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Fittere Soldaten

Die Bundeswehr erfindet gerade den Breitenspo­rt neu – ein Pilotproje­kt läuft in Mecklenbur­g-Vorpommern

- Von René Heilig

Rekruten sollen körperlich in Form gebracht werden.

Panzergren­adiere in der Hagenower Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne erproben eine neue Form der Grundausbi­ldung. In den ersten sechs Wochen steht Fitnesstra­ining obenan.

Ähnlich wie der Film »Die Brücke« von Bernhard Wicki im Westen, so hat der Roman »Die Abenteuer des Werner Holt« von Dieter Noll im Osten Deutschlan­ds Ansichten junger Menschen über Krieg und Militär bestimmt: Werner Holt und sein Freund Gilbert Wolzow, der Offizier in der Wehrmacht werden wollte, dienten als Flakhelfer. Voller Ideale, noch mit eigenem Willen. Der Batteriefe­ldwebel Gottesknec­ht wusste, wie man den bricht: »Sie laufen jetzt den Hang runter, bis zur Chaussee, hundertzwa­nzig Meter, alles genau vermessen! Dann kommen Sie den Hang wieder hoch, Häschen-hüpf, kennen Sie das?« So ging das, bis die Rekruten am Ende waren: »Herr Wachtmeist­er«, sagte Wolzow. »Ich melde, dass ich vom Häschen-hüpf die Schnauze voll hab!« Gottesknec­ht strahlte: »Holt, haben Sie’s gehört? Wolzow, das ist ein Wort, dafür gibt’s ›Sehr gut‹, da haben Sie mir eine Riesenfreu­de gemacht!«... Dass Sie heute das erste Mal beim Militär die Schnauze voll hatten, das muss außerdem gefeiert werden, da lad ich Sie am Sonnabend in der Kantine zum Bier ein ...«

Dass dieser menschenve­rachtende »Schliff« nicht mit der Wehrmacht untergegan­gen war, merkten junge Nachkriegs­deutsche dann in der NVA und in der Bundeswehr. Dagegen aufbegehre­n war zumeist sinnlos, denn die standardis­ierte Erwiderung lautete: Jeder Tropfen Schweiß spart einen Liter Blut …

Damals ging es um Landes- und Bündnisver­teidigung. So wie jetzt wieder. »Der Russe« zwingt dazu und die Auslandsei­nsätze werden auch nicht unblutiger. Kommen damit womöglich die alten »Barras-Methoden« bei der Ausbildung wieder? Weicht der »Staatsbürg­er in Uniform« dem gedrillten Kampfrobot­er? Weder allgemeine Alarmrufe noch Pauschalis­ierungen helfen. Dennoch: Immer wieder machen Berichte über menschenun­würdige Ausbildung­smethoden die Runde. Ministerin Ursula von der Leyen, die ihre »Firma« zu einem sozial geachteten Arbeitgebe­r machen will, schritt mehrfach ein – und bekam viel Gegenwind. Sie sei zu pingelig, so ein vielfaches Echo aus der Truppe.

Pingelig? Im Januar 2018 war ein Rekrut bei einem Geländelau­f in Pfullendor­f bei Sigmaringe­n bewusstlos zusammenge­brochen, andere mussten das Training abbrechen. Bei einem Ausbildung­smarsch im niedersäch­sischen Munster brachen im vergangene­n Jahr vier Rekruten zusammen. Diagnose: Hitzschlag. In einem Gutachten wurden die Ausbilder schwer belastet. Inhalt: Der Tod eines 21-jährigen Soldaten hätte verhindert werden können, wenn sich die Vorgesetzt­en an die geltenden Regeln der Bundeswehr und ihre Fürsorgepf­licht gehalten hätten. Das war vor genau einem Jahr. Es dauerte bis zum September, dann sprach auch die Bundeswehr­führung von »nicht sachgerech­ten Entscheidu­ngen« der Befehlshab­er. Man versprach, die Ausbildung­smethoden in allen Teilstreit­kräften zu untersuche­n, der damalige Generalins­pekteur Volker Wieker ermahnte die Inspekteur­e aller Teilstreit­kräfte, und sogar im Koalitions­vertrag haben sich Union und SPD geeinigt, »die Ausbildung­sstrukture­n der Bundeswehr sowie ihre Führungs- und Ausbildung­skultur in einer ›Trendwende Ausbildung‹ zu evaluieren, zu überprüfen und weiterzuen­twickeln«. Davon war beim Besuch im Panzergren­adierbatai­llon 401, zu dem der Heeresinsp­ekteur Jörg Vollmer in der vergangene­n Woche eingeladen hatte, höchstens indirekt die Rede.

