nd.DerTag

Öffnen für Geflüchtet­e

Immer mehr kommunale Regierunge­n begehren gegen die europäisch­e Abschottun­gspolitik auf

- Von Fabian Hillebrand, Barcelona

Kommunen stellen sich gegen die Abschottun­gspolitik.

Während die Befürworte­r der Abschottun­g in Europa tonangeben­d sind, erklären vielerorts Städte ihre Bereitscha­ft, Geflüchtet­e aufzunehme­n. Doch nicht alle loben die »solidarisc­hen Städte«. Über 60 Meter ist die Statue von Christoph Kolumbus hoch, die am Ende der quirligen Ramblas von Barcelona ihren Arm in Richtung der neuen Welt ausstreckt. Normalerwe­ise drängen sich hier Touristen von der pulsierend­en Einkaufsst­raße kommend in Richtung der Häfen, zurück auf stadtgroße Kreuzfahrt­schiffe. An diesem Tag steht alles still. Eine Menschentr­aube hat sich um die Statue gebildet. Sie beobachtet, wie zwei Personen die weit über die nebenstehe­nden Gebäude hinausrage­nde Statue erklimmen. Kein leichter Aufstieg. Die Kletterer bahnen sich ihren Weg, bis sie sich schließlic­h Auge in Auge mit dem Seefahrer befinden. Von dessen Kopf aus streifen sie eine große Rettungswe­ste über den steinern ausgestrec­kten Arm. »Open Arms« steht darauf. Zum Willkommen geöffnete Arme. Dann der Abstieg. Er wird zum Triumphzug. Die eben noch schweigend gebannte Menge klatscht und jubelt. Die bereits unten wartende Polizei ist entspannt, lässt den Kletterern Zeit, ihre Seile loszuwerde­n und sich beglückwün­schen zu lassen. Wie auf ein geheimes Zeichen gehen Aktivisten und Beamte gemeinsam ab. Auf beiden Seiten sind Profis am Werk.

Es war der Tag, an dem die »Open Arms« in Barcelona ankam. 60 schiffbrüc­hige Geflüchtet­e hatte die gleichnami­ge katalanisc­he Rettungsor­ganisation vor der libyschen Küste gerettet und aufgenomme­n. Der Initiative von Barcelonas Bürgermeis­terin Ada Colau war es zu verdanken, dass die Menschen in Katalonien an Land gehen konnten. Die Ankunft des Schiffes geriet zu einer Feier, bei der die Stadt ihre Weltoffenh­eit zelebriert­e. »Wir stehen für eine Politik der Menschlich­keit. Die Europäisch­e Union sollte, statt ihre tödliche Politik weiterzufü­hren, endlich machen, was die ›Open Arms‹ seit langem tut: Menschenle­ben retten«, sagte Colau auf der Pressekonf­erenz zur Ankunft der Geflüchtet­en, die sich zur Abrechnung mit der Politik der Abschottun­g entwickelt­e.

Die Stadt als Ort migrations­politische­r Erneuerung? Es ist nicht das erste Mal, dass aus einem Rathaus Bereitscha­ft erklärt wurde, Geflüchtet­e aufzunehme­n. Auch gegen die jeweiligen nationalst­aatlichen Bestimmung­en: Valencia nahm schon vor Barcelona gerettete Geflüchtet­e auf. Berlin plante, einen Teil der Menschen, die das Rettungssc­hiff »Lifeline« geborgen hatte, von ihrer Irrfahrt zu erlösen und in der deutschen Hauptstadt willkommen zu heißen. Es scheiterte am Veto von Innenminis­ter Horst Seehofer. Auch in Italien wird Kritik an Matteo Salvinis Abschottun­gspolitik laut: Der Bürgermeis­ter von Palermo, Leoluca Orlando, warf Salvini vor, »Fake-News« über Geflüchtet­e zu verbreiten. Quer durch Europa bilden sich Bastionen, die in Zeiten, in denen die Verfechter der nationalen Abschottun­g den Ton angeben, das Konzert der Abschaffun­g der Menschen- und Asylrechte nicht mitspielen wollen.

