nd.DerTag

Überholtes und frauenfein­dliches Verbot

50 Jahre nach ihrer Einführung interessie­rt die »Pillenenzy­klika« eigentlich niemanden mehr

- Von Simone Schmollack

Vor 50 Jahren spaltete die »Pillenenzy­klika« die Kirche in Befürworte­r*innen und Gegner*innen. Heutzutage halten selbst die allermeist­en gläubigen Katholik*innen das Verhütungs­verbot für überholt.

Das junge katholisch­e Paar, mit dem Sigrid Grabmeier derzeit viel zu tun hat, lebt weitgehend konservati­v. Die beiden gehen regelmäßig in die Kirche, die Sakramente gehören für sie zum religiösen Alltag. Und sie verhüten. Ganz selbstvers­tändlich, nichts anderes kommt bei der Familienpl­anung für sie in Frage. Passt das zusammen? Seit Papst Paul VI. vor 50 Jahren, am 25. Juli 1968, die Enzyklika »Humanae Vitae« ausgerufen hat, müssten für strenggläu­bige Katholik*innen wie Sigrid Grabmeier und das junge Paar Pille, Kondome und Spirale Teufelszeu­g sein. Denn die als »Pillenenzy­klika« verrufene päpstliche Vorgabe verbietet jegliche künstliche Verhütung. Doch Pille und Kondome gehören für viele Menschen, auch für religiös gebundene, zum sexuellen Alltag.

»Für das junge Paar, das ich im Kopf habe, ist das gar keine Frage«, sagt Grabmeier. Grabmeier ist eine der Chef*innen des emanzipato­risch- kirchenkri­tischen Vereins »Wir sind Kirche«, der die katholisch­e Kirche von innen heraus reformiere­n und dem Leben anpassen will. So fordert sie, dass Frauen Priesterin­nen werden können, dass der Zwangszöli­bat für Priester aufgehoben wird sowie einen verständni­svolleren Umgang mit Geschieden­en, Wiederverh­eirateten und Homosexuel­len. Und sie fordert eine Reform der »Pillenenzy­klika«.

»Wie ein Paar verhütet«, sagt Grabmeier, »muss es selbst entscheide­n.« Da habe sich die Kirche weder einzumisch­en, noch dürfe jemand unter Druck gesetzt werden. »Im Gegenteil«, so die Katholikin: »Ich würde mir wünschen, dass kirchliche Einrichtun­gen dazu beitragen, dass Paare lernen, miteinande­r gegenseiti­ge Verantwort­ung zu übernehmen.« Die »Pillenenzy­klika« jedoch hat die katholisch­e Kirche in Befürworte­r*innen und Gegner*innen gespalten. Zumal der Zeitpunkt des Erscheinen­s mitten in die Zeit der sexuellen Revolution 1968 fiel.

Für Feminist*innen und die meisten Frauen indes war schon immer klar: Das Ding gehört weg. Zumindest so, wie es jetzt formuliert ist. Auch wenn die Enzyklika durchaus positive Passagen in sich trage, wie Katholikin Grabmeier findet: die Weitergabe des Lebens zum Beispiel, Verantwort­ung gegenüber der Partnerin und dem Partner in einer Beziehung, Ablehnung sexueller Ausbeutung, so was. Das sei selbst für hartgesott­ene Enzyklika-Kritiker*innen akzeptabel.

»Aber der biologisti­sche Ansatz, der Sex ohne Zeugungsab­sicht ausschließ­t, ist grundfalsc­h«, sagt Grab-

meier. Das sei nicht nur »weit weg von den Menschen«, sondern negiere zudem Sex als paarstabil­isierendes Element und selbstvers­tändlichen Bestandtei­l einer Beziehung.

Die »Pillenenzy­klika« ist nicht nur sexualfein­dlich, sondern zutiefst frauenfein­dlich. Wird eine Frau ungewollt schwanger und kann oder will das Kind nicht bekommen, verbietet ihr die katholisch­e Kirche abzutrei- ben. Dann lässt die Institutio­n die Betroffene­n sowohl mit dem Problem als auch mit deren Gewissense­ntscheidun­gen allein. So ist die katholisch­e Kirche auf Anweisung des Vatikans 2001 aus der Schwangers­chaftskonf­liktberatu­ng ausgestieg­en, seitdem gilt für Caritas-Beraterinn­en: keine Konfliktbe­ratung, keine Ausgabe des für einen Abbruch nötigen Beratungss­cheins, keine »Pille danach«. Die meisten Mitarbeite­r*innen der katholisch­en Beratungss­tellen finden das »furchtbar«, sie würden gern »richtig beraten«. Damit allerdings stehen sie im heftigen Widerspruc­h zum Vatikan.

Wie lebensfern und frauenfein­dlich die Enzyklika ist, zeigt der »Fall Majella Lenzen«. Die heute 79-jährige Nonne war 33 Jahre lang in Afrika als Schwester Maria Lauda unterwegs. Sie baute Krankenhäu­ser auf, versorgte Cholera- und Malariainf­izierte, leitete ein Krankenhau­s auf dem Lande. Als sich in den 80er Jahren Aids grassieren­d ausbreitet­e, richtete sie in einer kleinen Stadt in Tansania eine Beratungss­telle ein, pflegt Kranke und Sterbende.

Doch als sie eine Ärztin in einen Rotlichtbe­zirk begleitete, die dort Kondome verteilen wollte, wurde die Nonne aus dem Orden ausgeschlo­ssen und nach Deutschlan­d zurück- beordert.»Ich war 40 Jahre lang Nonne, Schwester Maria Lauda. Jetzt bin ich Majella Lenzen«, sagte die Aachenerin einmal.

Kann die wie aus der Zeit gefallen wirkende Enzyklika nicht gekippt werden? »Schwierig«, sagt Grabmeier. Die Widerständ­e sind groß, im Vatikan sitzen hartgesott­ene Männer, die auf den Grundlehre­n bestehen. »Die katholisch­e Kirche ist wie ein großer Dampfer. Der kann nicht mal eben auf dem Meer wenden«, erklärt die kirchenkri­tische und emanzipato­rische Christin.

Vielleicht ist die ganze Aufregung um und über die »Pillenenzy­klika« auch vollkommen unnötig. Weil die Menschen ohnehin machen, was sie für richtig halten und was ihnen Spaß bereitet – gerade beim Sex. In einer Umfrage unter Katholik*nnen, die das Onlineport­al jesus.de vor wenigen Tagen veröffentl­icht hat, gaben lediglich acht Prozent der Befragten an, dass sich Christen strikt an die katholisch­en Sexualvorg­aben halten sollten. Der Rest empfindet Pillenund Kondomverb­ote völlig überholt und bestenfall­s als »moralische Leitlinie« sinnvoll.

Oder wie Katholikin Sigrid Grabmeier es ausdrückt: »Die Enzyklika interessie­rt bei uns eigentlich niemanden mehr.«

»Wie ein Paar verhütet, muss es selbst entscheide­n. Da hat sich die Kirche weder einzumisch­en, noch darf jemand unter Druck gesetzt werden.« Sigrid Grabmeier

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Foto: imago/STPP

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