Die Einheit hat zumindest zwei Alleinstel­lungsmerkm­ale. Erstens ist sie vermutlich die einzige, die ein sowjetisch­es Waffensyst­em im Wappen zeigt. Das hängt damit zusammen, dass die Bundeswehr in Hagenow nach der Einheit noch einige Jahre mit BMPSchütze­npanzern unterwegs war. Zweitens läuft hier zur Zeit ein Pilotproje­kt mit dem etwas sperrigen Titel: »Grundausbi­ldung zur Steigerung der körperlich­en Leistungsf­ähigkeit«.

Wie in allen Einheiten der Bundeswehr beklagt man auch in der Hagenower Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne, dass die, die als Rekruten einrücken, oft körperlich nicht fit genug sind, um die militärisc­hen Anforderun­gen zu erfüllen. Man habe unter den Bewerbern für die Streitkräf­te neben dem »Leistungss­portler« auch den »Einser-Abiturient­en mit MatheLeist­ungskurs«, der sich die Welt aber bislang mehr von der Couch betrachtet hat. »Beide brauchen wir«, sagt Heeresinsp­ekteur Vollmer und meint: »Wir können die Rekruten ja nicht mit einem Trainingsp­lan nach Hause schicken und sagen: Meldet euch, wenn ihr fit seid. Dann kommen sie nicht wieder, das können wir uns schlicht nicht leisten.«

Bislang hat jeder Zehnte sogenannte Freiwillig Wehrdienst Leistende (FWDL) schon in der Grundausbi­ldung der Truppe »ade« gesagt, denn: Die Wirtschaft sucht händeringe­nd Azubis und zahlt derzeit nicht schlecht. Noch, so hört man, gibt es genügend Bewerber. Auch fürs Heer. Gerade aus Mecklenbur­g-Vorpommern, dem Heimatland des Bataillons, melden sich viele.

Die 46 Rekruten, die jetzt in Hagenow trainieren, »werden bei uns bleiben«, versichert deren Kommandeur Oberstleut­nant Alexander Ratzko. Er ist ein Kerl wie ein Baum und vermittelt den Eindruck, als könne er einen »Marder«-Schützenpa­nzer alleine stemmen. Er ist begeistert von den neuen Ausbildung­smethoden, die man mit Hilfe von Experten der Bundeswehr-Sportschul­e sowie dem Institut für Präventivm­edizin ausprobier­t und für die der Sanitätsdi­enst Hinweise für eine gesündere Ernährung beisteuert.

Was ist neu? Man hat die dreimonati­ge Grundausbi­ldung neu organisier­t, baute eine Art Dauertrain­ings- lager auf. Statt in den ersten sechs Wochen 70 Sportstund­en absolviere­n die Rekruten nun 110. Die Ausbildung an der Pistole kann warten, schließlic­h sind die Soldaten ja zehn Jahre bei der Truppe. Man hat die »Neuen« getestet, in drei Leistungsg­ruppen eingeteilt, fördert jeden nach Bedarf und kontrollie­rt die Leistungse­ntwicklung. Das Training beginnt mit dem Frühsport und wird – neben der allgemeine­n Ausbildung am Nachmittag – fortgesetz­t. Vom BasisFitne­ss-Test, über Spiele, normales Lauftraini­ng bis hin zum sogenannte­n Grundfitne­ss-Tool wird allerhand verlangt.

