Gleichstellung unerwünscht
Israel hat eine aktive LGBTI-Gemeinde – in der Tagespolitik werden ihre Bedürfnisse jedoch ignoriert
Männer, die nicht mit einer Frau verheiratet sind, dürfen in Israel keine Kinder von Leihmüttern bekommen. In Tel Aviv haben mehr als 80 000 Menschen für wirkliche Gleichstellung demonstriert.
Nach außen hin sind Joel, Avi und ihre dreijährige Tochter Batya German eine heile Familie: Auf dem Boden des Wohnzimmers liegt das Spielzeug, während in der Küche das Abendessen brutzelt. Es wird viel gelacht. Doch für die beiden 27 und 29 Jahre alten Männer war es ein langer, mühsamer und teurer Weg bis hierher: »Der Staat legt einem überall Steine in den Weg,« sagt Avi: »Heiraten, Kinder bekommen – alles muss man im Ausland machen, und für alles braucht man sehr viel Geld.«
Am vergangenen Wochenende haben die drei deshalb in Tel Aviv zusammen mit mehr als 80 000 Menschen für mehr Gleichstellung demonstriert. Es war eine der größten Demonstrationen, die es in den vergangenen Jahrzehnten in Israel gab. Anlass war die Verabschiedung eines Gesetzes, das Leihmutterschaften regelt. Monatelang hatten Lobbyisten der LGBTI-Gemeinschaft die Parlamentsfraktionen bearbeitet und gefordert, auch schwule Männer mit einzubeziehen. Doch das Ergebnis war enttäuschend: Per Gesetz dürfen nun nur heterosexuelle Paare in Israel Kinder von Leihmüttern bekommen. Männer ohne weibliche Partnerin nicht.
Ein Widerspruch wird hieran sichtbar: Denn zwar hat Israel eine große, politisch und gesellschaftlich sehr aktive LGBTI-Gemeinschaft – selbst konservative und rechte Politikerinnen und Politiker lassen sich gerne mit ihr sehen, um dann zu sagen, dass es »genau diese Menschen, diese Freiheiten sind, die Israel von den anderen Ländern in dieser Region abheben« (Regierungschef Benjamin Netanjahu). Doch wenn es dann um die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren, von Trans*Personen geht, fegen die Befindlichkeiten der Tagespolitik mit voller Wucht über sie hinweg.
Wie auch in dem aktuellen Fall: Zunächst war geplant gewesen, auch gleichgeschlechtlichen Paaren die Leihmutterschaft zu ermöglichen. Doch dann traten die beiden ultra-orthodoxen Parteien auf den Plan. Sie haben zwar nur etwas mehr als zehn Prozent der Parlamentsmandate, sind aber in der Regierungskoalition Zünglein an der Waage: Gleichgeschlechtliche Paare wurden daher kurzfristig wieder aus der Vorlage gestrichen.
In Israel fallen alle Fragen, die Eheschließung und -Scheidung, Unterhalt, Vormundschaft und Adoption betreffen, in die Zuständigkeit der Religionsgemeinschaften. Diese unterhalten dafür eigene Gerichte. Gleichgeschlechtliche Ehen müssen dementsprechend im Ausland geschlossen werden und sind beispielsweise bei der Annahme der Staatsbürgerschaft oder im Steuerrecht gleichgestellt. Doch in allen Fragen, für die die Religionsgerichtsbarkeit zuständig ist, werden gleichgeschlechtliche Ehen nicht anerkannt.
Um ein Kind von einer Leihmutter zu bekommen, müssen schwule Männer sich im Ausland umsehen – ein Unterfangen, dass zunächst einmal so teuer ist, dass es sich nur wenige leisten können. Nach Auskunft des Innenministeriums gehen jährlich 200 Paare diesen Weg.
In der Regel ist dann die Leihmutter aber keine Jüdin, das Kind gehört damit nicht automatisch der Religion an. Dies aber ist erforderlich, wenn der nicht-leibliche jüdische Vater das Kind adoptieren will, denn gemäß der Vorgaben der Religionsgerichte müssen der oder die Adoptionswillige und das Kind der gleichen Religion angehören. Auch die christlichen Entscheidungsträger machen übrigens in Israel solche Vorgaben.
Zum anderen würde das Kind auch selbst in Israel nicht heiraten können, weil dafür eine Religionszugehörigkeit erforderlich ist. Also muss das Kind zunächst einmal zum Judentum konvertieren. Doch die jüdischen Religionsgerichte fordern Konversionen nach orthodoxem Ritus. Sie stellen damit sehr hohe Anforderungen an die Einhaltung der umfangreichen religiösen Regeln, nicht nur des Kindes, sondern auch der Eltern. Zudem werden Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren nicht zur Konversion zugelassen, so lange diese jünger als 14 Jahre alt sind. Bei der Adoption selbst reicht es, wenn die Leihmutter das Kind zur Adoption freigegeben hat.
Lesbische Paare stoßen indes auf weniger Einschränkungen als schwule: Sie können recht problemlos ein Kind anderer Eltern adoptieren. Im Fall einer Leihvaterschaft stellt sich für sie die Frage nach der Religionszugehörigkeit des Vaters überhaupt nicht.
Die Germans haben ihre Tochter deshalb bis heute nicht adoptiert und sind stattdessen einen anderen Weg gegangen: »Wir wissen nicht, wer der Vater ist,« sagt Joel, »und wir wollen auch nicht wissen, wer es ist,« fügt Avi hinzu. Hoffnungsvoll erklärt er: »Was die Konversion betrifft, hoffen wir, dass die Regeln irgendwann geändert werden.«