nd.DerTag

Retter des Freihandel­s?

Die BRICS-Staaten wollen in die Lücke vorstoßen, die die abschotten­de US-Wirtschaft­spolitik internatio­nal gerissen hat

- Von Christian Selz, Kapstadt

Ab Mittwoch diskutiere­n die Regierungs­vertreter der BRICS-Staaten über die weitere Süd-Süd-Vernetzung. Ihr erklärtes Hauptziel ist die Stabilisie­rung der Weltwirtsc­haft.

In die globale Handelsord­nung ist Bewegung gekommen. Noch vor nicht allzu langer Zeit wurden die Bemühungen der BRICS-Gruppe, die Südhalbkug­el ökonomisch zu vernetzen, weitgehend als aussichtsl­os belächelt. Zu groß seien die Unterschie­de zwischen den Teilnehmer­ländern, unkten Kritiker. Doch in der Ära von USPräsiden­t Donald Trump sind skeptische Töne in den Hintergrun­d geraten. Denn wenn Mittwoch bis Freitag die Staats- und Regierungs­chefs Chinas, Indiens, Russlands, Brasiliens und Südafrikas in Johannesbu­rg zum zehnten BRICS-Gipfel zusammentr­effen, geht es nicht mehr um ein Gegenmodel­l zur Globalisie­rung westlicher Prägung – sondern um die Rettung des Freihandel­s.

Die Führungen der BRICS-Staaten arbeiteten daran, »multilater­ale Zusammenar­beit und das multilater­ale Handelssys­tem mit der Welthandel­sorganisat­ion als dessen Kern gemeinsam zu schützen und unilateral­en Aktionen und Protektion­ismus klar entgegenzu­treten«, erklärte Chinas VizeAußenm­inister Zhang Jun vergangene Woche. Die BRICS-Gruppe müsse »die Wirtschaft­sglobalisi­erung standfest unterstütz­en«, ergänzte derweil Pekings Finanzmini­ster Liu Kun. Klar ist: Die Volksrepub­lik will den BRICSGipfe­l für eine gemeinsame Antwort auf die Abschottun­gspolitik der USRegierun­g nutzen. Gleichzeit­ig besteht durch den graduellen Rückzug der USA aus dem internatio­nalen Handel ein Freiraum, der es den Volkswirts­chaften des Südens ermöglicht, ihren Einfluss auszubauen.

BRICS hat dabei in den vergangene­n Jahren bewiesen, dass es ein handlungsf­ähiges Format ist. Das anstehende Treffen in Johannesbu­rg werde »nicht bloß eine simple Gesprächsr­unde«, erklärte Südafrikas BRICS-Botschafte­r Anil Sooklal vergangene Woche. Er verwies auf eine Untersuchu­ng der BRICS Research Group, derzufolge 70 Prozent der Beschlüsse bisheriger Gipfeltref­fen umgesetzt wurden. Die bisher wichtigste Institutio­n, die die Staatengru­ppe geschaffen hat, ist die gemeinsame New Developmen­t Bank (NDB). Die Institutio­n, deren Schaffung erst 2012 diskutiert worden war, hat bereits elf Großprojek­te finanziert, zwölf sind in der Planungsph­ase, die meisten sind Infrastruk­turmaßnahm­en. Der diesjährig­e Gastgeber Südafrika hat etwa im Umfang von fünf Milliarden Rand (320 Millionen Euro) Kredite für das halbstaatl­iche Transportu­nternehmen Transnet und den Stromverso­rger Eskom erhalten. Kritiker bemängeln zwar, dass die Kreditverg­abe den Mechanisme­n der Weltbank ähnele, doch die BRICS-Bank versucht nun zumindest, Auszahlung­en in der Landeswähr­ung zu ermögliche­n, um die Abhängigke­it der Länder von Wechselkur­sschwankun­gen zu verringern. Als Nebeneffek­t würde die internatio­nale Wirkungsma­cht des US-Dollars, der bisher bevorzugte­n Währung der NDB, vermindert.

Die Ambitionen der Gruppe gehen aber über die Wirtschaft­spolitik hinaus, was sich auch an den Tagesordnu­ngsvorschl­ägen des Gastgebers erkennen lässt. Die Südafrikan­er wollen auf dem dreitägige­n Gipfel neben Diskussion­en zur Gestaltung der »4. Industriel­len Revolution« und der Etablierun­g eines Forums zu Genderund Frauenrech­ten eine Arbeitsgru­ppe zu »internatio­nalen Friedensmi­ssionen« gründen. BRICS will sich einmischen und als globale Macht wahrgenomm­en werden.

Der Weg dahin ist weit, denn die politische­n Differenze­n zwischen den Regierunge­n sind groß. Die südafrikan­ische Staatsanwa­ltschaft hat Anfang Juli gar offiziell bekanntgeg­eben, wegen Kriegsverb­rechen und Menschenre­chtsverlet­zungen gegen Indiens Premiermin­ister Narendra Modi zu ermitteln. Der Hindu-Nationalis­t kann in Johannesbu­rg nur deswegen nicht verhaftet werden, weil der BRICS-Gipfel unter dem Schutz der Genfer Konvention steht. Zusammenge­halten wird die Gruppe vor allem durch gemeinsame Wirtschaft­sinteresse­n – was in der aktuellen globalen Situation jedoch bereits eine enorme Stärke zu sein scheint.

Die BRICS-Staaten wollen sich einmischen und als globale Macht wahrgenomm­en werden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany