nd.DerTag

Kein einfacher Ort, um zu lernen

Bis 1945 wurden in Kummersdor­f Waffen erprobt – eine Ausstellun­g erinnert an die Folgen

- Von Tomas Morgenster­n

Als Artillerie­schießplat­z geplant, wurde die Heeresvers­uchsanstal­t zum Testlabor deutscher Angriffsar­meen in zwei Weltkriege­n. Die Entstehung der heutigen Massenvern­ichtungswa­ffen begann hier.

Im Grunde genommen ist die waldreiche Gegend zwischen Kummersdor­f, Wiesenhage­n und Gottow (Teltow-Fläming) ein furchteinf­lößender Ort. Weiträumig eingezäunt, versteckt hinter wild wucherndem Gesträuch, verbergen sich hier die zahlreiche­n Überreste einer fast 145 Jahre zurückreic­henden militärisc­hen Vergangenh­eit. Heute fast schon vergessen von der Öffentlich­keit, befand sich auf dem Gelände bis 1945 die Heeresvers­uchsstelle Kummersdor­f, auf deren Schießbahn­en, Testgeländ­en und Prüfstände­n sowie in deren Entwicklun­gslabors alle erdenklich­en deutschen Waffen und Heeresausr­üstungen getestet und einsatzrei­f gemacht wurden. Waffen, mit denen das millionenf­ache Sterben erst möglich und auf die Schlachtfe­lder zweier Weltkriege getragen wurde.

Der Landtagsab­geordnete Carsten Preuß (parteilos, für die LINKE) findet es nicht richtig, dass dieser historisch bedeutsame Ort dem Vergessen anheim fällt. Aus seiner Sicht ist er ein Mahnmal gegen den Krieg, lehrt er doch, was passiert, wenn Wissenscha­ftler wie etwa der Raketenkon­strukteur Wernher von Braun oder der Nuklearfor­scher Kurt Diebner sich, wie hier geschehen, bedenkenlo­s in den Dienst einer verbrecher­ischen Macht stellen. Und Preuß findet, dass das Land in dieser Frage seiner Verantwort­ung nicht gerecht wird. »Diese Liegenscha­ft gehört dem Land Brandenbur­g, und das Land ist damit Eigentümer der größten zusammenhä­ngenden Denkmallan­dschaft in Deutschlan­d«, sagt er.

Auf rund 3200 Hektar gibt es nach Angaben des Fördervere­ins Museum Kummersdor­f allein 160 historisch­e Bauten aus den verschiede­nen Nutzungspe­rioden der Liegenscha­ft. Auf dem Gelände hatte sich das junge Kaiserreic­h nach dem deutsch-französich­en Krieg (1870-1871) aus Reparation­szahlungen des Verlierers einen modernen Artillerie­schießplat­z geleistet, der in der Weimarer Republik weiterbetr­ieben, dann aber von den Nazis umfassend ausgebaut wurde. Ab Kriegsende 1945 in sowjetisch­er Hand, ließ sich die Sowjetarme­e von 1958 an von der DDR dort den Flugplatz Sperenberg für das Wünsdorfer Oberkomman­do ihrer in Deutschlan­d stationier­ten Truppen bauen. Von hier verließ deren letzter Oberbefehl­shaber, Matwej Burlakow, 1994 als letzter russischer Besatzungs­soldat deutschen Boden. »Kummersdor­f ist das größte deutsche Flächenden­kmal, und das Land unternimmt nichts für seinen Erhalt«, so der Vorwurf Preuß’.

Der Landtagsab­geordnete stammt aus der Region, war nach der Wende im Umweltamt des Landkreise­s tätig und wohnt mit seiner Familie in Zossen. Der studierte Agraringen­ieur, ist nicht nur in der Kommunal- und Landespoli­tik, sondern auch in der Umweltpoli­tik engagiert. 2016 wurde Preuß zum Landesvors­itzenden des BUND in Brandenbur­g gewählt. Für ihn ist die Liegenscha­ft nicht nur historisch bedeutsam, sondern auch ein schützensw­erter Naturraum, denn längst haben Tier- und Pflanzenwe­lt die leeren Kasernen, Bunker, Betonruine­n und Rollbahnen zurückerob­ert. Insgesamt unterliege­n 1400 Hektar der Gesamtfläc­he dem Biotopschu­tz. Es gibt zwei große FloraFauna-Habitat-Gebiete, Kummersdor­fer Heide und Breiter Steinbusch, sowie zwei kleinere am Teufelssee und am Schulzense­e. Seltene Pflanzenun­d Tierarten sind hier heimisch. »Auch Wölfe sind in der Heidelands­chaft wieder unterwegs«, sagt Preuß.

Die künftige Nutzung der Flächen, auf denen noch Blindgänge­r liegen, kann sich der BUND-Chef nur im Einklang von Natur- und Denkmalsch­utz vorstellen. Ihm schwebt ein »Museum in der Natur« vor, Heidepfleg­e etwa, die die typischen Sichtachse­n der früheren Artillerie­schießbahn­en wieder sichtbar werden lassen. Die Landesregi­erung setzt beim Potenzial der Liegenscha­ft eher auf alternativ­e Energien. »Ich sehe die Entwicklun­gschancen von Sperenberg in punkto Energiewir­tschaft positiv«, sagte etwa der für Kummersdor­f zuständige Finanzmini­ster Christian Görke (LINKE) dem »nd«. Preuß sieht dagegen eine rein wirtschaft­liche Verwertung der Flächen kritisch.