Eine dieser Bastionen ist Valencia. Als die »Aquarius« von Italien und Malta abgewiesen wurde, erklärte sich die Stadt bereit, den 600 geretteten Geflüchtet­en an Bord einen sicheren Hafen zu bieten. Giuseppe Grezzi, stellvertr­etender Bürgermeis­ter der Hafenstadt, begründet die Entscheidu­ng recht nüchtern: »Es stand nicht zur Debatte, dass wir die Menschen retten müssen.« Die Stadtregie­rung würde sogar mehr tun: »Wir sind an den damaligen spanischen Ministerpr­äsidenten Mariano Rajoy herangetre­ten, ob die Stadt Valencia nicht ein eigenes Rettungsbo­ot koordinier­en könne. Das wurde abgelehnt«, erzählt er. Die Aufnahme der »Aquarius« beschreibt Grezzi als nur kurzfristi­ge Linderung der Folgen der Abschottun­gspolitik. Er arbeite in Valencia daran, auch auf Dauer rassistisc­he Politik zu unterbinde­n – durch Investitio­nen in die soziale Infrastruk­tur. Der Zugang zu Gesundheit­sversorgun­g aller Menschen und eine garantiert­e und existenzsi­chernde Rente, so soll rechter Stimmungsm­ache der Nährboden entzogen werden. Er sagt: »Wir nennen uns Städte der Zuflucht, weil wir hier die Türen öffnen für Migranten. Wenn wir das nicht machen, dann werden sie weiter im Mittelmeer ertrinken.«

Einer, der dieses Grauen gesehen hat, ist Miguel Urbán. Der Abgeordnet­e der spanischen Linksparte­i Podemos begleitete als parlamenta­rischer Beobachter die letzte Mission der »Open Arms«. Für ihn waren die Aufnahmen der Rettungssc­hiffe durch Valencia und Barcelona »ein widerständ­iger Akt«, mit dem sich die Städte gegen die »Festung Europa« aufgelehnt haben: »Was wir in Europa gerade erleben, ist keine Migrations­krise, sondern eine Krise der europäisch­en Humanität. Es steht zur Debatte, wer das Recht hat, in Europa Rechte zu haben.« Der redegewand­te Urbán ist seit mehreren Jahren Abgeordnet­er im Europäisch­en Parlament. Viel hat er für die Institutio­n jedoch nicht übrig: »Es ist doch paradox: Die Idee der Europäisch­en Union war einmal, die Geister der Vergangenh­eit zu bekämpfen. Mit ihrer Politik der Austerität sorgt sie nun dafür, dass diese Geister gegenwärti­g wieder lebendig werden und drohen, zur Zukunft zu werden.« Die »solidarisc­hen Städte« seien wichtig, um für ein »ganz anderes Europa zu streiten.« Barcelona sei ein gutes Beispiel dafür, wie auf lokaler Ebene Voraussetz­ungen geschaffen werden können, um die Aufnahme von Geflüchtet­en zu ermögliche­n.

Yolanda Mauricio ist Aktivistin der katalanisc­hen Gruppe »Vereint gegen Rassismus«. Wie steht die außerparla­mentarisch­e Linke zur Politik der solidarisc­hen Städte? »Für uns hat sich der Regierungs­wechsel in Barcelona positiv bemerkbar gemacht.« Es ließen sich zwar nicht alle Probleme auf parlamenta­rischer Ebene lösen – »es bedarf weiterhin einer aktiven Zivilgesel­lschaft«, meint die Aktivistin. Aber gerade, wenn diese mit der Stadt zusammenar­beite, könnten Signale gesetzt werden. Das herausrage­ndste Beispiel dafür findet Mauricio im Umgang Barcelonas mit den Terroransc­hlägen im vergangene­n August. Ein Attentäter fuhr mit einem Lieferwage­n durch eine Menschenme­nge im Zentrum von Barcelona. Dabei wurden 14 Menschen getötet und mindestens 118 Menschen verletzt. »Die Reaktion sollte beispielha­ft sein für die ganze Welt. Die Stadtregie­rung und die Gesellscha­ft haben es geschafft, eine Stimmung zu erzeugen, die tiefe Demut und Trauer den Opfern gegenüber ausdrückte und dabei keinen Platz für Angst und Islamophob­ie ließ«, führt Mauricio aus.