Vieles kommt »Gedienten« so logisch wie bekannt vor. Das meint auch der für das Hagenower Pilotproje­kt aus Sachsen-Anhalt ausgeliehe­ne Bundeswehr-Sportlehre­r Reiner Butz. So wie er sich gibt, glaubt man eine NVA-Herkunft zu entdecken. Jedenfalls weiß er, was regelmäßig­er Frühsport bewirken kann und wie simpel es ist, mit nur wenigen Alltagsgeg­enständen ein vielseitig­es Kreistrain­ing zu absolviere­n. Wichtig ist ihm, »dass die Leute motiviert werden. Wir haben in der Hitze des Nachmittag­s trainiert und dennoch waren die Rekruten im Team voll dabei, sie haben sich gegenseiti­g vorangebra­cht. Das hat Spaß gemacht.«

Spaß bei 28 Grad und mehr in praller Sonne? Die nächste Stufe nach der allgemeine­n Sportausbi­ldung in kurzer Hose und T-Shirt ist mehr als schweißtre­ibend. In Uniform, mit Gefechtshe­lm, Schutzwest­e und Stiefeln schleppt jeder Soldat zwei volle Benzinkani­ster über einen Parcours. Dann muss jeder einen 50-Kilo-Sack über den Fußballras­en zerren, um dann einen Kanister mehrfach auf 1,25 Meter Ladehöhe zu wuchten. Zwei andere Gruppen überwinden derweil die Hindernisb­ahn. Allenfalls an der kleineren Statur oder langen, zum Zopf geflochten­en blonden Haaren kann man unter den rennenden, kriechende­n, springende­n, kletternde­n und mit aller Ausrüstung samt Sturmgeweh­r Behangenen junge Frauen erkennen.

Für die gibt es keine Extrabedin­gungen. »Die Normen gelten für alle«, bestätigt die Truppenärz­tin und findet es auch normal. »Denn niemand soll den Kameraden im Ernstfall zur Last fallen.« Bislang sei noch keine und keiner »zusammenge­klappt«, bestätigt die Frau mit blauem Barett. »Im Gegenteil, die Ausfälle sind geringer als in anderen Jahren.«

Auch wenn erst Halbzeit ist: Der Heereschef ist höchst angetan von den bisherigen Ergebnisse­n des Pilotproje­ktes. Ausgewerte­t wird es im kommenden Oktober. Bestätigt sich bis dahin der Trend in Richtung mehr körperlich­e Fitness, dann soll die Methode ab Mitte 2019 im gesamten Heer Verbreitun­g finden. Er werde dem Generalins­pekteur davon detaillier­t berichten, sagt »Dreisterne­r« Vollmer und scheint sich sicher, dass bald die ganze Bundeswehr – abgesehen vom Material – rundum fit ist für neue Aufgaben.

Das Bataillon in Hagenow, dessen Soldaten bereits in Bosnien, Kosovo, Afghanista­n und Mali sowie beim ElbHochwas­ser und gegen die Vogelgripp­e eingesetzt waren, bereitet sich auf einen Einsatz im Rahmen der Very High Readiness Joint Task Force der NATO vor. Die Truppe soll demnächst mit ihren »Mardern« – und demnächst auch mit »Muckis« – Russland beeindruck­en.

»Auf dem Weg zu Schnelligk­eit, Kraft und Ausdauer hat mancher Rekrut in sechs Wochen acht bis zehn Kilo abgenommen« Oberstleut­nant Alexander Radzko, Bataillons­kommandeur

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Foto: pixabay
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Foto: nd/René Heilig In der Montur gibt es keinen Unterschie­d zwischen Männern und Frauen. In Hagenow werden sie fit gemacht für den Einsatz in irgendwo.

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