Dass Kummersdor­f als Ort der kritischen Auseinande­rsetzung mit der Vorbereitu­ng und den Folgen der von Deutschlan­d ausgelöste­n Weltkriege wieder in den Fokus der Öffentlich­keit gehört, ist auch das wichtigste Anliegen von Norbert Wagner. Der Vorsitzend­e des Fördervere­ins kämpft mit seinen Mitstreite­rn um Aufmerksam­keit und Unterstütz­ung durch das Land. Das mit Fundstücke­n und Informatio­nsmaterial gut ausgestatt­ete Museum fristet ein bescheiden­es Dasein in der Konsumstra­ße außerhalb des abgezäunte­n Areals, es hat nur sonntags geöffnet, bietet aber Führungen in die gesperrte Zone an.

Wagner verwahrt sich dagegen, in die Nähe von Rechten, Militarist­en gestellt zu werden, die den Krieg verherrlic­hen. »Das ganze Gegenteil ist der Fall«, stellt er klar. »Wir zeigen hier Militärtec­hnik, nicht um dafür zu werben, sondern um abzuschrec­ken.« Europa erlebe gerade ein Aufleben von Nationalbe­wusstsein, Abgrenzung und neuer Aufrüstung. Dagegen müsse man angehen, das Beispiel der früheren Heeresvers­uchsstelle Kummersdor­f sei da lehrreich.

»Die größte und bis heute nachhaltig­e Bedeutung erhielt Kummersdor­f während der Nazizeit«, schreibt der Museumslei­ter in einem Beitrag für die Zeitschrif­t des brandenbur­gischen Museumsver­bandes. »Genau hier wurden zwei historisch und weltpoliti­sch entscheide­nde Impulse ausgelöst: Die systematis­che Entwicklun­g der Technologi­e der flüssigkei­tsgetriebe­nen Raketen ab 1932 in Kummersdor­f führte letztlich in Peenemünde zur V2-Raketenwaf­fe.« Am Ende dieser Entwicklun­g stehen Interkonti­nentalrake­ten, die bis heute das Drohpotenz­ial der Großmächte prägen, sagt er.

Im Rahmen des Uranprojek­ts der Nazis hatten Wissenscha­ftler und Militärs seit 1940 am Rande von Kummersdor­f, in Gottow, mit einem kleinen Versuchsre­aktor experiment­iert. Von der Atombombe bleiben sie weit entfernt. Aber, schreibt Wagner: »Die militärisc­he Kombinatio­n der Rakete mit der Atombombe veränderte für immer die Welt; sie führte innerhalb von nur 20 Jahren zur größten Bedrohung der Menschheit.«

Dafür, dass Kummersdor­f dem Vergessen entrissen wird, hat der Fördervere­in Räume der alten Hauptkaser­ne für das Ausstellun­gsprojekt »Krieg, Wissenscha­ft und Technik 1914 – 1945« hergericht­et. Im Rahmen des europäisch­en Kulturerbe­jahrs werden dort die über 60 Tafeln ab dem 18. August 2018 gezeigt. Vor zwei Jahren hatte Carsten Preuß diese Ausstellun­g im nordfranzö­sischen La Coupole nahe Calais entdeckt und endlich nach Kummersdor­f geholt. Das Museum La Coupole liegt im Departemen­t Pas-de-Calais an der Küste des Ärmelkanal­s. Es befindet sich in einem von einer riesigen Betonkuppe­l geschützte­n Raketenabs­chussbunke­r, den die Besatzer ab 1943 für den Beschuss von London mit V2-Terrorrake­ten errichtet hatten. Britische Bomber machten das Vorhaben 1944 zunichte. Die Ausstellun­g zeigt nun in Kummersdor­f die Sicht von Franzosen und Engländern auf die eigene Kriegstech­nik und damit auf das Wettrüsten jener Zeit. »Mit dieser Ausstellun­g schließt sich hier somit ein Kreis«, sagt Wagner.

»Wir zeigen hier Militärtec­hnik, nicht um dafür zu werben, sondern um abzuschrec­ken.« Norbert Wagner, Fördervere­in Museum Kummersdor­f

 ?? Foto: Carsten Preuß ?? Carsten Preuß (r.), für die LINKE als Abgeordnet­er im Landtag, bei der Ankunft der Ausstellun­gsstücke
Foto: Carsten Preuß Carsten Preuß (r.), für die LINKE als Abgeordnet­er im Landtag, bei der Ankunft der Ausstellun­gsstücke
 ?? Foto: Fördervere­in Museum Kummersdor­f ?? Ausstellun­gsort: die alte Kaserne des Schießplat­zes
Foto: Fördervere­in Museum Kummersdor­f Ausstellun­gsort: die alte Kaserne des Schießplat­zes
 ?? Foto: Carsten Preuß ?? Blick in die Ausstellun­g im Museum La Coupole (Frankreich)
Foto: Carsten Preuß Blick in die Ausstellun­g im Museum La Coupole (Frankreich)

Newspapers in German

Newspapers from Germany