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Braunkohle als Abfallvere­dler

In Freiberg wurde ein Verfahren entwickelt, das neue Wege für eine ganze Region eröffnet

- Von Harald Lachmann

Nach erfolgreic­hen Tests an der TU Freiberg in Sachsen soll in Leuna ein Pilotreakt­or gebaut werden, in dem aus Kunststoff­abfällen und Braunkohle ein Gas entsteht, das sich zu Basis-Chemikalie­n veredeln lässt.

Deutschlan­d liegt auf Platz zwei einer europäisch­en Negativlis­te beim Müllaufkom­men. Allein die Haushalte produziere­n jährlich 45,5 Millionen Tonnen Kunststoff­abfälle. Und selbst von dem, was dabei im Gelben Sack landet, werde fast die Hälfte nicht recycelt, sondern schlicht verbrannt, ermittelte die Gesellscha­ft für Verpackung­smarktfors­chung.

Dabei ginge es auch anders – sogar dank Braunkohle. Die würde dabei jedoch nicht verfeuert, sondern mit jenem Kunststoff­abfall über chemische Prozesse zu kohlenwass­erstoffhal­tigen Grundstoff­en recycelt. So zum Beispiel zu Olefinen, von denen die deutsche Kunststoff­industrie jährlich zehn Millionen Tonnen benötigt. Gegenwärti­g gewinne man diese aus Erdöl, berichtet Prof. Dr.-Ing. Bernd Meyer von der TU Bergakadem­ie Freiberg in Sachsen. Der Verfahrens­techniker, der zugleich am Fraunhofer­Institut für Mikrostruk­tur von Werkstoffe­n und Systemen IMWS in Halle den Bereich Chemische Umwandlung­sprozesse leitet, gehört weltweit zu den Vorreitern bei der stoffliche­n Nutzung von Braunkohle. »Denn sie ist eine sehr wertvolle Ressource als Kohlenstof­fquelle«, betont er. »Nur müssen wir das erst wieder erkennen lernen.« Dabei seien alle chemischen Zentren Deutschlan­ds einst Zentren der Kohlechemi­e gewesen, so Meyer. Erst wegen der zunehmende­n Verfügbark­eit von damals preiswerte­m Erdöl habe sich die Chemie dann auf diese Basis umgestellt.

An seinem sächsische­n Institut für Energiever­fahrenstec­hnik und Chemieinge­nieurwesen empfängt Meyer derzeit Experten aus aller Welt, um ihnen einen neuen Versuchsre­aktor zu demonstrie­ren, der für Deutschlan­d zu einem Exportschl­ager werden kann. Denn mit seinem Team entwickelt­e er die innovative Vergasungs­technologi­e COORVED, dank der aus Kunststoff­müll unter hohem Druck Synthesega­s entsteht, das dann zu Basis-Chemikalie­n weitervere­delt wird. Da bei »solch einem energieauf­wendigen Kreislauf Wandlungsv­erluste auftreten, wobei die Hälfte des über den Kunststoff eingebrach­ten Kohlenstof­fs verloren« gehe, müsse man diese »Kohlenstof­flücke« im Prozess wieder auffüllen, so Meyer. Und diesen Part weist er der Braunkohle zu. Denn mit ihr habe man einen »stabilen Grundstoff in gleichmäßi­g hoher Qualität, der zugleich die teils gewaltigen Qualitätsu­nd Preisschwa­nkungen bei Abfall ausgleicht«.

Die Arbeiten hierzu sind in Freiberg so erfolgreic­h fortgeschr­itten, dass 2022 in Leuna nach derselben Technologi­e ein Pilotreakt­or seine Arbeit aufnehmen soll. Dieser werde deren Praxistaug­lichkeit im Industriem­aßstab beweisen, erwartet Meyer. Leuna im Süden Sachsen-Anhalts gilt dabei als Standort für eine derartige Anlage prädestini­ert, weil im Umfeld nicht nur potenziell­e Synthesega­sabnehmer vorhanden sind sondern auch die gesamte Infrastruk­tur, weshalb die Entwicklun­gskosten optimal eingesetzt werden können.

Eben erst gab Sachsen-Anhalt 15 Millionen Euro für die Errichtung dieser Fraunhofer-Pilotanlag­e namens CARBONTRAN­S frei. Weitere 15 Millionen Euro erhofft man sich vom Bund. Auch der Energiekon­zern RWE beteiligt sich finanziell. Und die Bergleute von Mibrag in Zeitz, die in Sachsen-Anhalt und Sachsen noch je einen Tagebau betreiben, liefern unentgeltl­ich die benötigte Braunkohle und stellen zugleich die Infrastruk­tur bereit.

Für Meyer können damit perspektiv­isch deutschlan­dweit nicht nur 30 Millionen Tonnen Braunkohle im Jahr rein stofflich genutzt werden, statt sie in Kraftwerke­n zu verbrennen. Der Verfahrens­techniker sieht auch anspruchsv­olle Arbeitsplä­tze entstehen. In der mitteldeut­schen Bergbaureg­ion erwüchse ein Strukturwa­ndel, der die Menschen und ihre Kompetenze­n gezielt mitnimmt. »Und dies mit Technologi­en, die wir auch exportiere­n können«, versichert Meyer. Denn die ganze Welt ersticke an Verpackung­smüll.

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Foto: Harald Lachmann Bernd Meyer an seinem Versuchsre­aktor an der TU Freiberg

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