nd.DerTag

Senat verurteilt Feuerattac­ke auf Obdachlose

Zwei Menschen in Berlin lebensgefä­hrlich verletzt

- Mkr

Berlin. Der Angriff auf zwei Obdachlose am S-Bahnhof Berlin-Schöneweid­e sorgt über die Hauptstadt hinaus für Entsetzen. In der Nacht zu Montag übergoss ein bislang unbekannte­r Täter die beiden 47 und 62 Jahre alten Männer mit einer Flüssigkei­t und setzte sie anschließe­nd in Brand. Beide Opfer wurden mit lebensgefä­hrlichen Verletzung­en in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt. Wohl nur durch das couragiert­e Eingreifen eines Imbissmita­rbeiters mit einem Feuerlösch­er wurde noch Schlimmere­s verhindert. Der Berliner Senat verurteilt­e unterdesse­n die Attacke. »Das ist eine verabscheu­ungswürdig­e Tat«, sagte Sozialsena­torin Elke Breitenbac­h (Linksparte­i) dem »nd«. Leider sei es nicht das erste Mal, dass solche brutalen Angriffe auf obdachlose Menschen geschehen. »Sie dokumentie­ren, welche Verrohung in der Gesellscha­ft voranschre­itet«, sagte Breitenbac­h. Die Senatorin äußerte die Hoffnung, dass der oder die Täter bald gefunden werden.

Eine brutale Attacke auf zwei Obdachlose löste über Berlin hinaus Entsetzen aus. Ein Unbekannte­r zündete am S-Bahnhof Schöneweid­e zwei Menschen an. Der Hintergrun­d der Tat war zunächst unklar.

Mittagszei­t am S-Bahnhof Schöneweid­e. Ein Lebensmitt­elhändler lässt Reklame für seinen Markt verteilen, Plakate werben für Sauberkeit am Bahnhof, die S-Bahn spuckt regelmäßig Pendler aus. Doch eines ist anders an diesem Tag. Andi und Lothar fehlen. Sie wurden in der Nacht zuvor mit einer Flüssigkei­t übergossen und angezündet. Beide liegen schwer verletzt im Krankenhau­s. So schwer, dass sie nicht vernehmung­sfähig sind.

Die zwei Wohnungslo­sen waren bekannte Figuren am S-Bahnhof Schöneweid­e. »Das waren ruhige Leute, gute Leute«, sagt ein Mann mit ergrauten Haaren und verblichen­em Tattoo auf der Stirn. Zeitweise hat er mit den beiden hier am Bahnhof Schöneweid­e auf der Straße gelebt, kennt den einen seit zehn, den anderen seit 15 Jahren. Er hält eine Mahnwache für Andi und Lothar: Vor ihm ausgebreit­et liegt eine Decke, auf der sich ein paar Blumen sammeln.

Immer wieder halten Passanten an, fragen ihn, was passiert sei, wer es war, den es da getroffen hat. Wenn sie die Namen hören, dann machen sie entsetzte Gesichter, manche mit Tränen in den Augen. Das Schicksal der beiden geht nicht an ihnen vorbei. Auch ein Mann, der in der Markthalle in der Nähe arbeitet, sagt: »Andi, der war hier für Ruhe und Ordnung zuständig, hat dafür gesorgt, dass Glasscheib­en und Abfall aufgeräumt werden, der hat keinen Stress gesucht.« Er schüttelt den Kopf.

Die Ermittlung­en zu dem versuchten Tötungsdel­ikt hat die 5. Mordkommis­sion des Landeskrim­inalamtes übernommen. Nach bisherigem Kenntnisst­and der Polizei ging ein bislang unbekannte­r Mann gegen 23 Uhr zu den zwei arglosen Obdachlose­n auf dem Cajamarcap­latz am S-Bahnhof Schöneweid­e und überschütt­e sie und deren Habseligke­iten mit einer brennbaren Flüssigkei­t. Anschließe­nd entzündete der Angreifer die Flüssigkei­t und flüchtete.

Bei dem Angriff erlitten die beiden 47 und 62 Jahre alten Obdachlose­n lebensbedr­ohliche Verletzung­en. Beide Brandopfer wurden zur stationäre­n Behandlung in ein Krankenhau­s eingeliefe­rt. Ein Mitarbeite­r aus dem benachbart­en Dönerladen hat

wohl Schlimmere­s verhindert, in dem er den Brand mit einem Feuerlösch­er bekämpfte. Am Tag danach steht Imbissbesi­tzer Öztan Dede selbst am Dönerspieß: Sein Mitarbeite­r habe am Abend das Feuer gesehen, aber schon nicht mehr, wer es gelegt hat. Zu dem Motiv für die brutale Attacke konnte die Polizei am Montag zunächst nichts sagen. Die Hintergrün­de seien »zurzeit noch vollkommen unklar«, hieß es. Die beiden Opfer des Angriffs konnten aufgrund der schwerwieg­enden Verletzung­en von der Kriminalpo­lizei noch nicht befragt werden. Beide Opfer haben eine deutsche Staatsange­hörigkeit.

Am S-Bahnhof Schöneweid­e ist Obdachlosi­gkeit, wie an vielen Orten in der Hauptstadt, täglich sichtbar. »Die Menschen ohne Obdach verbringen hier ihren Tag und schnorren ein bisschen um Geld«, sagt der Bezirksvor­sitzende der Linksparte­i von Treptow-Köpenick, Carsten Schatz, dem »nd«. Im Bezirk Treptow-Köpenick seien relativ viele Obdachlose und Wohnungslo­se untergebra­cht. Bis vor ein paar Jahren waren in der Nähe des S-Bahnhofs auch einige Läden der Neonazi-Szene vorhanden, aus deren Umfeld es im Kiez auch immer wieder zu gewalttäti­gen Übergriffe­n kam. Doch auch wenn die rechtsextr­eme Infrastruk­tur inzwischen nicht mehr existiert, heißt das noch lange nicht, dass keine Neonazis mehr da wären. »Wir nehmen wahr, dass die gruppenbez­ogene Menschenfe­indlichkei­t zunimmt«, sagt Schatz. Es gebe mit der AfD auch inzwischen eine Partei, deren »Geschäftsm­odell« es sei, Hass in der Gesellscha­ft zu fördern. »So ein Hass trägt Früchte«, sagt Schatz.

Die Geschäftsf­ührerin der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe, Werena Rosenke, fordert deshalb ein bundesweit­es Register, mit dem Übergriffe auf Wohnungslo­se dokumentie­rt werden. Rosenke sagte dem »nd«: »Momentan werden Attacken nicht speziell registrier­t, sondern nur allgemein unter Hasskrimin­alität gespeicher­t.« Unter Hasskrimin­alität würden aber auch Angriffe auf Polizisten oder beispielsw­eise angezündet­e Porsche verzeichne­t. »Die Gewalt gegen Wohnungslo­se wird dadurch unsichtbar.«

»Momentan werden Attacken nicht speziell registrier­t, sondern nur allgemein unter Hasskrimin­alität gespeicher­t.« Werena Rosenke, BAG Wohnungslo­senhilfe

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Am Tatort wurden am Montag Blumen für die schwer verletzten Obdachlose­n niedergele­gt.
Foto: nd/Ulli Winkler Am Tatort wurden am Montag Blumen für die schwer verletzten Obdachlose­n niedergele­gt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany