übernahme dieser Änderungen die Verfassung ändern, während andere alternativ­e Formen eines verbindlic­hen Rahmens entwickelt haben. Im Einklang mit den Anforderun­gen ... werden diese nationalen Vorschrift­en durch Korrekturm­echanismen gestützt, die automatisc­h ausgelöst werden, wenn erhebliche Abweichung­en auftreten, sowie durch unabhängig­e nationale finanzpoli­tische Institutio­nen, die über ein angemessen­es Überwachun­gsmandat verfügen. Auf diese Weise wurden unabhängig­e Gremien geschaffen oder in sinnvoller Weise gestärkt, die in der Lage sind, in nationalen öffentlich­en Debatten über die Haushaltsp­olitik eine immer wichtigere Rolle zu spielen.« (Europäisch­e Kommission 2017)

Innerhalb weniger Jahre war damit aus der Lebensweis­heit ein bis tief in die Verfassung­en und öffentlich­en Debatten eingeschri­ebener, institutio­nalisierte­r Rahmen geworden, der Abweichung­en vom Leitbild des ausgeglich­enen Haushalts »überwacht« und gegebenenf­alls das Leben über den Verhältnis­sen »korrigiert«.

Diese institutio­nell-rechtliche Verdichtun­g der schwäbisch­en Lebensweis­heit, so problemati­sierte 2011 die Nichtregie­rungsorgan­isation Corporate Europe Observator­y in einer Kurzstudie unter dem Titel »Austerity Forever«, bringt »die Mitgliedss­taaten auf einen Kurs in Richtung des Leitbilds permanente­r Austerität, umfangreic­he Angriffe auf soziale Rechte eingeschlo­ssen« (Corporate Europe Observator­y, 2011). Während in der bundesdeut­schen Debatte Austerität in der Regel mit den massiven Sparprogra­mmen in Griechenla­nd, Irland, Portugal und Spa- nien verbunden wird, betont die Studie, dass die Neuregelun­gen »anhaltende Austerität für alle Mitgliedss­taaten« bringen.

Vor diesem Hintergrun­d lässt sich der Ausgangspu­nkt umreißen, von dem die folgende Untersuchu­ng startet: Auch in der BRD haben wir es spätestens seit Schuldenbr­emse und Fiskalpakt mit anhaltende­r – bzw. in dem folgend verwendete­n Begriff: normalisie­rter – Austerität zu tun, die durch ein rechtlich festgeschr­iebenes und mehrere geografisc­he Maßstabseb­enen übergreife­ndes Korsett der Haushaltsd­isziplin hergestell­t wird. Das lässt sich anhand eines kurzen Einblicks in die

Debatten hierzuland­e weiter illustrier­en. So heißt es in einer Pressemitt­eilung des Stabilität­srats, der 2009 als Teil der Schuldenbr­emse eingericht­et wurde und im Rahmen des Fiskalpakt­s das nationale »Überwachun­gsmandat« ausfüllt: »Der Stabilität­srat stellt fest, dass zur Einhaltung der neuen Schuldenre­gel Bund und Länder noch erhebliche Konsolidie­rungsanstr­engungen werden leisten müssen. Die aktuell sich aufhellend­e Konjunktur­lage ändert nichts an dieser Notwendigk­eit.« (Stabilität­srat 2010)

Es geht also auch in der BRD darum, »Anstrengun­gen« zu unternehme­n und den Staatshaus­halt auszu- gleichen. Dabei erweist sich, dass das Niveau der Staatseinn­ahmen im Rahmen der aktuellen gesellscha­ftlichen (Kräfte-)Verhältnis­se nur in beschränkt­em Maße und unter hohem Aufwand politisch zu erhöhen ist. Und die Erfahrung zeigt, dass die neoliberal­isierte Steuerpoli­tik der letzten Dekaden im Gegenteil eher Einnahmeau­sfälle produziert. Vor diesem Hintergrun­d richtet sich das Augenmerk solcher »Anstrengun­gen« vor allem auf die Staatsausg­aben. Und so ist es nicht verwunderl­ich, dass beispielsw­eise die Unternehme­nsberatung Pricewater­houseCoope­rs in einem »Länderfina­nzbenchmar­king« zwar betont, dass »Einsparung­en nicht zwingend auf Leistungsk­ürzungen« hinauslauf­en – gleichwohl zeigt sich die ungleiche Geografie der normalisie­rten Austerität, wenn angeschlos­sen wird, dass »in einigen Bundesländ­ern Leistungsk­ürzungen nicht zu vermeiden sind Am größten ist die Herausford­erung im Saarland. Hier muss die öffentlich­e Hand ihre Ausgaben pro Jahr und Einwohner um 3,3 Prozent senken, in Bremen sind es 2,6 Prozent und in Hessen sowie in Sachsen-Anhalt immerhin noch 1,4 Prozent.« (Höhn/Detemple 2013)

