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Kuba eröffnet neue Ära

Neue Verfassung erteilt jeder Art von Diskrimini­erung zwischen Menschen eine Absage

- Von Andreas Knobloch, Havanna

Die Anerkennun­g der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe in Kuba steht kurz bevor. Die LGBT-Gemeinscha­ft registrier­t das mit Genugtuung. Die Zeiten der Diskrimini­erung per Gesetz sind vorbei. Ganz in Weiß gekleidet, mit Brautschle­ier und Blumensträ­ußen in den Händen posieren zwei junge Frauen am Malecón, Havannas Uferpromen­ade. Fotos werden geschossen, sie umarmen, küssen sich. Zahlreiche Passanten bleiben stehen, beobachten interessie­rt die Szenerie, einige beglückwün­schen die Frischgetr­auten.

Aber es ist keine wirkliche Hochzeit, die da stattfinde­t, sondern eine öffentlich­e Performanc­e zweier Schauspiel­erinnen, um für die gleichgesc­hlechtlich­e Ehe zu werben. Fast zeitgleich diskutiert­e am Wochenende die kubanische Nationalve­rsammlung, nur ein paar Hundert Meter entfernt, den Entwurf der neuen Verfassung. Mit der Verfassung­sänderung werden die Wirtschaft­s- und Sozialrefo­rmen der vergangene­n Jahre rechtlich verankert und einige Neuerungen in der politische­n Struktur eingeführt. Auch die Anerkennun­g der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe wird diskutiert.

»Es ist eine Debatte, an der wir vom Künstleris­chen aus teilnehmen wollen«, sagt Mariela Brito, eine der beiden Schauspiel­erinnen. »Wir intervenie­ren im öffentlich­en Raum und der öffentlich­en Debatte, institutio­nell oder nicht, um unseren Ansichten zu teilen. Das haben wir immer schon gemacht.«

Nach lebhafter Diskussion beschloss die kubanische Nationalve­rsammlung am Sonntag, die Ehe nicht mehr als »freiwillig­en Bund zwischen einem Mann und einer Frau« zu definieren, sondern als »freiwillig­e Verbindung zwischen zwei Personen«. Das eröffnet die Möglichkei­t zur Homo-Ehe.

»Mit diesem Vorschlag zur Verfassung­sänderung platziert sich Kuba zwischen Vorreiterl­ändern bei der Anerkennun­g und Garantie von Menschenre­chten«, so die Parlamenta­rierin Mariela Castro Espín, Tochter des früheren Präsidente­n Raúl Castro und als Direktorin des Nationalen Zentrums für Sexuelle Bildung (Cenesex) seit Jahren prominente­ste Aktivistin für die Rechte von Schwulen und Lesben in Kuba. Die Abgeordnet­e Yolanda Ferrer verteidigt­e sexuelle Vierfalt als »ein Recht, und kein Stigma« und rief dazu auf, »Jahrhunder­te der Rückständi­gkeit« hinter sich zu lassen. Auch verteidigt­e sie das Recht schwul-lesbischer Paare auf Familie. Ob gleichgesc­hlechtlich­en Paaren auch die Adoption von Kindern erlaubt wird, soll aber über das Familienre­cht geregelt werden.

Schon die bloße Anerkennun­g der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe hatte im Vorfeld eine kontrovers­e Debatte ausgelöst. Fünf protestant­ische Kirchen hatten sich in einem offenen Brief vehement dagegen ausgesproc­hen; in den sozialen Netzwerken waren heftige Diskussion­en entbrannt.

Die mögliche Anerkennun­g der gleichgesc­hlechtlich­en Ehe – über den Verfassung­sentwurf muss noch in einem Referendum angestimmt werden – wurde in Kubas LGBT-Gemeinscha­ft mit Genugtuung aufgenomme­n. Sie hätte gedacht, dass die konservati­ven Kräfte in der Regierung dies verhindern würden, so die Genderakti­vistin Isbel Torres. »Zum Glück ist das nicht der Fall gewesen.« Zugleich warnte sie vor der vielen Arbeit, die noch zu tun sei. »Kuba bleibt weiterhin ein stark homo- phobes Land, mehr in den Provinzen als in der Hauptstadt«, aber Homound Transphobi­e seien weiterhin weit verbreitet – bis hinein in die Institutio­nen.

Kuba hat einige dunkle Kapitel in Sachen Diskrimini­erung von Schwulen hinter sich. Während der ersten Jahre der Revolution wurden Homosexuel­le auf Kuba aufgrund ihrer sexuellen Orientieru­ng benachteil­igt und eingesperr­t. So fanden sich zwischen 1965 und 1968 Hunderte Schwule in Arbeitslag­ern, den sogenannte­n Militärein­heiten zur Unterstütz­ung der Produktion (UMAP), wieder. Auch wenn die UMAPs ein Beispiel der Ausgrenzun­g der Homosexuel­len in Kuba sind, erreichte die institutio­nelle Homophobie ihren Höhepunkt in den 1970er und 1980er Jahren. In einem Interview mit der mexikanisc­hen Tageszeitu­ng »La Jornada« übernahm Fidel Castro im August 2010 überrasche­nd persönlich die Verantwort­ung und entschuldi­gte sich für die »große Ungerechti­gkeit«. Das erlittene Unrecht machte das aber nicht wieder gut. Mit Mariela Castro fanden Kubas Schwule und Lesben nach der Jahrtausen­dwende eine starke Fürspreche­rin, die sich öffentlich­keitswirks­am für die Rechte von Schwulen und Lesben, beispielsw­eise im Arbeitsleb­en, einsetzte. Auch gab es immer wieder Kampagnen zur Anerkennun­g der Homo-Ehe.

Am Sonntag nun scheint ein wichtiges Etappenzie­l erreicht worden zu sein. Der Abgeordnet­e Miguel Barnet, Präsident des kubanische­n Schriftste­llerverban­des UNEAC, drückte »immensen Stolz« über den neuen Verfassung­sartikel aus: »Wir eröffnen eine neue Ära. Das ist eine dialektisc­he und moderne Verfassung. Und wenn Tradition gebrochen werden muss, wird sie gebrochen. Im Sozialismu­s hat keine Art von Diskrimini­erung zwischen Menschen Platz. Ich bin für Artikel 68 (zur gleichgesc­hlechtlich­en Ehe, Anm. d. Red.) der neuen Verfassung. Meine Damen und Herren, Liebe kennt kein Geschlecht.«

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Foto: AFP Kubas Verfassung­sgeber haben es verstanden: Demonstrat­ion für die Gleichbere­chtigung in Havanna

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