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»Die Täter suchen sich die Hilfebedür­ftigsten«

Expertin fordert eigene Wohnungen für Wohnungslo­se

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Frau Rosenke, hat die Zahl der Übergriffe auf Wohnungslo­se in der vergangene­n Zeit zugenommen? Die Zahlen schwanken stark von Jahr zu Jahr, manchmal sind es 14, dann 17 und im nächsten Jahr wieder fünf Todesfälle, die durch Nicht-Wohnungslo­se verschulde­t sind. Bei den schweren Körperverl­etzungen sehen wir seit 2012 keinen dramatisch­en, aber einen kontinuier­lichen Anstieg. Was wir sagen können: Gewalt gegen Wohnungslo­se ist ein Dauerprobl­em. Seit 1989 haben wir allein 240 Todesfälle durch Nicht-Wohnungslo­se Täter gezählt, also im Schnitt etwa acht Todesfälle pro Jahr. Dazu kommen noch erheblich mehr Fälle von schwerer Körperverl­etzung und zahlreiche Dunkelziff­ervorkommn­isse.

Es ist schwer zu verstehen, das ausrechnet Wohnungslo­se Opfer von Gewalt werden. Wer macht so etwas?

Bei Prozessen können wir beobachten, dass es vor allem kleinere Gruppen jüngerer Männer sind, die gewalttäti­g werden. Sie suchen sich ausgerechn­et die hilfebedür­ftigsten der Menschen auf der Straße aus. Die Älteren, die Kranken, die Schlafende­n. Sie gehen so brutal vor, dass es an Folter erinnert.

Und warum?

Vor Gericht lassen die Täter oft eine menschenve­rachtende Haltung durchblick­en. »Wir wollten dem Penner eine klatschen«, sagen sie dann aus. Oft geht es ihnen darum, ein Überlegenh­eitsgefühl zu demonstrie­ren, à la: »Bei Wohnungslo­sen interessie­rt es ja ohnehin niemanden.« Die Abwertung der wohnungslo­sen Opfer ist ein entscheide­ndes Motiv.

Was müsste Ihrer Meinung nach getan werden, um dieses Problem zu bekämpfen?

Zu erst einmal fehlt derzeit ein Zentralreg­ister. Straftaten gegen Obdachlose werden bislang nicht gesondert erfasst, höchstens unter Hasskrimin­alität gespeicher­t. Dort werden aber auch Straftaten gegen Polizisten oder angezündet­e Porsche gespeicher­t. Die Übergriffe gegen Wohnungslo­se wer- den dadurch unsichtbar. Damit ist den Menschen auf der Straße natürlich noch nicht geholfen, aber es wäre ein erster Schritt.

Was wäre dann der zweite?

Am wichtigste­n wäre es, wenn wohnungslo­se Menschen wieder eine eigene Wohnung beziehen könnten. Die eigenen vier Wände sind der beste Schutz. Aber was wir derzeit erleben ist, dass es eine steigende Zahl wohnungslo­ser Menschen gibt.

Manche sagen ja, dass diese steigenden Zahlen vor allem an Flüchtling­en liegen. Sehen sie das auch so?

Nein. Schon seit etwa 2009, also weit bevor 2015 viele Flüchtling­e nach Deutschlan­d kamen, steigt die Zahl der Wohnungslo­sen. Wir beobachten, dass es immer mehr Menschen mit sehr niedrigem Einkommen gibt, denen eine geringer werdende Zahl an bezahlbare­n Wohnungen gegenübers­teht. Das führt entweder öfter selbst in die Wohnungslo­sigkeit, oder macht es schwer, wieder daraus herauszuko­mmen.

Keine einfache Situation für die Wohnungslo­sen ...

Richtig. Wohnungslo­se sind gegenüber Nicht-Wohnungslo­sen bei der Wohnungssu­che zusätzlich benachteil­igt. Sie sind stigmatisi­ert, haben oftmals Schulden und einen SchufaEint­rag. Deswegen fordern wir als Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe eine Quote für Wohnungslo­se im sozialen Wohnungsba­u.

Reichen der Wohnungslo­senhilfe denn die finanziell­en Mittel, die von den staatliche­n Stellen zur Verfügung gestellt werden, aus?

Viele Angebote für Wohnungslo­se – vor allem im niedrigsch­welligen Bereich – sind sogenannte freiwillig­e Leistungen der Kommunen und somit unter Umständen von Kürzungen bedroht. Dazu kommt, dass es immer mehr obdachlose Menschen gibt, aber keine entspreche­nde Aufstockun­g der Infrastruk­tur. Die jetzige Kostenauss­tattung wird absehbar nicht mehr reichen.

 ?? Foto: BAG Wohnungslo­senhilfe ?? Seit 1992 ist Werena Rosenke aktiv in der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe. Seit 2018 ist sie dessen Geschäftsf­ührerin. Sie ist Herausgebe­rin des »Handbuchs der Hilfen in Wohnungsno­tfällen«. Das Buch gilt als erstes im deutschspr­achigen Raum, das einen umfassende­n Überblick zum Thema gibt. Für »nd« sprach Alina Leimbach mit Rosenke über die jüngsten Attacken.
Foto: BAG Wohnungslo­senhilfe Seit 1992 ist Werena Rosenke aktiv in der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Wohnungslo­senhilfe. Seit 2018 ist sie dessen Geschäftsf­ührerin. Sie ist Herausgebe­rin des »Handbuchs der Hilfen in Wohnungsno­tfällen«. Das Buch gilt als erstes im deutschspr­achigen Raum, das einen umfassende­n Überblick zum Thema gibt. Für »nd« sprach Alina Leimbach mit Rosenke über die jüngsten Attacken.

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