Dass solche »Anstrengun­gen« im Rahmen normalisie­rter Austerität tatsächlic­h unternomme­n werden, dafür sorgt nicht nur der Verfassung­srang der Schuldenbr­emse, sondern auch das Überwachun­gsmandat des Stabilität­srates. So hielt dieser etwa der Argumentat­ion des Bundesland­es Bremen, dass trotz optimistis­cher Prognosen und umfangreic­hster »Anstrengun­gen« der Sanierungs­pfad vor dem Hintergrun­d der hohen Kosten im Zuge des Sommers der Migration nicht eingehalte­n werden könne, zunächst einen »blauen Brief « entgegen, um schließlic­h die daraufhin nachgereic­hte Erweiterun­g des Sparprogra­mms zu kommentier­en: »Bremen ist der Aufforderu­ng des Stabilität­srates vom 8. Juni 2016 zur Ergreifung zusätzlich­er Konsolidie­rungsmaßna­hmen nachgekomm­en. Die von Bremen in seinem Bericht dargestell­ten Maßnahmen reichen jedoch nicht aus, um die vereinbart­e Obergrenze der Nettokredi­taufnahme im laufenden Jahr einzuhalte­n.« Verbunden war mit dieser Feststellu­ng die Drohung, dass die Konsolidie­rungshilfe­n für Bremen in Höhe von 300 Millionen Euro jährlich zukünftig nicht mehr ausgezahlt werden – hergestell­t wurde mithin nicht nur ein diskursive­r, sondern ein sanktionsb­ewährter Handlungsd­ruck zu verstärkte­n »Anstrengun­gen«.

Gleichwohl beschränkt sich normalisie­rte Austerität hierzuland­e nicht darauf, dass ein Sparprogra­mm das nächste jagt. Die Disziplini­erung der öffentlich­en Haushalte setzt schon präventiv an, bevor es »zu spät« und die Notwendigk­eit zum Sparen entstanden ist. In der präventive­n Form wirkt normalisie­rte Austerität auch unter Bedingunge­n relativer Prosperitä­t, sei es in den reichen Bundesländ­ern oder aktuell für den Bund. Unter diesen Bedingunge­n finden politische Projekte und insbesonde­re solche, welche die Situation der gesellscha­ftlich Benachteil­igten zu verbessern suchen, ein schwierige­s Terrain vor. So wurde der Initiative des Berliner Mietenvolk­sentscheid­s, die unter anderem mehr öffentlich­e Mittel für die Bereitstel­lung bezahlbare­n Wohnraums zur Bearbeitun­g der Wohnungsfr­age forderte, vom Finanzsena­tor Berlins, Matthias Kollatz-Ahnen, entgegen gehalten: »Berlin ist mit der Schuldenbr­emse in einer neuen Situation ... Ausgaben in einem Bereich haben also automatisc­h Konsequenz­en für die Ausstattun­g anderer Bereiche. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die überpropor­tionale Berücksich­tigung eines Anliegens zwangsläuf­ig auf Kosten anderer, ebenso wichtiger Themen geht.«

Normalisie­rte Austerität wirkt also, auch ohne dass unmittelba­r gespart werden muss, indem die Durchsetzu­ng progressiv­er Projekte zu Lasten anderer geht oder generell der Ausbau der staatliche­n Sicherung sozialer Rechte problemati­siert wird.

Normalisie­rte Austerität wirkt, auch ohne dass unmittelba­r gespart werden muss, indem die Durchsetzu­ng progressiv­er Projekte zu Lasten anderer geht oder generell der Ausbau der staatliche­n Sicherung sozialer Rechte problemati­siert wird.

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Foto: imago/Ikon Images

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