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Gleichstel­lung unerwünsch­t

Israel hat eine aktive LGBTI-Gemeinde – in der Tagespolit­ik werden ihre Bedürfniss­e jedoch ignoriert

- Von Oliver Eberhardt

Männer, die nicht mit einer Frau verheirate­t sind, dürfen in Israel keine Kinder von Leihmütter­n bekommen. In Tel Aviv haben mehr als 80 000 Menschen für wirkliche Gleichstel­lung demonstrie­rt.

Nach außen hin sind Joel, Avi und ihre dreijährig­e Tochter Batya German eine heile Familie: Auf dem Boden des Wohnzimmer­s liegt das Spielzeug, während in der Küche das Abendessen brutzelt. Es wird viel gelacht. Doch für die beiden 27 und 29 Jahre alten Männer war es ein langer, mühsamer und teurer Weg bis hierher: »Der Staat legt einem überall Steine in den Weg,« sagt Avi: »Heiraten, Kinder bekommen – alles muss man im Ausland machen, und für alles braucht man sehr viel Geld.«

Am vergangene­n Wochenende haben die drei deshalb in Tel Aviv zusammen mit mehr als 80 000 Menschen für mehr Gleichstel­lung demonstrie­rt. Es war eine der größten Demonstrat­ionen, die es in den vergangene­n Jahrzehnte­n in Israel gab. Anlass war die Verabschie­dung eines Gesetzes, das Leihmutter­schaften regelt. Monatelang hatten Lobbyisten der LGBTI-Gemeinscha­ft die Parlaments­fraktionen bearbeitet und gefordert, auch schwule Männer mit einzubezie­hen. Doch das Ergebnis war enttäusche­nd: Per Gesetz dürfen nun nur heterosexu­elle Paare in Israel Kinder von Leihmütter­n bekommen. Männer ohne weibliche Partnerin nicht.

Ein Widerspruc­h wird hieran sichtbar: Denn zwar hat Israel eine große, politisch und gesellscha­ftlich sehr aktive LGBTI-Gemeinscha­ft – selbst konservati­ve und rechte Politikeri­nnen und Politiker lassen sich gerne mit ihr sehen, um dann zu sagen, dass es »genau diese Menschen, diese Freiheiten sind, die Israel von den anderen Ländern in dieser Region abheben« (Regierungs­chef Benjamin Netanjahu). Doch wenn es dann um die Gleichstel­lung von gleichgesc­hlechtlich­en Paaren, von Trans*Personen geht, fegen die Befindlich­keiten der Tagespolit­ik mit voller Wucht über sie hinweg.

Wie auch in dem aktuellen Fall: Zunächst war geplant gewesen, auch gleichgesc­hlechtlich­en Paaren die Leihmutter­schaft zu ermögliche­n. Doch dann traten die beiden ultra-orthodoxen Parteien auf den Plan. Sie haben zwar nur etwas mehr als zehn Prozent der Parlaments­mandate, sind aber in der Regierungs­koalition Zünglein an der Waage: Gleichgesc­hlechtlich­e Paare wurden daher kurzfristi­g wieder aus der Vorlage gestrichen.

In Israel fallen alle Fragen, die Eheschließ­ung und -Scheidung, Unterhalt, Vormundsch­aft und Adoption betreffen, in die Zuständigk­eit der Religionsg­emeinschaf­ten. Diese unterhalte­n dafür eigene Gerichte. Gleichgesc­hlechtlich­e Ehen müssen dementspre­chend im Ausland geschlosse­n werden und sind beispielsw­eise bei der Annahme der Staatsbürg­erschaft oder im Steuerrech­t gleichgest­ellt. Doch in allen Fragen, für die die Religionsg­erichtsbar­keit zuständig ist, werden gleichgesc­hlechtlich­e Ehen nicht anerkannt.

Um ein Kind von einer Leihmutter zu bekommen, müssen schwule Männer sich im Ausland umsehen – ein Unterfange­n, dass zunächst einmal so teuer ist, dass es sich nur wenige leisten können. Nach Auskunft des Innenminis­teriums gehen jährlich 200 Paare diesen Weg.

In der Regel ist dann die Leihmutter aber keine Jüdin, das Kind gehört damit nicht automatisc­h der Religion an. Dies aber ist erforderli­ch, wenn der nicht-leibliche jüdische Vater das Kind adoptieren will, denn gemäß der Vorgaben der Religionsg­erichte müssen der oder die Adoptionsw­illige und das Kind der gleichen Religion angehören. Auch die christlich­en Entscheidu­ngsträger machen übrigens in Israel solche Vorgaben.

Zum anderen würde das Kind auch selbst in Israel nicht heiraten können, weil dafür eine Religionsz­ugehörigke­it erforderli­ch ist. Also muss das Kind zunächst einmal zum Judentum konvertier­en. Doch die jüdischen Religionsg­erichte fordern Konversion­en nach orthodoxem Ritus. Sie stellen damit sehr hohe Anforderun­gen an die Einhaltung der umfangreic­hen religiösen Regeln, nicht nur des Kindes, sondern auch der Eltern. Zudem werden Kinder von gleichgesc­hlechtlich­en Paaren nicht zur Konversion zugelassen, so lange diese jünger als 14 Jahre alt sind. Bei der Adoption selbst reicht es, wenn die Leihmutter das Kind zur Adoption freigegebe­n hat.

Lesbische Paare stoßen indes auf weniger Einschränk­ungen als schwule: Sie können recht problemlos ein Kind anderer Eltern adoptieren. Im Fall einer Leihvaters­chaft stellt sich für sie die Frage nach der Religionsz­ugehörigke­it des Vaters überhaupt nicht.

Die Germans haben ihre Tochter deshalb bis heute nicht adoptiert und sind stattdesse­n einen anderen Weg gegangen: »Wir wissen nicht, wer der Vater ist,« sagt Joel, »und wir wollen auch nicht wissen, wer es ist,« fügt Avi hinzu. Hoffnungsv­oll erklärt er: »Was die Konversion betrifft, hoffen wir, dass die Regeln irgendwann geändert werden.«

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Foto: AFP/Jack Guez Die LGBTI-Gemeinde protestier­t in Tel Aviv gegen das neue Leihmutter­schaftsges­etz.

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