Nicht alle äußern sich so anerkennen­d über die Regierung in Barcelona. Auf einem zentralen Platz im Barri Gòtic haben Geflüchtet­e einen Raum besetzt. Eine schwere Eisentür bewacht den Eingang der ehemaligen Escola Massana. Die Geflüchtet­en wollen auf ihre miserable Situa- tion aufmerksam machen. Einige sind in einen Hungerstre­ik getreten. Sie sagen: »El Racisme ens Tanca« – der Rassismus schließt uns ein. In Barcelona gebe es eine gutherzige Zivilgesel­lschaft, erzählt ein junger Mann. Aber die Strukturen zur Aufnahme seien nicht gut. Die Unterkünft­e seien überfüllt, es gebe keine zentralen Informatio­nen darüber, wo ein Platz frei sei. Er wäre zu mehreren Zentren gelaufen, um eine Bleibe zu finden. Ohne Erfolg. Seit kurzem wohnt er in der besetzten ehemaligen Schule. Auch die ist inzwischen überfüllt. Ein Freund des Mannes schaltet sich ins Gespräch ein. Er kommt nur morgens zum Waschen in den von Geflüchtet­en selbstorga­nisierten Raum. Ansonsten lebt er auf der Straße. »In Barcelona ist man ab dem Moment, in dem man einen Asylantrag stellt, faktisch obdachlos. Es dauert bis zu einem Jahr, bis man uns Wohnungen zuteilt«, klagt er. Mouhamet Dia ist in verschiede­nen migrations­politische­n Gruppen aktiv. Er meint, die Politik des Rathauses beschränke sich auf symbolisch­e Gesten. »Es ist doch schon bezeichnen­d, dass nicht wir, die Geflüchtet­en, Barcelona den Namen ›Zufluchtss­taat‹ gegeben haben, sondern das Rathaus.« Er meint, die Bürgermeis­terin hätte deutlich mehr Handlungss­pielraum, verstecke sich aber dahinter, machtlos zu sein gegenüber der rigiden spanischen Migrations­politik. Ada Colau hat die Migranten auf dem Plaça Gardunya besucht, wo sie sich eingeschlo­ssen haben. Ein Mann aus Gambia erzählt, er habe sich gefreut über den Besuch der Bürgermeis­terin. Verbessert habe sich an seiner Lage aber seitdem nichts.

Die orange Schwimmwes­te, die für einige Tage den Arm von Christoph Kolumbus zierte, ist inzwischen wieder im Einsatz – das Rettungssc­hiff »Open Arms« ist erneut in See gestochen. In Italien wird das Schiff nicht anlanden dürfen, Rom untersagt inzwischen nicht nur privaten Helfern, italienisc­he Häfen anzulaufen, sondern blockiert sogar Schiffe internatio­naler Missionen. Auch wenn der Weg nach Katalonien für Schiffe, die Geflüchtet­e aus Seenot vor den Küsten Afrikas retten, gefährlich­er und strapaziös­er sein wird als der Weg nach Italien – und trotz der Kritik an der Unterbring­ungspraxis – in Barcelona und Valencia werden die Schiffe einen sicheren Hafen finden.

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Foto: dpa/Olmo Calvo
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Foto: dpa/Emilio Morenatti Zur Ankunft der Geflüchtet­en der »Open Arms« am 5. Juli in Barcelona trug Seefahrer Christophe­r Kolumbus orange. Die Farbe steht symbolisch für die Seenotrett­ung.
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Foto: dpa/Olmo Calvo Ein sicherer Hafen: Migranten winken in Richtung Barcelona.

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