Überholtes und frauenfeindliches Verbot
50 Jahre nach ihrer Einführung interessiert die »Pillenenzyklika« eigentlich niemanden mehr
Vor 50 Jahren spaltete die »Pillenenzyklika« die Kirche in Befürworter*innen und Gegner*innen. Heutzutage halten selbst die allermeisten gläubigen Katholik*innen das Verhütungsverbot für überholt.
Das junge katholische Paar, mit dem Sigrid Grabmeier derzeit viel zu tun hat, lebt weitgehend konservativ. Die beiden gehen regelmäßig in die Kirche, die Sakramente gehören für sie zum religiösen Alltag. Und sie verhüten. Ganz selbstverständlich, nichts anderes kommt bei der Familienplanung für sie in Frage. Passt das zusammen? Seit Papst Paul VI. vor 50 Jahren, am 25. Juli 1968, die Enzyklika »Humanae Vitae« ausgerufen hat, müssten für strenggläubige Katholik*innen wie Sigrid Grabmeier und das junge Paar Pille, Kondome und Spirale Teufelszeug sein. Denn die als »Pillenenzyklika« verrufene päpstliche Vorgabe verbietet jegliche künstliche Verhütung. Doch Pille und Kondome gehören für viele Menschen, auch für religiös gebundene, zum sexuellen Alltag.
»Für das junge Paar, das ich im Kopf habe, ist das gar keine Frage«, sagt Grabmeier. Grabmeier ist eine der Chef*innen des emanzipatorisch- kirchenkritischen Vereins »Wir sind Kirche«, der die katholische Kirche von innen heraus reformieren und dem Leben anpassen will. So fordert sie, dass Frauen Priesterinnen werden können, dass der Zwangszölibat für Priester aufgehoben wird sowie einen verständnisvolleren Umgang mit Geschiedenen, Wiederverheirateten und Homosexuellen. Und sie fordert eine Reform der »Pillenenzyklika«.
»Wie ein Paar verhütet«, sagt Grabmeier, »muss es selbst entscheiden.« Da habe sich die Kirche weder einzumischen, noch dürfe jemand unter Druck gesetzt werden. »Im Gegenteil«, so die Katholikin: »Ich würde mir wünschen, dass kirchliche Einrichtungen dazu beitragen, dass Paare lernen, miteinander gegenseitige Verantwortung zu übernehmen.« Die »Pillenenzyklika« jedoch hat die katholische Kirche in Befürworter*innen und Gegner*innen gespalten. Zumal der Zeitpunkt des Erscheinens mitten in die Zeit der sexuellen Revolution 1968 fiel.
Für Feminist*innen und die meisten Frauen indes war schon immer klar: Das Ding gehört weg. Zumindest so, wie es jetzt formuliert ist. Auch wenn die Enzyklika durchaus positive Passagen in sich trage, wie Katholikin Grabmeier findet: die Weitergabe des Lebens zum Beispiel, Verantwortung gegenüber der Partnerin und dem Partner in einer Beziehung, Ablehnung sexueller Ausbeutung, so was. Das sei selbst für hartgesottene Enzyklika-Kritiker*innen akzeptabel.
»Aber der biologistische Ansatz, der Sex ohne Zeugungsabsicht ausschließt, ist grundfalsch«, sagt Grab-
meier. Das sei nicht nur »weit weg von den Menschen«, sondern negiere zudem Sex als paarstabilisierendes Element und selbstverständlichen Bestandteil einer Beziehung.
Die »Pillenenzyklika« ist nicht nur sexualfeindlich, sondern zutiefst frauenfeindlich. Wird eine Frau ungewollt schwanger und kann oder will das Kind nicht bekommen, verbietet ihr die katholische Kirche abzutrei- ben. Dann lässt die Institution die Betroffenen sowohl mit dem Problem als auch mit deren Gewissensentscheidungen allein. So ist die katholische Kirche auf Anweisung des Vatikans 2001 aus der Schwangerschaftskonfliktberatung ausgestiegen, seitdem gilt für Caritas-Beraterinnen: keine Konfliktberatung, keine Ausgabe des für einen Abbruch nötigen Beratungsscheins, keine »Pille danach«. Die meisten Mitarbeiter*innen der katholischen Beratungsstellen finden das »furchtbar«, sie würden gern »richtig beraten«. Damit allerdings stehen sie im heftigen Widerspruch zum Vatikan.
Wie lebensfern und frauenfeindlich die Enzyklika ist, zeigt der »Fall Majella Lenzen«. Die heute 79-jährige Nonne war 33 Jahre lang in Afrika als Schwester Maria Lauda unterwegs. Sie baute Krankenhäuser auf, versorgte Cholera- und Malariainfizierte, leitete ein Krankenhaus auf dem Lande. Als sich in den 80er Jahren Aids grassierend ausbreitete, richtete sie in einer kleinen Stadt in Tansania eine Beratungsstelle ein, pflegt Kranke und Sterbende.
Doch als sie eine Ärztin in einen Rotlichtbezirk begleitete, die dort Kondome verteilen wollte, wurde die Nonne aus dem Orden ausgeschlossen und nach Deutschland zurück- beordert.»Ich war 40 Jahre lang Nonne, Schwester Maria Lauda. Jetzt bin ich Majella Lenzen«, sagte die Aachenerin einmal.
Kann die wie aus der Zeit gefallen wirkende Enzyklika nicht gekippt werden? »Schwierig«, sagt Grabmeier. Die Widerstände sind groß, im Vatikan sitzen hartgesottene Männer, die auf den Grundlehren bestehen. »Die katholische Kirche ist wie ein großer Dampfer. Der kann nicht mal eben auf dem Meer wenden«, erklärt die kirchenkritische und emanzipatorische Christin.
Vielleicht ist die ganze Aufregung um und über die »Pillenenzyklika« auch vollkommen unnötig. Weil die Menschen ohnehin machen, was sie für richtig halten und was ihnen Spaß bereitet – gerade beim Sex. In einer Umfrage unter Katholik*nnen, die das Onlineportal jesus.de vor wenigen Tagen veröffentlicht hat, gaben lediglich acht Prozent der Befragten an, dass sich Christen strikt an die katholischen Sexualvorgaben halten sollten. Der Rest empfindet Pillenund Kondomverbote völlig überholt und bestenfalls als »moralische Leitlinie« sinnvoll.
Oder wie Katholikin Sigrid Grabmeier es ausdrückt: »Die Enzyklika interessiert bei uns eigentlich niemanden mehr.«
»Wie ein Paar verhütet, muss es selbst entscheiden. Da hat sich die Kirche weder einzumischen, noch darf jemand unter Druck gesetzt werden.« Sigrid Grabmeier